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Bürgerliche Revolution und Arbeiterschaft

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Man nennt die Wiener Revolution des Jahres 1848 die „bürgerliche“. Nicht zu Unrecht. Denn das gebildete und besitzende Bürgertum hat damals die Fahne eines neuen Ideals entrollt und die akademische Jugend sie in heller Begeisterung und mit stürmischem Schwung vorangetragen und auf den zur Sicherung der neuen Freiheit errichteten Barrikaden aufgepflanzt. Allein, diese neue Freiheit gleich im ersten Anlauf zu gewinnen und sie späterhin gegen die l aid einsetzenden Angriffe der „reaktionären" Hofkreise und des feudalen Adels Monate hindurch erfolgreich zu verteidigen, wäre die Kraft des Bürgertums, wäre natürlich auch die Tapferkeit und Opferfreude der „Legion“ nie zureichend gewesen. Um das „Metternichsche System“ mit einem Ruck aus seinen vielfältigen starken Verklammerungen zu reißen und die Fundamente, auf denen der neue Staat sich erheben sollte, gegen alle Fährnisse zu sichern, bedurfte es des unwiderstehlichen Ungestüms des sich erhebenden vierten Standes, bedurfte es der dichten Schließung der bedenklich schütteren bürgerlichen Kampffront durch die zum erstenmal gesammelt auftretende Arbeiterschaft. Es war ein Ringen um bürgerliche Zielsetzungen unter bürgerlicher Führung, aber mit Sturmregimentern, zu deren sieghafter Kraft unbürgerliche Menschen aussdilag- gebend beitrugen.

Das erwies sich bereits am 13. März. Seine landläufige Schilderung erweckt nur zu leicht die Vorstellung, als wäre in den Vorgängen in und um das niederösterreichische Landhaus das entscheidende Ereignis dieses ein Wende in der inneren Geschichte der Monarchie herauf führenden Tages zu sehen. Aber wie die rasche „Säuberung“ der Herrengasse in den frühen Nachmittagsstunden durch ein besdieidenes Militäraufgebot zeigte, wäre sogar die unentschlossene, in sich uneinige, zweifellos abbruchreife „vormärzliche" Regierung noch durchaus imstande gewesen, dieses doch mehr lärmenden als wirklich gefährlichen Tumultes Herr zu werden. Wenn man sich in der Hofburg gleichwohl zu „Konzessionen“ entschloß, so erwuchs eine solche Bereitschaft, den vorgebrachten Wünschen des Volkes Rechnung zu tragen, keineswegs aus einer langsam aufdämmernden Erkenntnis der Reformbedürftigkeit der bestehenden staatlichen Einrichtungen, sie war vielmehr ausschließlich die Frucht der ängstlichen Sorge, die die bestürzenden Nachrichten aus den Vorstädten erregten. Schon daß die Arbeiterschaft in einer ganzen Anzahl von Betrieben auf die erste Kunde von dem studentischen Aufmarsch vor dem Landhaus die Arbeit niederlegte und zusammen mit dem kaum in besseren wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Kleinbürgertum Anschluß an die revolutionäre Bewegung suchte, ließ auf eine politischsoziale Hochspannung in den unterbürgerlichen Schichten schließen, deren hemmungslose Entladung von unabsehbaren Folgen sein konnte. Und die zahlreichen Gewalttaten, in denen sich die in langen Notjahren zuhöchst gestiegene Verzweiflung der arbeitenden Massen, ihr heißer Zorn über die noch im letzten Augenblick geglückte Absperrung der Innenstadt Luft inachte, erlaubte keine Täusdiung über den Ernst der Lage, der allein aus dem zahlenmäßigen Mißverhältnis zwischen den Freunden und Feinden der bestehenden Ordnung sich ergab, — die Brandröte am Abendhimmel des 13. März, in den Konferenzsälen der Hofburg als ein zu raschen Ent- sdilüssen drängendes Mahnmal empfunden, ließ keinen Zweifel, daß mit der politischen Erhebung der Bürger sidi die soziale der Arbeiter verbunden hatte.

Die Arbeiter waren, gleichgültig ob gelernt oder ungelernt, ob Handwerksgeselle öder Fabriksarbeiter, ob in Arbeit oder „vacierend", tief verbittert über die schier ausweglose Not ihres traurigen Daseins, erfüllt von einer zu gewaltsamer Selbsthilfe neigenden Unzufriedenheit, die um so gefährlicher war, als sie in einer unorgani sierten, führerlosen Masse schwelte. Die Löhne niedrig, in keinem Verhältnis zu den Lebenshaltungskosten, sondern allein abhängig von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt, die Arbeitszeit über zwölf, ja vierzehn Stunden und mehr erstreckt, rechtlos der Willkür des Unternehmers preisgegeben, ohne Hilfe bei Krankheit und Arbeitsunfähigkeit, oft entwürdigend vom Unternehmer und Beamten behandelt, eine kaum erträgliche Gegenwart und eine hoffnungslose Zukunft — war es verwunderlich, wenn die in erdrückender Mehrheit von einem so mitleidlosen Schicksal geschlagenen Arbeiter, ohne überhaupt erst einen Aufruf des sich er hebenden Bürgertums zu erwarten, der revolutionären Bewegung zuliefen und sich, als ob es gar nicht anders sein könnte, der bürgerlichen Führung unterordneten? Trotzdem ihre Zielsetzungen fernab lagen von denen der Bürgerschaft Dem Arbeiter war damals noch die Gestaltung der staatlichen Ordnung an sich gleichgültig, er erstrebte ausschließlich eine Verbesserung seiner Lebenshaltung — der Bürger dagegen, dem der zur Führung bereits unfähig gewordene absolute Staat durch eine seit dem zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts eingeleitete iiberalistische Wirtschaftspolitik die materielle Gestaltung seines Daseins frei gegeben hatte, wollte sich nunmehr auch seine politische Mündigkeit erkämpfen. Der Arbeiter wollte leben können. wollte menschenwürdig leben können, — deshalb trat er, der bei einer Zerstörung der alten Ordnung nur gewinnen, nie verlieren konnte, dem bürgerlichen Freiheitskämpfer als ein will- kommenener Bundesgenosse an die Seite.

Zum erstenmal in den Märztagen. Und dann wieder, als es in der an erregenden Augenblicken reichen Auseinandersetzung Mitte Mai darum sring. die bürgerlichen zehn Stunden begrenzt und es konnte in vielen Wirtschaftszweigen eine Erhöhung der Löhne erreicht werden, auch wurde darüber hinaus ganz allgemein die Stellung des Arbeiters dem Unternehmer gegenüber gehoben. Aber von Rechtsschutz und Stan- desqrganisation, von Krankenhilfe und Altersversorgung war- immer noch keine Rede. Daß wirtschaftliche Krisen nach wie vor vom Arbeiter die härtesten Opfer forderten, bekam er bald genug zu spüren. Denn die politische Unruhe, das weiteste Kreise bedrückende Empfinden, daß die letzten Entscheidungen erst noch zu er warten seien, die Ungewißheit über die unausweichlichen sozialen Folgen des politischen Umbruchs, die durch Verkehrsstörungen in ganz Europa mitbedingten Erzeugungsschwierigkeiten, all das führte zu einer rasch fühlbar werdenden Wirt schattskrise, führte zur Entlassung tarnender Arbeiter, die damit dem größten Elend preisgegeben waren.

Bereits nach wenigen Wo.hi-n stieg die

Wünsche nach einer den S:sg der Revolu tion sichernden Demokratisierung des Wahlrechtes durchzusetzen Und zum drittenmal stand der Arbeiter auf den Barrikaden an jenem 26.' Mai, da das Auflösungsdekret der Regierung Pillersdort die akademische Legion in ihrem Bestände bedroht: es hatte sich in den wenigen Wochen seit dem Ausbruch der Revolution ein besonders herzliches Verhältnis zwischen der Wiener Arbeiterschaft und den „Herren Studenten" herausgebildet, die Legion mit ihrer militärischen Schlagkraft und ihrer nie versagenden Einsatzbereitschaft war den proletarischen Massen das sicherste Unterpfand ihrer seit dem März erkämpften Erleichterungen;' und als nun die Studenten die Hilfe der Arbeiter ansprachen, eilten diese in Sdiaren herbei, um ihren Freunden die sooft versicherte Dankbarkeit durch die Tat zu beweisen.

Obwohl doch die revolutionären „Errungenschaften“ der Arbeiter denkbar bescheiden waren. An der Preßfreiheit und der Aufhebung der Zensur wenig interessiert, die Bedeutung der gewährten „Konstitution“ kaum voll erfassend, zur Übung der politischen Bürgerrechte nur sehr zögernd zugelassen, hatte der Arbeiter audi wirtschaftlich nur wenig gewonnen. Wohl wurde die Arbeitszeit fast allgemein mit

Arbeitslosigkeit in einem Maße an, das die Regierung zum Eingreifen nötigte. Sie half sich mit der schon dsmals nicht mehr neuen Auskunft der Einleitung von Notstandsarbeiten, ließ im Prater Erdaushebungen -durchführen, deren offensichtliche Zwecklosigkeit die ohnehin nicht sehr hohe Arbeitsmoral weiterhin drücken mußte. Sie mochte es als nachträgliche Rechtfertigung ihres Vorgehens begrüßen, als der „Sicherheitsausschuß“ das „Recht des einzelnen auf Arbeit“ und die Verpflichtung des Staates feststellte allen Arbeitsuchenden Arbeit zu verschaffen oder, „falls dies unmöglich wäre, ihnen den gewöhnlichen Taglohn auch ohne Arbeit zu geben“. „Den gewöhnlichen. Taglohn" — die Regierung ging jedoch ohne dazu gedrängt zu sein, noch einen gefährlichen Schritt weiter und bewilligte Löhne, die um einiges über den in den meisten Sparten an gelernte Arbeiter gezahlten lagen, ein schVerer Fehler, der sich bitter rächte: von etwa

6000 bis 7000 bei den öffentlichen Arbeiten Beschäftigten zu Anfang Mai stieg deren Zahl binnen vier Wochen auf über 20.000, und so stark war die Anziehungskraft dieses leichten Verdienstes, daß einzelne Industrien bald über Arbeitermangel zu klagen hatten, weil ihnen die Arbeiter einfach wegliefen. Da die finanzielle List, dis dieser Aufwand für Stadt und Staat bedeutete, weder von dieser noch von jenem auf die Dauer getragen werden konnte, blieb nur, sollte die Hilfeleistung durch die öffentliche Hand nicht überhaupt zur Einstellung kommen, der Entschluß zu einer einschneidenden Lohnkürzung.

Angesichts der schweren politischen und sozialen Spannungen ein sehr gewagter Schritt. Aber Karl von Schwarz -, der Arbeitsminister im Kabinett Doblhoff, hatte Mut. Nachdem Ende Juni schon die Frage der Entschädigungen für Sonn- und Feiertage sowie für den Arbeitsausfall an Regentagen zu Karten Auseinandersetzungen geführt hatte, kam es bei der Ankündigung der Lohnkürzung zu einer offenen Revolte, die niedergeschlagen wurde. Es waren Nationalgarden der Innenstadt, die sich am 23. August den aus dem Prater heraufziehenden Notstandsarbeitern entgegenstellten, und der in der Jägerzeile ausgetragene, für die Arbeiter verlustreiche Kampf ließ den tiefen Gegensatz zwischen den ungleichen Bundesgenossen offen aufbrechen: der Bürger war mit Preßfreiheit und Konstitution zufriedengestellt, er wollte, nunmehr im Besitze auch der politischen Freiheit, die Früchte der in der ersten Jahrhunderthälfte bereits errungenen wirtschaftlichen Freiheit genießen, er sehnte sich nach Ruhe, die durch das Hinarbeiten des vierten Standes auf ihm unerwünschte Veränderungen der sozialen Verhältnisse immer wieder gestört wurde. Besonders als die Ungeduld der in ihren Erwartungen trotz kleiner Erfüllungen im ganzen doch enttäuschten Arbeiterschaft wuchs und die konservativen Neigungen in der Bürgerschaft merklich um sich griffen. Der Arbeiter glaubte sich von seinem bürgerlichen Weggenossen verraten: die Stadtgarden waren mit der blanken Waffe gegen ihn vorgegangen, die Legion, wiewohl mit ihren Sympathien durchaus auf Seite der Arbeiter, hatte sich in entscheidender

Stunde abseits gehalten, die Bürgerschaft konnte sich kaum genug tun in der Verherrlichung der Sieger des 23. August — er stand an einer langen Reihe von Särgen, verlassen von allen.

Im Straßenkampf des 23. August war die bis dahin in ihrer festen Geschlossenheit nur schwer anzugreifen.de revolutionäre Front unheilbar zerbrochen. Feindlich standen sich das in seinen wesentlichen Forderungen befriedigte und daher einen endlichen Abschluß der Revolution herbeisehnende Bürgertum und die in eine steigende Radikalisierung verfallende Arbeiterschaft gegenüber. Die Arbeiterschaft drängte vor. Schon das Gewicht ihrer Masse, das sich zunehmend durchsetzte, aber auch ihre stete Bereitschaft zu letztem Einsatz ließ sie das den weiteren Gang der Dinge jetzt eher hemmende Bürgertum rasch überflügeln, schob sie mehr und mehr in den Mittelpunkt des revolutionären Geschehens. Die Bewegu-ng, die sich bereits im Mai aus einer „konstitutionellen“ in eine „demokratische“ gewandelt hatte, stellte in ihrer nunmehr anhebenden letzten Phase „sozial- revolutionäre“ Zielsetzungen in den Vordergrund. Je lebhafter aber- in Presse und Versammlung die Notwendigkeit sozialer Reform betont wurde, desto klarer rückte das Bürgertum von der Sache der Freiheit ab, wandte es sich in Sorge vor einem „roten Umsturz" der die bestehende Ge-

sellschaftsęrdnung gewährleistenden „Reaktion“ zu. Und als diese im Oktober den entscheidenden Geger.schlag ' führte, traf sie . auf eine bereits zerbröckelnde revolutionäre Verteidigungsfront: auf den Barrikaden stand nur mehr der Arbeiter und der vom Absinken ins Proletariat bedrohte Kleinbürger, das Bürgertum — Mittelstand und Oberschichte — wir mit seinen Siegeswünschen bereits auf seiten der Truppen Windischgrätz’ und Jellačič’...

Am 31. Oktober wehte von Hofburg und Stephansdom an Stelle des s3iwarzrot- goldenen Revolutionsbanners wieder das kaiserliche Schwarzgelb, das alte Machtsymbol des habsburgischen Hauses. Was — um ein Wort Grillparzers zu gebrauchen — im März fast als eine „Gassenbüberei“ begonnen hatte, endete im Oktober als blutige Tragödie. Und der Zusammenbruch der Erhebung es vierten Standes riß auch alle Erfolge drr bürgerlichen Bewegung mit sich in den Abgrund. Freilich, die weitaus härtesten Opfer, im Kampf wie nach der Niederlage, waren der Arbeiterschaft auferlegt. Sie hat sie aber, schien auch zunächst alle Zukunft verspielt, doch nicht umsonst gebracht: die erste Schlacht im Kampfe um ihr Lebensrecht, gleichwohl sie verlbren- ging, ließ ie die vielen schweren Mängel ihrer politischen Rüstung, ließ sie aber auch die gewaltige Wucht ihrer gesammelten Kraft erkennen.

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