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Mahnung und Meinung des Konsumenten

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„Wirtschaftspolitik ist nicht ein Reservat der Fachleute; sie geht jeden an, denn letztlich rühren wirtschaftspolitische Maßnahmen an die Geldbörse jedes einzelnen.“ So etwa hieß es in einer Rundfunksendung des Gewerkschaftsbundes. Das geschah vor Jahresfrist, als der Kampf um die Verteilung der Früchte tobte, die eine Steigerung der Produktivität unserer Wirtschaft zeitigen würden. In dem etwas später zwischen den Vertretern der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber geschlossenen Abkommen sind die Anspruchsberechtigten auf geführt: Dem Unternehmer soll ein Teil des Aufwandes, der ihm bei der Aufstellung neuer Maschinen entstanden ist, zurückerstattet werden. Den bei der Produktion Beschäftigten wird eine entsprechende Erhöhung des Arbeitsentgeltes zugesichert. Und schließlich soll der Preis der mit geringeren Kosten hergestellten Ware herabgesetzt werden, so daß auch der Konsument berücksichtigt erscheint.

Damals freilich ähnelten die erhofften „Früchte“ eher noch dem bekannten Fell des Bären. Anfangs dieses Jahres mußten sie aber doch schon Realität geworden sein, denn die Bauarbeiter forderten eine Lohnerhöhung unter Hinweis auf die bereits erzielten Erfolge der Produktivitätssteigerung. Der Konsument durfte daher mit Recht erwarten, daß gleichzeitig auch eine Senkung der Baukosten eintreten werde, die von einer Intensivierung des Wohnungsbaues gefolgt sein müßte. Wie groß war aber die Enttäuschung des Konsumenten — der hunderttausenden Wohnungssuchenden —, als man nur von Lohnforderungen einerseits und einer dadurch bedingten Steigerung der Baukosten anderseits sprach. Die Bauarbeiter erhielten eine Lohnerhöhung, die Unternehmer kalkulierten die neuen entsprechend erhöhten Baukosten, und Hunderttausende zahlen die Zeche.

Diesem ersten Streich folgten alsbald zahlreiche andere Lohnforderungen, die sich allerdings nicht auf eine Steigerung der Produktivität, sondern auf eine Verteuerung der Lebenshaltungskosten und besonders auf die Erhöhung der Preise für Fleisch und Gemüse beriefen. Welche Vor würfe wurden in den Rundfunksendungen morgens und abends gegen die Regierung, einzelne Minister oder Behörden erhoben, mit welchem Stimmaufwand ein energisches Vorgehen gegen die Preistreiber gefordert! Der „Spinatrummel“ hat sich inzwischen als Komödie entpuppt, die sich zur Groteske auswuchs, als breitspurig behauptet wurde, die Gewerkschaften hätten die Senkung der Gemüsepreise erwirkt! Und nicht etwa die alte brave Sonne, die der liebe Gott über diese Erde — lachen ließ!

In jenen stürmischen Wochen konnte man auch wieder die regelmäßig laufende Rundfunksendung „Konsumentenberatung“ hören, die sich mit der Qualität der verschiedenen Sorten von Waschpulver, der Zulässigkeit des Färbens von Lebensmitteln u. a. befaßte, anstatt den Hausfrauen zuzurufen: „Kaufen Sie nicht Spinat, der kostet 12 S, Sie können anderes, billiges Gemüse haben, üben Sie einige Tage Zurückhaltung und Sie werden eine Senkung des Preises erzwingen, denn der schönste Spinat ist unverkäuflich, wenn der Konsument den geforderten Preis nicht zahlen will.“ Das wäre Konsumentenberatung, das wäre Wirtschaftspolitik in der Praxis gewesen!

Dieser rein materialistischen Auffassung des Preisproblems steht heute eine sittliche gegenüber, die in dem Begriff der „sozialen Marktwirtschaft“ zum Ausdrück kommt. Das Realeinkommen weiter Bevölkerungskreise, besonders der geistigen Berufe und der Ernährer mehrköpfiger Familien, entspricht weder der von ihnen erbrachten Leistung noch ihren gerechten Lebenshaltungsansprüchen. Es muß daher vom Unternehmer ebenfalls eine gewisse Beschränkung in seinen Ansprüchen verlangt werden. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen verstößt die bedenkenlose Ausnützung einer Konjunktur gegen die Sittlichkeit und gefährdet das Gemeinschaftsleben. Im Hinblick auf den konkreten Fall des Preises für Frühgemüse sei festgestellt, daß nur die Erzeuger einen höheren Preis zu fordern berechtigt waren. Das gleiche gilt für den Fleischpreis, der, insofern es um den Zuschlag der Handels- oder Bearbeitungsspannen geht, unter allen Umständen als überhöht zu betrachten ist. Wollten sich die Frauen endlich der Macht bewußt werden, die ihnen die freie Wirtschaft einräumt! Eine fühlbare Einschränkung des Fleischkonsums zugunsten des Gemüseverbrauches kann eine Fleisdiverbilligung herbeiführen und ist in der warmen Jahreszeit überdies der Gesundheit zuträglicher!

Und nun zurück zu den Lohnforderungen. Ganz abgesehen davon, daß die Lebenshaltungskosten im Durchschnitt der Monate Jänner bis Juni 1954 niedriger sind als zur gleichen Zeit des Jahres 1952, mußte ein denkender Konsument — etwa ein Angestellter mit schmächtiger Geldbörse — die aus der Ingangsetzung der Lohn-Preis-Schraube drohende Gefahr erkennen. Bundeskanzler und Finanzminister haben wiederholt betont, daß wir die Stabilität täglich neu erkämpfen müssen; aber auch ohne diese Warnung ist es heute doch jedem klar, daß der mit Lohn- Preis-Abkommen gepflasterte Weg zurück ins Darben und zur Inflation, niemals aber zur Hebung des Lebensstandards und zur Beschäftigung der Arbeitslosen führt. Im Oesterreichischen Gewerkschaftsbund dagegen herrscht keineswegs eine einheitliche Auffassung, denn in einem Atemzug unterstützt man einerseits die Forderungen nach Lohnerhöhungen und verlangt anderseits, unter Ablehnung des Hinaufnumerierens der Löhne, ebenso energisch eine Erhöhung des Realeinkommens.

Mußte der Konsument auf Grund der Erfahrungen der letzten Monate mit der Vertretung seiner Interessen unzufrieden sein, so nahm ihm die Haltung der Gewerkschaft im Bäckerkonflikt den Rest des Vertrauens. Dieser der Oeffentlichkeit in allen Einzelheiten bekannte Konflikt darf trotz seiner bloß lokalen Bedeutung nicht zum „Sturm im Wasserglas“ verharmlost werden. Die in diesem Betrieb zutage getretene Auffassung über die Verwendung eines Produktivitätserfolges, die mit dem Sinn einer Leistungssteigerung im schärfsten Widerspruch steht, wird offensichtlich von der Leitung des Gewerkscbaftsbundes geteilt. Darin liegt aber eine große Gefahr, der im Interesse der Gesamtwirtschaft entgegengetreten werden muß.

Wie schon die Bezeichnung „Automatöfen“ besagt, bringt diese Einrichtung neben einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die bei den Oefen Beschäftigten sicher auch Ersparnisse an Arbeitszeit, Heizmaterial usw. mit sich, die sich in Geld ausdrücken lassen. Bei Aufnahme des Betriebes anfangs dieses Jahres verzichtete die Fabrikleitung — vermutlich aus sozialen Rücksichten — auf einen Abbau der überzählig gewordenen Arbeitskräfte und regelte den Betrieb derart, daß die gleiche Anzahl Ofenarbeiter für zwei Arbeitsstunden bei Nacht und vier Arbeits-

stunden sowie eine Ruhestunde bei Tag, mithin für insgesamt sechs Stunden effektiver Arbeit den Lohn für neun normale Arbeitsstunden erhielt. Man kann ohne weiteres annehmen, daß durch diese Konzession der Effekt des Produktivitätserfolges zum größten Teil verbraucht wird. Den Rest dürfte das

Unternehmen zur Amortisation des investierten Kapitals verwenden.

Nach Ablauf einiger Monate forderte eine andere Gruppe von Arbeitern, die nicht im Ofenbetrieb beschäftigt ist, ähnliche Begünstigungen, wie man sie den Ofenarbeitern zugestanden hatte, mit der Begründung, auf diese Weise einer Entlassung von Arbeitskräften vorzubeugen. War schon das erste Abkommen mit den Ofenarbeitern fehlerhaft, so hat der mit den Kühlern und Mischern zustande gekommene Vergleich nicht den Schein einer Berechtigung. Das Vorgehen charakterisiert sich vielmehr als krasser Gruppenegoismus, da ein Teil der Ersparnisse, die sich aus dem Betrieb von Automatöfen ergeben, auch zur Senkung des Brotpreises dienen sollte. Ob diese fühlbar geworden wäre, ist hier nebensächlich. Eine Produktivitätssteigerung verfehlt ihr Ziel,

wenn sie nicht durch Verbilligung des Erzeugnisses zu einer Vermehrung des Absatzes, Belebung der Produktion und schließlich zur Schaffung von Arbeitsplätzen führt.

Abgesehen davon stellt die Verbilligung des Preises auch eine gerechte Lösung dar, denn damit kommen breitere Kreise der arbeitenden Bevölkerung in den Genuß der Früchte, nicht zuletzt jene, von deren Fleiß und geistiger Leistung der wirtschaftliche Fortschritt abhängig ist! Und gibt schließlich nicht auch jeder Arbeiter und Angestellte sein Bestes an dem Platz, an den er eben gestellt ist? Sollen alle diese Konsumenten verkürzt werden zugunsten einer Gruppe, die sich höhere Rechte anmaßt und ihre Ansprüche durch Streik durchzusetzen wagt? Hier wäre die Gelegenheit, wahre Solidarität zu betätigen!

Und noch eines soll nicht vergessen werden: Woher kommen die Geldmittel, die zur Beschaffung neuer, der Produktivitätssteigerung dienender Betriebseinrichtungen und zur Belebung der Bauwirtschaft erforderlich sind? Eine kürzlich durchgeführte Marktforschung hat die alte Erfahrung bestätigt, daß gerade die Spartätigkeit des bescheidenen Mittelstandes, der nicht an den Besitz eines Motorrades denken kann und auf manche kleine Freude verzichtet, namhafte Summen zur Verfügung stellt und dadurch der Wirt-, schäft wertvollste Dienste leistet. Wäre es nicht ein grobes Unrecht, diese opfermutigen , Geldgeber vom Genuß der Früchte einer; Produktivitätssteigerung auszuschließen?

Schließlich noch ein Wort an die Männer, die unsere Wirtschaft lenken, Unternehmungen führen oder die Wirtschaftspolitik sonst beeinflussen. Erinnern wir uns doch, welche Lehren aus dem Wirtschaftsablauf des Vorjahres gezogen wurden. Der Erfolg des Jahres 1953 war nur einer außerordentlichen Exportkonjunktur zuzuschreiben, hingegen zeigte der Binnenmarkt eine nun schon Besorgnis erregende Schwäche. Dies veranlaßte die Fachkreise, als wichtigste Aufgabe die Belebung des Inlandskonsums hinzustellen. Die erste Voraussetzung dazu ist die Hebung des Realeinkommens der Unselbständigen oder — deutlicher gesagt — eine Senkung der Preise, begleitet von einem . entschiedenen Festhalten an dem jetzigen Niveau der Arbeitsentgelte.

Die Regierung hat alles getan, um einer Wirtschaftsexpansion die Wege zu ebnen. Wo bleibt die wagemutige Unternehmerinitiative, wo sind heute die Männer, die im Herbst 1951 den Mut aufbrachten, die Preissenkung herbeizuführen? Sie ist heute nicht allein ebenso notwendig wie damals, sondern yiei leichter durchführbar; es muß nur das im Produktivitätsabkommen von beiden Partnern gegebene Wort gehalten werden.

Wir Konsumenten geben uns nicht der Illusion hin, den österreichischen Markt zu „beherrschen“. Hingegen glauben wir, mit vollem Recht fragen zu dürfen, wann endlich die Milliarden an ERP-Krediten auch für uns Früchte tragen werden. Wir Konsumenten erwarten daher ein großzügiges Konzept, das auf eine Mengenkonjunktur abzielt, wir warten auf die Männer, die Herz und Stärke genug haben, allen Wirtschafttreibenden klarzumachcn, daß man die Preise der Kaufkraft der Bevölkerung anpassen muß und daß „großer Umsatz bei kleinem Gewinn“ das Alpha und Omega der Geschäftstüchtigkeit ist.

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