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Digital In Arbeit

Die klassische Situation

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Das erste Argument ist gewissermaßen das konservative: es werden Relationen von früher, ein Status quo ante angestrebt. Das zweite ist das dynamische Argument: ohne Bezugnahme auf andere Gruppen wird eine Ausweitung der eigenen Einnahmen angestrebt, wird eine Neubewertung verlangt. Am direktesten trat diese Forderung jüngst auf, als der mit sechs Schilling und etlichen Groschen angesetzte „Wert“ einer Ordination zur Diskussion gestellt wurde.

Mit dieser Frage nach dem „Wert“ einer Ware oder Leistung wird die Frage nach dem gerechten Lohn, dem gerechten Preis, aufgeworfen. In der extrem liberalen Marktwirtschaft läßt sie sich noch relativ leicht beantworten: das Spiel von Angebot und Nachfrage regelt alles. Wird aus irgendeinem Grund das Fleisch knapp, dann wird es solange teurer, bis die Nachfrage auf das Niveau des Angebots gesunken ist. Werden keine Kachelöfen mehr verlangt, dann müssen die Hafner und ihre Familien und Arbeiter eben hungern. Der gerechte Lohn, der gerechte Preis sei der erzielbare Preis und Lohn.

Diese absolute Marktwirtschaft nimmt in dem Augenblick ein Ende, da Mindestlöhne und Sozialversiche-rungsbestimmungen eine untere Grenze setzen. Wenn gleichzeitig durch Gesetz 'oder Steuerschraube dem Lohn und Gewinn auch nach oben hin eine Grenze gesetzt wird, wird die Frage nach dem gerechten, dem gerechtfertigten Lohn und Preis immer schwieriger zu beantworten. Die reine „Marktsituation“ hat jetzt nur noch geringen Spielraum, und so gilt es, nach anderen Kriterien zu suchen.

Am verlockendsten wäre es natürlich, die „Leistung“ zu bezahlen, aber wie will man die Leistung messen? Im Zusammenhang mit dem drohenden Postlerstreik wurde argumentiert, daß die Lohnforderungen ja nur soviel ausiiiuk

Verwaltung an einem einzigen Tag Das heißt natürlich, konsequenl weitergedacht, daß jede Gruppe ihre Forderungen in ein entsprechendes Verhältnis zu dem von ihr betreuten Betrieb bringen darf. Damit kämen Schlüsselberufe des modernen Lebens zu exorbitanten Spitzengehältern: das Personal im Telephondienst, in den Umspannwerken und im Gütertransport könnte gar nicht hoch genug bezahlt werden. Umgekehrt könnte man über einen Lehrerstreik monate-, ja jahrelang mit Achselzucken hinweggehen, da die Auswirkungen ja lange Zeit nicht allgemein fühlbar wären. Die Beamten in den verschiedenen Ministerien wiederum müßten höchst unterschiedlich entlohnt werden — von Spitzengehältern für Finanzamts-•eferenten bis zu Mindestlöhnen für Hofräte im Unterrichtsministerium. Der Arbeiter im Braunkohlenbergbau nüßte vom Existenzminimum leben, während sein Kollege in einer anderen ndustrie das Vier- und Achtfache er-lielte.

Rein nach der Machtposition — die ibrigens fast identisch ist mit der ilten klassischen Marktsituation — >eht es also nicht. Das zeigt sich auch sei den Bestrebungen nach einer Sozialdividende oder Gewinnbeteiligung im Betrieb, Die Tabakregiearbei-:er würden reich, die- Eisenbahner jingen zugrunde. Und wenn man !elbst die Einnahmen der verstaatlichen Industrie nicht dem Staatshaus-lalt, sondern den Arbeitnehmern zu-ühren wollte, ja wenn man das ge-;amte Volkseinkommen systematisch luf die Bevölkerung aufteilen wollte — lann stünde man wieder vor der :rage: Wie? Wem mehr und wem veniger?

Der Kommunismus hat dafür ein heoretisches Rezept, und das heißt: Jedem nach seinen Bedürfnissen“ —

aber die Bedürfnisse müssen erst recht von oben festgelegt und begrenzt werden, denn in dem Augenblick, wo „Bedürfnis“ mehr ist als das lebenserhaltende Minimum an Kleidung und Nahrung, wird es zum subjektiv gefärbten „Wunsch“. Im übrigen ist die Sowjetunion diesem Ziel in vierzig Jahren um keinen Schritt nähergekommen: die Diskrepanz in den Löhnen hält jedem Vergleich mit dem Westen stand.

Ideal wäre die Bezahlung nach individueller Tüchtigkeit, nach persönlicher Leistung. Nun läßt sich diese aber zur Not im Produktionsvorgang noch abstoppen oder messen — und selbst dort wird ihr von der organisierten Arbeiterschaft ein Riegel vorgeschoben: „Antreibermethoden“ sind nur in Diktaturen gestattet, in den Demokratien sehen die Gewerkschaften sorgsam darauf, daß nicht durch ehrgeizige Einzelgänger der Arbeitsrhythmus zu hektisch wird. Vollends aber versagt jede ,,Stücklohn“-Berechnung bei den Verwaltungs- und Dienstleistungsberufen. Es ist klar, daß die Fähigkeit eines Beamten nicht an der Zahl der von ihm erledigten Akten gemessen werden kann, ebensowenig wie die Zahl der behandelten Patienten etwas Positives über die Tüchtigkeit des betreffenden Arztes aussagen muß.

So kommt es also dazu, daß nicht die individuelle Leistung als Lohnmaß herangezogen werden kann, sondern die Tätigkeitsart, die Position. Der Kollektivvertragslohn für einen Elek-tromechaniker im Kfz-Gewerbe mit sieben Dienst jähren beträgt unverändert soundsoviel, ob der Mann nun gewissenhaft und tüchtig oder nachlässig und faul ist. Für die Konsultation eines Rechtsanwaltes sind bestimmte Tarife ausgearbeitet, und überhaupt ist in fast jedem Beruf Lohn und Einkommen zugunsten der Besten und zugunsten der Schlechtesten nivelliert. (Nur in manchen ganz freien „Modeberufen“, etwa bei Filmstars oder Schlagersängern, wird das andere Extrem erreicht, daß mittlere und kleine Begabungen durch Glück usw. Summen verdienen, von denen talentiertere Kollegen nicht einmal ein Zehntel erreichen.)

Das Kriterium für den gerechten Lohn ist aber damit noch immer nicht gefunden. Wenn wir eine rein individuelle Entlohnung als unmöglich abgetan haben, so gilt es nun, wenigstens die Stände und Positionen „gerecht“ zu klassifizieren — und wieder halten wir Umschau nach dem Maßstab. Im Ärztekonflikt wurde in die Debatte geworfen, daß vom Arzt Menschenleben abhängen und diese segenbringende Tätigkeit besser honoriert werden müsse. Im Gegenargument wurde diese Feststellung ad absurdum geführt: der Wert eines Menschenlebens übersteigt auf jeden Fall die Honorierung eines Krankenscheins, auch wenn der Arzt das Zwanzigfache dafür erhielte. Weiter kämen wir auf diese Weise dazu, daß alle Berufe, die Gefährdung oder Rettung vor Gefahr in sich schließen, in die Spitzengruppe aufrücken würden: 15.000 Schilling monatlich für Rettungsdienstfahrer, 20.000 für Sehrankenwärter, 30.000 für Lokomotivführer. 300.000 für Herzchirurgen, und Bagatellbeträge für Schauspieler, bildende Künstler, Physiker, Dermatologen, Astronomen und Finanzbeamte.

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