6547664-1947_24_06.jpg
Digital In Arbeit

Der Soziallohn

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist durchaus möglich, daß die Veröffentlichung zweier Gesetzesentwürfe, welche den Soziallohn zum Gegenstand haben *, gegeignet ist, die Diskussion um diese Frage, insbesondere um den Familienlohn, wieder aufzufrischen, in Fortsetzung der darüber in der ersten Republik oft geradezu leidenschaftlich geführten Auseinandersetzungen. Mit der Wiederaufnahme des unterbrochenen Gespräches wäre neuerlich die Möglichkeit der Realisierung einer großen sozialreformatorischen Idee nähergerückt. Die Versuche zur Einführung des Soziallohnes bewegen sich aber auf der Linie jener Bestrebungen, die eine Neuverteilung des Sozialprodukts und eine nachfolgende Aufhebung der kapitalistischen Eigentumsordnung zum Ziele haben und stehen daher mit am Beginn eines Neubaues der Gegenwartsgeselischaft.

Was ist nun der Soziallohn? Ist er gleichzusetzen mit dem Normallohn, ist er eine karitative Geste oder etwa der in Lohnform gegossene volle Arbeitsertrag?Zuerst zum Normallohn. Er stellt sich in dieser Zeit als ein Leistungslohn dar, nicht mehr als Ergebnis des Diktats von kapitalistischen Sklavenhaltern, sondern als ein Versuch, dem, was wir allgemein als einen „gerechten Lohn“ bezeichnen, näherzukommen.

Der Betrieb, als eine durchaus rationelle ökonomische Organisation, beherrscht von einem Denken in Aufwand und Ertrag, vermag grundsätzlich nur Leistungselemente wägend abzugelten. Anderen Bestimmungsgründen des Lohnes als jenen der Leistung muß sich der einzelne Betrieb, solange er im Zusammenhang des privaten oder gruppenmäßig gegliederten Wettbewerbes steht, verschließen. Der Leistungslohn kennt keine Rückbeziehung etwa auf den Bedarf des Lohnempfängers, auf den Bedarf einer Familie, und ist so eindeutig nur auf die Leistung und auf den Leistenden ausgerichtet.

Anders dagegen der Soziallohn, der aus zwei Schichten besteht;dem Normallohn als Abgeltung tatsächlicher innerbetrieblicher Leistungen und

Zusätzen, deren Höhe von sozialen Rücksichten und vom Durchschnittsbedarf der vom Lohnempfänger zu erhaltenden Menschen, also von sozialen Leistungen, bestimmt ist. “' „JV “-“* (tS^pWOU 3^*11 U

In einer geordneten Gesellschaft sollte der Normallohn zum Soziallohn und dieser zum Mindestlohn erhoben werden, um jedem Menschen die Chance eines vollen Lebens zu geben. Auch der Unverheiratete müßte soviel an Lohn erhalten, daß er sich einen Fundus zur Familiengründung schaffen könnte. Die Mindestlöhne sind aber derzeit bestenfalls auf den Bedarf jenes Ledigen abgestellt, der nicht gewillt ist, eine Familie zu gründen.

Eine Lohnhierarchie mit dem Soziallohn als Mindestlohn setzt aber einen bestimmten Volkswohlstand der Nation voraus, von dem wir noch weit entfernt sind Daher das Kompromiß des- Familienlohnes. Auch er ist ein Soziallohn, und zwar jene Art, bei der in Zuschlagsform die Kosten der Familienerhaltung, soweit sie eine schwere, kaum erträgliche Last sind, abgegolten werden. Es ist müßig, in diesem Zusammenhange bevölkerungspolitische Erwägungen anzustellen. Gewiß spielen die materiellen Bedingungen für die Bevölkerungsbewegung eine große Rolle Ich bin aber der Ansicht, daß der Wille eines Volkes zum Leben in ungleich größerem Ausmaß von geistigen Antriebskräften gespeist, als vom Materiellen her bestimmt wird. Wer vermag nun den Familienlohn, deutlicher: die Zuschläge zum Normallohn, zu zahlen? Jedenfalls nicht der Betrieb. Den Familienlohn in dieser Zeit zum allgemeinen Entlohnungssystem zu dekretieren, wäre ökonomisch widersinnig und einer Abkehr zum Romantizismus gleich, da die Betriebe dann in der Gestaltung ihrer Lohnkosten den Zufälligkeiten der Familiengröße der Betriebsangehörigen ausgeliefert wären. So kann der Familienlohn, das will besagen, der über den Normal- (Leistungs-) Lohn hinausgehende Zuschlag, nur überbetrieblich abgegolten werden.

Wenn nicht die Mittelaufbrin-g u n g zu einer unerträglichen Last für die Allgemeinheit werden soll, ist es unerläßlich, die Zahl derer zu begrenzen, die in den Genuß des Familienlohnes kommen können. Etwa nur die sogenannten „Kinderreichen“ unH auch \on diesen lediglich bestimmte Einkommenkategcrien.

Uber die Höhe der Zulage müßte vorrangig die Höhe des jeweiligen Volkseinkommens entscheiden. Für die Bemessung selbst aber kommt nur der gesellschaftlich Durchschnittsbedarf in Betracht. Hier it, um annähernd brauchbar Ziffern zu erhalten, eine Beachtung des Haushaltes als Betrieb der letzten Konsumfertigung notwendig. Wie jeder Betrieb, kennt auch der Haushalt feste und bewegliche Kosten. Die beweglichen Kosten sind jene, die mit dem Familienstand wachsen; Nahrung und Kleidung sind typische Kostenelemente dieser Art. Nun ist es so, daß der Haushalt einen nach der Familiengröße durchaus verschiedenen Anteil seines Einkommens für Nahrung und die Deckung sonstiger Existenzbedürfnisse, die sich zu beweglichen Kosten verdichten, auszugeben gezwungen ist*, während ihm für jene zusätzlichen Bedürfnis, deren Befriedigung das Leben oft erst lebenswert machen, ein Bestandteil vom Einkommen verbleibt, der ich mit der Größe der Familie relativ verringert.

Wenn nun im Familienlohn nur bestimmt Kosten abgegolten werden sollen, so wäre es wohl angezeigt, zuvorderst die beweglichen Kosten mitzutragen, jene Kosten, die mit dem Wachsen der Familie irgendwie in einem Verhältnis stehen und den Kinderreichen zusätzlich belasten.

Der Bedarf kann aber nicht schematisch nach Familienangehörigen bemessen werden, sondern muß, wenn er ungefähr richtig ermittelt werden soll, von der statistischen Hilfsfigur der sogenannten „Vollperson“ ausgehen. Unter Vollperson versteht man, insbesondere bei der Feststellung des Nahrungsmittelbedarfes, den relativ stärksten Konsumenten in der Haushaltsgemeinschaft, also den erwachsenen Mann. Die Frau wird mit 0,8, die Kinder werden mit 0,1 bis 1 angenommen. Wenn dies statistische Figur der Vollperson freilich auch nur für eine Bedarfsäußerung Bedeutung hat, kann rnan sich ihrer doch beim Familienlohn um so eher bedienen, als ja der Lebensmittelverbrauch einen um so größeren Anteil der Haushaltsausgaben annimmt, je größer der Familienstand ist.

Jedenfalls ist es unerläßlich, Einkommen und Bedarf, auf Vollpersonen umgerechnet, in ein Verhältnis zu setzen, ausgehend von der Erkenntnis, daß keineswegs der Nominallohn über die Lebenshaltung entscheidet, sondern die Familiengröße*.

Di Mittelaufbringung ist in der bisherigen Diskussion die entscheidend Frage -gewesen., Selbstverständlich. Die Vorschläge bewegen sich von der Einhebung von Zwecksteuern über fürsorgerische staatliche Zuschüsse bis zur freiwilligen Beitragsleistung. Auch der indirekte, vom Deutschen Reich angestellte Versuch; über die Steuerprogression dem Kinderreichen ein höheres Nettogehalt zu sichern, verdient ernste Beachtung.

Rückblickend auf die in der ersten Republik angestellten Versuche, muß man feststellen, daß zwar damals ungemein viel über die Frage des Familienlohnes geschrieben wurde, aber kein einziger entscheidender Ansatz zu einer Lösung sichtbar war.

Jeder, der in dieser Zeit beispielsweise Staatsangestellter war, wird sich noch der famijienfeindlichen Besoldungsordnung erinnern, die insbesondere für die Vertragsbediensteten einem Zwang zum Zölibat gleichkam und jede Einbeziehung der großen Gedanken päpstlicher Sozialrundschreiben, über die doch allenthalben dickleibige Kommentara abgefaßt wurden, in die staatliche Verwaltung vermissen ließ. Es hat mit zur Tragik des geschichtlichen Ablaufes der ersten Republik gehört, daß eine liberale, auch heute noch lebendige Hochbürokratie vom Kommandostand der Schreibtische aus große und kühne Gedanken zu Aktenzahlen verwandeln durfte.

Es läßt sich“ dies vielleicht nirgendwo drastischer feststellen als bei der Entlohnung des Bediensteten des Staates, der doch als Erstverantwortlicher die Gedanken einer Verfassung führend verwirklichen sollte.

Ich kann mir die Aufzählung von vielen Beispielen ersparen, es genügt eines: Als Resultat eines fast zwanzigjährigen Kampfes der niederösterreichischen Straßenwärter erhielten diese schließlich von der zuständigen Stelle eine Kinderzulage von 3 S im Monat, also 10 Groschen im Tag. Sollte vielleicht auf diese Weise die Enzyklika „Quadragesimo anno“ verwirklicht werden? Der Familienlohn ist kein Almosen, sondern ebenso ein aus einem nationalen Rechtsanspruch abgeleiteter Leistungslohn, wenn auch ein gesellschaft-

• So ergibt sich au statistischen Ermittlungen der Jahre 1927/1928 für Deutschland, daß Arbeiterhaushalte im Durchschnitt 45 Prozent, Beamtenhaushalte etwa 33 Prozent für den Nahrungsmittelkonsum ausgeben.

Vgl. dazu: Alfred M i g s c h: „Der Familien-. lohn*', Wien 1938, S. 38.lieber, wie der Normallohn. Er darf sich aber nicht als „milde Gabe“, als belanglose Gerte äußern, sondern soll einen wesentlichen Beitrag zur Entproletarisierung der Familie und zum weiteren Abbau der kapitalistischen Gesellschaftsordnung darstellen.

Der Mensch muß sich wieder durch eine richtige Mittelzuteilung, gleich, ob diese fürsorgerisch oder in Lohnform erfolgt, zur Vollperson erheben können. Wi aber könnte dies anfänglich besser und entscheidender geschehen, als über den Familienlohn als Bedarfsdeckungslohn? Hier wäre eine Möglichkeit . gegeben, die absolute Rechenhaftigkeit des Kapitalismus durch das soziale Leistungsprinzip zu liquidieren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung