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Eine Analyse wie von „Eirdonauten“

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Eine Analyse wie von „Er-donauten“ fremder Sterne, anders gesagt: ein bisserl weltfremd. Das stört den ehemaligen Nationalbankpräsidenten am Text zum Sozialhirtenbrief.

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Eine Analyse wie von „Er-donauten“ fremder Sterne, anders gesagt: ein bisserl weltfremd. Das stört den ehemaligen Nationalbankpräsidenten am Text zum Sozialhirtenbrief.

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Im Kapitel über die Erwerbsarbeit wird im Diskussionstext für einen Sozialhirtenbrief (FURCHE 37/1988) behauptet, daß in unserer Gesellschaft Einkommen und Lebenschancen fast ausschließlich über Erwerbsarbeit verteilt werden. In Wahrheit gibt es große Bevölkerungsgruppen, deren Einkommen nicht oder nicht nur über Erwerbsarbeit verteilt werden: Wie zum Beispiel die Bezieher der Familienbeihilfe und die vielen zum Bezug der Sozialhilfen und Ausgleichszulagen Berechtigten, oder deren Lebenschancen überhaupt nicht an Erwerbsarbeit gebunden sind, wie etwa die bei der Krankenkasse mitversicherten und damit am öffentlichen Gesundheitsdienst teilhabenden Familienangehörigen sowie alle diejenigen, die ihre Bildungschancen dem freien Zutritt zu den öffentlichen Schulen aller Kategorien verdanken.

Kann ferner wirklich - wie die Autoren des „Grundtextes“ meinen — behauptet werden, daß der Arbeitsbegriff im Sprachgebrauch oder in der allgemeinen Meinung auf Erwerbsarbeit beschränkt ist? Sind wir nicht alle gewohnt, von Hausarbeit, Gartenarbeit zu sprechen und ebenso künstlerische Tätigkeiten, Hobbys, Lernen, Studieren und Weiterbildung als „Arbeit“ zu bezeichnen und damit auch als Arbeit gelten zu lassen?

Im Text steht, daß das Arbeiten in der Familie und die Kindererziehung nicht entlohnt werden. Es ist dies eines der Beispiele, wie stereotype Irrtümer, die oft zu hören sind, ganz einfach kritiklos übernommen werden, ohne einer kritischen Analyse unterworfen zu werden.

Diese Arbeiten werden nicht unentgeltlich geleistet. Das Entgelt dafür ist das gesetzlich verankerte Recht der Gattin und Mutter auf einen standesgemäßen Unterhalt durch den Familienerhalter sowie ihre volle Teilnahme am Vermögenserwerb des erwerbstätigen Familienerhalters während der Ehe. Beide sind in Geld bewertbare und rechtlich erzwingbare Ansprüche, die meist erst in einem Unterhalts- oder Vermögensteüungsprozeß bewußtgemacht und quantifiziert werden. Auch die nicht-berufstätige Mutter wie auch die Kinder sind überdies ohne zusätzliche Kosten kranken- und rentenversichert.

Im Kapitel „Arbeitslosigkeit“ ist zu lesen: „Unsere Gesellschaft spaltet sich immer mehr in Menschen, die relativ sichere Arbeitsplätze und gute Einkommen haben und solche, die sich mit unsicheren Arbeitsplätzen und schlecht bezahlten Tätigkeiten, die immer wieder durch Perioden der Arbeitslosigkeit unterbrochen werden, zufriedengeben müssen.“ Der Behauptung, daß es „immer mehr“ sind, liegt keinerlei Hinweis zugrunde, an welchen Zeithorizont dabei gedacht ist. Für einen gar nicht so langen Zeitraum der letzten 50 bis 100 Jahre gab es noch nie so viele Menschen mit verhältnismäßig sicheren Arbeitsplätzen und verhältnismäßig gutem Einkommen wie heute. In dieser Zeit sind es viel mehr Menschen gewesen, die ohne Einkommen und Arbeit gewesen sind.

Haben die Autoren lediglich die Konjunkturphase der letzten Jahre vor Augen, dann sind heute wieder steigende Arbeits- und Einkommenschancen festzustellen. In Österreich haben wir praktisch einen Zustand der Vollbeschäftigung. Die Ergiebigkeit des Arbeitsmarktes an knappen Arbeitskräften ist praktisch ausgeschöpft. Auch das Sonderproblem der sogenannten Langzeitarbeitslosigkeit muß im“ Zeitvergleich gesehen werden.

Zu den irrigen Analysen zählt auch die Meinung, die offenbar dem Kapitel „Arbeitslosigkeit — schlittern wir in eine Zweidrittelgesellschaft?“ zugrunde liegt: daß wir nämlich einer sogenannten „Zweidrittelgesellschaft“ zustreben. Dieser Begriff wird im Grundtext überhaupt nicht erläutert.

Was darunter zu verstehen ist, geht aber aus den Publikationen der Katholischen Sozialakademie und ihrer Mitarbeiter hervor: Eine Gesellschaft, in der die einen reich sind, weil die anderen arm sind; so als ob jede Frage der Einkommensverteilung und der Vermögensbildung in einer dynamischen Gesellschaft ein Nullsummenspiel wäre. Was einer mehr hat, muß ein anderer zuwenig haben.

Zum Kapitel „Frauen“: Kann denn wirklich behauptet werden, daß verheiratete Frauen, wenn sie arbeitslos werden, oft unter das Existenzminimum fallen? Das hängt doch ganz vom Einkommen des dann alleinverdienenden Ehegatten ab, wobei die Ehegattin nach dem derzeitigen Rechtsstand Arbeitslosengeld bezieht. Und wäre das Einkommen für beide zuwenig, dann fällt nicht nur die Frau, sondern auch ihr Mann unter das Existenzminimum.

Oder zum Kapitel über internationale Verflechtungen: Die unterschiedlichen Entwicklungen in den reichen und in den armen Ländern sind entgegen der Meinung des Grundtextes nicht nur auf mangelnde Tugendhaftigkeit („Gier nach Profit und Verlangen nach Macht um jeden Preis“) zurückzuführen, sondern auf den ebenso wesentlichen Mangel an Wissen über die Wirtschaftsordnung, die darüber entscheidet, wie die Ressourcen eines Landes optimal genutzt werden und auf die Befangenheit in falschen ideologischen oder religiösen Vorstellungen, denen mit gutem Gewissen — wenn auch irriger Weise — gefolgt wird.

Diese Korrektur der sogenannten Analyse ist notwendig, damit wir sehen, daß wir nicht darauf warten müssen, bis diese notwendigen Bekehrungen alle stattgefunden haben (das wäre eine Utopie), sondern daß wir durch die Propagierung und Förderung ordnungspolitischer Maßnahmen den Zielen näherrücken können, unter Akzeptierung der Menschen wie sie ganz einfach sind.

Man hat beim Lesen jener Teile, die im Grundtext als „Analyse“ bezeichnet werden, oft den Eindruck, sie wären von „Erdonau-ten“ fremder Sterne geschrieben, wo paradiesische Zustände herrschen, die mit Brillen ausgestattet wurden, um die negativen Strahlen aufzunehmen. Und dann hätten sie das, was sie gesehen haben, mit dem verglichen, was sie zu Hause gewohnt waren. Das Ergebnis unserer zeit- und geldaufwendigen Sozialpolitik steht sicherlich in keinem Verhältnis zum Erfolg. Aber erfolglos war sie ebenso sicherlich nicht.

Der Autor ist ehemaliger Finanzminister und Nationalbankpräsident a. D. Auszug aus einem Vortrag bei der Politischen Matinee des OCV am 26. November 1988 in Wien.

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