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Was sind uns Kinder wert?

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Ein mit Spannung erwartetes Urteil des Verfassungsgerichtshofes birgt gesellschafts- und parteipolitische Sprengkraft.

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Ein mit Spannung erwartetes Urteil des Verfassungsgerichtshofes birgt gesellschafts- und parteipolitische Sprengkraft.

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Was bedeuten Ihnen Kinder? Sind das für Sie nur jene ständig raunzenden, mit rinnenden Nasen und schmutzigen Händen herumkrabbelnden oder -laufenden, Zeit, Geld und Nerven kostenden kleinen Quälgeister, die man sich lieber nicht anschafft oder, wenn sie schon da sind, möglichst irgendwo deponiert?

Oder sind das für Sie jene zwar anstrengenden, bei Krankheit oder Schulproblemen schlaflose' Nächte und konfliktreiche läge bescherenden, aber letztlich doch sehr liebenswerten Lebewesen, für die Sie gerne mehr Zeit hätten und deren Entwicklung, deren

Lachen und Weinen, Sie mit Freude und Anteilnahme begleiten, auch wenn Sie vielleicht aus irgendwelchen Gründen nicht selbst Vater oder Mutter geworden sind?

Wie kalt und grau wäre unsere Welt ohne Kinder, wie falsch wäre es, sie ausschließlich unter dem Aspekt zu sehen oder zu bekommen, daß schließlich irgendwer für die heutigen Erwachsenen sorgen muß, wenn sie alt werden. Aber wie ungerecht wäre es auch, Kinder nur als Privatvergnügen ihrer Eltern zu betrachten und diesen zu allen psychischen und physischen Lasten, die Kinder - neben vielen Freuden - auch mit sich bringen, noch die materiellen Probleme ganz oder weitgehend allein zu überlassen.

Und genau darum geht es in der ständig neu aufflammenden Diskussion über „Familienförderung". Das Anführungszeichen ist mehr als berechtigt, denn von „Förde-

rung" im Sinne von Subventionierung der Familien kann ja nur bei denen mit ganz niedrigem Einkommen die Bede sein. Bei den anderen geht es aber darum, daß ihnen die Finanzbehörde von ihrem selbst sauer verdienten Geld nicht jede Menge an Steuer wegnimmt, als ob es egal wäre, wieviele Personen von einem Einkommen leben müssen. Daß es derzeit in Österreich 100.000 Familien mit 270.000 Kindern an oder unter der Armutsgrenze gibt, sollte zu denken geben.

Daß das Steuerrecht darauf Bücksicht nehmen muß, ob jemand mit seinem Einkommen nur für sich selbst oder auch noch für andere zu sorgen hat, wurde vom Verfassungsgerichtshof bereits 1992 unmißverständlich festgestellt, was die derzeit geltende Bege-lung (zur Kinderbeihilfe kamen noch Absetzbeträge hinzu) zur Folge hatte. Ob das in ausreichendem Maß geschieht, das müssen die Verfassungsrichter aufgrund einer neuerlichen Eingabe eines Familienvaters in den nächsten Wochen entscheiden.

In den politischen Parteien werden bereits für die Zeit nach dem Urteil Modelle erarbeitet. Um jetzt schon Forderungen der Familien den Wind aus den Segeln zu nehmen, hob Bundeskanzler Franz Vranitzky hervor, der Staat gebe ohnedies über 200 Milliarden Schilling pro Jahr für die Familien aus. Daß der größte Teil davon nicht direkt an die Familien, sondern in das Schul-und Sozialsystem fließt und dort zahllose Arbeitsplätze von Erwachsenen, vermutlich auch von vielen Kinderlosen sichert, sagte der Kanzler nicht. Dagegen sprach er sich für eine stärkere „soziale Staffelung" von Leistungen für die Familien aus, was aber auch am Kern des aktuellen Problems, der Steuefgerechtig-keit, vorbeigeht. Steuerpolitik und Sozialpolitik sollten zwei einander ergänzende, aber eben doch verschiedene Paar Schuhe sein.

Aber anscheinend können die Sozialdemokraten gewisse ideologische Schatten schwer überspringen. Dazu gehört die Tendenz, erst einmal den Staat abkassieren zu lassen und dann

großmütig den Bürgern „Förderungen" zukommen zu lassen, und diese oft nicht bar auf die Hand, sondern als Sachleistungen (Schülerfreifahrt, Schulbücher), die nicht( grundsätzlich in Frage zu stellen sind, aber viel sparsamer als derzeit erbracht werden könnten. In diesem Bereich - Familienbeihilfen, Transferleistun -gen - sind Überlegungen hinsichtlich einer „sozialen Staffelung" aber durchaus legitim und angebracht.

Auf der Steuerseite ist zu erwarten, daß der Verfassungsgerichtshof die derzeitige Be-gelung nicht für ausreichend erachtet. Ob er dabei, wie manche fürchten, sogar eine Rege-

lung befürwortet, die Beichen höhere Absetzbeträge zugesteht als Armen (weil Kinder von Millionären ja „standesgemäß" auch Beitstunden und dergleichen bekommen müssen), bleibt abzuwarten. Aber als wahrscheinlich gilt der Auftrag, daß mit 1. Jänner 1998 ein neues Gesetz in Kraft treten soll. Natürlich ist auch ein Höchstgericht nicht sakrosankt und darf kritisiert werden, aber im Sinne der demokratischen Gewaltenteilung sind Versuche der Politik, Urteile des Verfassungsgerichts zu unterlaufen, sehr bedenklich.

Welches Modell hat nun die meisten Chancen? Und welches läßt sich am ehesten finanzieren? Der Steuerexperte

Gerhard Lehner vertritt das ÖAAB-Modell, das beim Existenzminimum (etwa 84.000 Schilling pro Jahr) ansetzt und dementsprechend vorsieht, daß für jede Person pro Jahr ein Absetzbetrag von 8.840 Schilling geltend gemacht werden kann. Das wird nach seinen Berechnungen zwölf bis 13 Milliarden Schilling mehr als jetzt kosten, sei aber im Zuge einer Steuerreform finanzierbar. Er hält dieses Modell am ehesten für konsensfähig.

Einwände, daß Bezieher geringer Einkommen davon nichts hätten, treffen laut Lehner wie beim derzeitigen Modell (Direktauszahlung mit der Familienbeihilfe) keineswegs zu. Auch Frauen würden dadurch nicht vom Arbeitsmarkt verdrängt, eher wäre das beim vor allem von der FPÖ vertretenen Familiensplitting (zur Berechnung der Steuer wird das Familieneinkommen auf die Köpfe, die davon leben müssen, aufgeteilt) der Fall, das derzeit sicher nicht finanzierbar wäre.

Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer, die nun an der Spitze des ÖAAB steht, hat das neue Profilierungsstreben der ÖVP in Sachen Familie dadurch unterstrichen, daß sie ein Volksbegehren zu dieser Thematik ins Auge faßt, wenn es zu keiner Einigung über die steuerliche Berücksichtigung des Existenzminimums für alle Familienangehörigen kommt.

Die SPÖ sollte nicht unterschätzen, welche Kräfte eine solche Initiative in der ÖVP bündeln und aktivieren könnte, schließlich ist dem seinerzeitigen Verlust der absoluten SPÖ-Mehrheit unter Bruno Kreisky der große Erfolg des ÖVP-

Volksbegehrens gegen das Wiener Konferenzzentrum vorangegangen.

Wichtiger als diese politischen Überlegungen sollte aber die Kernfrage bleiben: AVas bedeuten uns Kinder? Und wenn sie uns etwas bedeuten, dann sollte es keine Frage sein, ihnen auch das Existenzminimum zuzugestehen.

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