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Gesellschaftlicher Ausgleich

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Diese Auffassung deckt sich weithin mit der „Volksmeinung“, wonach die Familien „vom Staat“ Beihilfen erhalten. Es ist aber auch schon bewußt vertretener Grundsatz geworden, daß der Staat den Familien fürsorgerisch zu „helfen“, sie zu „fördern“ habe. Die logische Folge dieser Auffassung sind Tendenzen und Forderungen wie: Alle Kinder sind gleich, daher soll auch die Beihilfe für jedes Kind gleich hoch sein; oder: Wer über ein höheres Einkommen verfügt, ist nicht auf die Hilfe der Allgemeinheit angewiesen und sollte daher vom Beihilfenbezug ausgeschlossen sein.

Nach dieser Auffassung ist es im Grunde ganz gleich, auf welche Art und Weise sich der Staat die Mittel für die Alimentation seiner Kinder beschafft. Er kann wohl gewisse Abgaben oder Steuern als diesem Zweck gewidmet erklären. Nötig ist es aber nicht. Denn es kommt ja lediglich darauf an, den Staat so hinreichend zu dotieren, daß ihm auch die für den Unterhalt seiner Kinder erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen.

Tatsächlich hatte den Aufwand für die. „Ernährungsbeihilfe“, den Vorläufer der Kinderbeihilfe, der Staat aus allgemeinen Budgetmitteln zu bestreiten. Mit der Einführung der Kinderbeihilfe wurde dann allerdings der sogenannte „Dienstgeberbeitrag“ eingeführt, der einem eigenen Fonds zufließt. Das hat aber nach dieser Auffassung wenig zu bedeuten, da auch weiterhin alle Einnahmen und Ausgaben für Zwecke der „Familienförderung“ über das Staatsbudget gehen.

Zweifellos ist es — nach diesem Konzept — überflüssig und erschwert nur dem Staat die Führung seiner Agenda, daß die für die Alimentation der Kinder erforderlichen Mittel in einem Fonds (seit dem Familienlasten-ausgleichsgesetz sogar in zwei Fonds) gesammelt werden. Der Staat muß seine Budgetmittel nach den jeweiligen konkreten Erfordernissen da und dort einsetzen können. Jede Zweckbindung und Separierung engt nur seine Bewegungsfreiheit in unliebsamer Weise ein — siehe die Schwierigkeiten anläßlich der „Krankenkassensanierung“!

Das andere, entgegengesetzte Konzept geht davon aus, daß die Familie in ihrer Aufzuchts- und Erziehungsfunktion unersetzlich und eigenständig ist. Die Eltern selbst müssen, auch wirtschaftlich, in der Lage sein, die Verantwortung für Kinder auf sich zu nehmen. Eine gerechte Verteilung des Sozialprodukts muß sie daher befähigen, aus eigener Kraft und in eigener Verantwortung ihren familiären Aufgaben gerecht zu werden.

Es ist die Folge einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung, daß, dem Lebensstandard nach, heute in jeder Einkommensschicht die Kinderlosen an der Spitze stehen, die Kinderreichen aber an letzter Stelle. Diese Fehlentwicklung kann nur durch einen Ausgleich der Familienlasten innerhalb der Gesellschaft korrigiert werden: Die einzelnen Gesellschaftsglieder (Einkommensträger) müssen ihre Familienlasten unter Berücksichtigung von Kinderzahl und Einkommenshöhe in der Weise untereinander ausgleichen, daß in jeder Einkommensschicht die durch unterschiedliche Familienlasten bedingten Unterschiede im Lebensstandard beseitigt werden. Das ist eine Forderung der Gerechtigkeit. Die Familien haben einen Anspruch auf Lastenausgleich

und brauchen keine „Hilfe“ oder „Förderung“, sei es von seifen des Staates oder der Wirtschaft oder wessen immer.

Ein Staat, der sich selbst zum Erhalter der Kinder macht, trifft damit eine lebensfeindliche Lösung, weil er über die Familie hinweggeht. Dem Staat als Instrument der Gesellschaft obliegt es vielmehr, den Ausgleich der Familienlasten bindend vorzuschreiben und zu regeln. Dazu ist er als Hüter des Gemeinwohls verpflichtet. Nur in jenen Fällen, in denen ein Kind nicht in einer Famrlie oder familienähnlichen Gemeinschaft heranwächst, fällt die unmittelbare materielle Sorgepflicht den größeren Gesellschaftsgebilden zu.

Die in Österreich durch das Kinderbeihilfengesetz und das Familienlasten-ausgleichsgesetz geregelte Rechtsmaterie muß daher auf dem Prinzip des Familienlastenausgleichs basieren. Das Alimentationsprinzip kann nur insoweit gelten, als von der Norm abweichende Fälle aus praktischen Gründen ebenfalls im System des Familienlastenausgleichs Berücksichtigung finden' sollen.

Wer finanziert die Beihilfen?

Zum vollwirksamen Familienlastenausgleich bedarf es nach übereinstimmender Ansicht der internationalen Fachwelt einer „abgewogenen Kombination von Ausgleichszahlungen (Beihilfen) und steuerlichen Maßnahmen, die nach den konkreten Gegebenheiten schrittweise zu entwickeln sind“ (H. Schmitz).

Der Ausgleich über die Steuer enthält kein „Finanzierungsproblem“. Denn der Staat kann zur Sicherung des von ihm benötigten Steueraufkommens die steuerliche Belastung in allen Einkommensstufen so bemessen, daß er trotz steuerlicher „Kinderermäßigung“ eben doch zu dem erforderlichen Gesamtsteuereingang kommt. Die Differenzierung der Steuerlast nach dem Familienstand ist schon eine Forderung der Steuergerechtigkeit.

Was hingegen die Beihilfen anlangt, gehen heute die Meinungen nicht nur darüber auseinander, wer sie rechtens zu finanzieren hat, sondern auch darüber, wer sie heute, tatsächlich finanziert. Die eine wie die andere Frage kann nur vom Grundsätzlichen her eine gültige Antwort finden. Daher sei der Beantwortung eine prinzipielle Feststellung vorangeschickt.

Wer heute im Produktionsprozeß steht und Werte schafft, darf nicht glauben, daß er die Früchte seiner Arbeit zur Gänze für sich selbst verbrauchen kann. Denn vom Sozialprodukt müssen — abgesehen vom Problem der Investitionen — auch jene leben, die noch nicht produzieren, also die Kinder, und ebenso jene, die nicht mehr produzieren, die Alten. Da das jeweils erzeugte Sozialprodukt auch für den Unterhalt der Kindergeneration bestimmt ist, muß die Erwerbsgeneration zugunsten der Kindergeneration Konsumverzicht üben. Und zwar gerechterweise die gesamte Erwerbsgeneration, da ja auch die Kinderloser! auf die „Reproduktion der Arbeitskraft“ angewiesen sind, da auch sie aus der Leistung derer Nutzen ziehen, die für den Nachwuchs sorgen.

Welchen Charakter hat unter diesem Gesichtspunkt nun die Haupteinnahmequelle der Familienfonds, der sogenannte „Dienstgeberbeitrag“?

Wenn wir zunächst auf die Entstehungsgeschichte der Kinderbeihilfe eingehen, so deshalb, weil sie unsere grundsätzliche Argumentation -bestätigt. Im Zuge der Lohn-Preis-Abkommen sah sich die Wirtschaft außerstande, der Forderung nach einer ausreichenden Lohnerhöhung nachzukommen. Die Interessenvertretung der Dienstnehmer erklärte sich damit einverstanden, daß statt dessen der Lohn der von den Preiserhöhungen am schwersten betroffenen Dienstnehmer, nämlich der Familienerhalter, durch eine Zulage ergänzt werde. Zur Aufbringung der Mittel für diese Zulage wurde mit Gesetz vom 16. Dezember 1949 bestimmt, daß die Dienstgeber einen bestimmten Prozentsatz

der Lohnsumme an einen Ausgleichsfonds abzuführen haben, aus dem die Familienerhalter unter den Dienstnehmern für jedes Kind zusätzlich eine „Kinderbeihilfe“ erhalten sollten. Daraus geht eindeutig hervor, daß es sich um einen generellen Lohnver-' zieht aller Dienstnehmer zugunsten derer von ihnen handelte, die für Kinder zu sorgen haben.

„Umverteilter“ Lohn

Aber auch wenn wir von dieser Entstehungsgeschichte absehen: Kann es sich bei diesem „Dienstgeberbeitrag“ überhaupt um etwas anderes handeln als um eine Lohnleistung? Etwa um eine zusätzlich zum Lohn erbrachte „Sozialleistung“ der Dienstgeber für Zwecke des Unterhalts der Kinder ihrer Dienstnehmer? Der Dienstgeber ist doch nicht der patriarchalische „Hauswirt“ seiner Arbeiter und Angestellten, und diese gehören doch nicht zu seiner „Familie“, so daß Wohl und Wehe ihrer Kinder Sorge des Dienstgebers sein müßte! Wohl hat der Dienstgeber auch von der familiären Leistung seiner Dienstnehmer einen Nutzen — aber keinen größeren als jeder andere Staatsbürger. Wovon denn sonst sollten die Kinder der Dienstnehmer erhalten werden als von den Einkommen ihrer Eltern? Den Dienstgebern obliegt die Honorierung der ihnen erbrachten Arbeitsleistung. Was die Dienstnehmer von ihnen fordern können, ist allein, daß sie diese Honorierung verbessern, also die Löhne erhöhen! Der Ausgleich der Familienlasten aber — und um einen solchen handelt es sich hier eindeutig — obliegt weder, den Dienstgebern noch dem Staat, sondern ausschließlich den Gesellschaftsgliedern untereinander, in diesem Falle also den Dienstnehmern.

Der ..Dienstgeberbeitrag“ ist demnach eine Schuldigkeit des Dienstnehmers, die lediglich bereits beim Dienstgeber vor der Aussonderung der Bruttolöhne aus den Gesamtkosten eingehoben wird, aber kalkulatorisch selbstverständlich unter den Lohn-

Wie weiter?

Nach dem Gesagten kann kein Zweifel bestehen, auf welchem Wege der Familienlastenausgleich weiterentwickelt werden kann und muß- Den Familienerhaltern, die unselbständig erwerbstätig sind, muß es klarwerden, daß sie ihre gerechten Ansprüche auf das Sozialprodukt zunächst nicht in Form von Lohn- und Gehaltserhöhungen geltend machen dürfen, die den Kinderlosen genauso zugute kommen, sondern daß sie die familiengerechte Verteilung des Sozialprodukts durch schrittweisen Ausbau des gesellschaftlichen Familienlastenausgleichs ver-

kosten geführt und bei der Berechnung der Preise berücksichtigt wird. Wenn auch der Gesetzgeber diesen Beitrag später als „ausschließliche Bundesabgabe“ deklariert hat, so bleibt die Tatsache bestehen, daß diese Abgabe lohnbezogen ist (derzeit sechs Prozent der Lohnsumme) und nicht etwa nach dem Ertrag des Unternehmens bemessen wird. Genausogut könnten die Bruttolöhne um sechs Prozent erhöht werden und die Beiträge zum Familienlastenausgleich den Lohnempfängern analog den Sozialversicherungsbeiträgen abgezogen werden.

Eine andere Deutung des Dienstgeberbeitrages ist vom Konzept des gesellschaftlichen Familienlastenausgleichs her nicht möglich. Wohl aber vom Konzept einer umfassenden Sozialfürsorge für die Kinder durch den Staat! Dann handelt es sich um nichts anderes als eine indirekte Steuer, die der Staat zwecks Erfüllung seiner Hoheitsaufgabe, der Alimentierung der Kinder, dem Dienstgeber vorschreibt und die dieser auf die Preise überwälzt. Dann werden die Beihilfen weder vom Dienstgeber noch vom Dienstnehmer finanziert, sondern von den Konsumenten. Dann, aber nur dann, tragen die Selbständigen — und zwar soweit sie ihre Einkünfte dem Konsum zuführen — zu den Fondsmitteln ebenso bei wie die Unselbständigen. Handelt es sich aber um Familienlastenausgleich, dann ist, was in die Preise einkalkuliert wird, „umverteilter Lohn“. Und als Lohn, nicht als Kinderbeihilfe werden diese Beiträge von den Konsumenten getragen.

langen müssen. Denn die Erhöhung des Sozialprodukts kann nicht zweimal verteilt werden, einmal in Form einer Lohnerhöhung und dann noch einmal in Form einer Beihilfenerhöhung. Den Selbständigen aber muß klarwerden, daß der gesellschaftliche Familien lastenausgleich, also der Konsumverzicht der Kinderlosen zugunsten der Familien, in ihrer eigenen Gruppe erst bescheidene Ansätze zeigt und daß dies ein gewichtiger, sachlicher Grund ist, der einer Zusammenlegung der beiden Familienfonds und einer Vereinheitlichung der Beihilfengesetzgebung im Wege steht.

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