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Gezielt danebengezielt

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Ein Vorgehen, das der Regierungs-portei dort, wo es diskutabel gewesen wäre, nicht recht war, erschien ihr dort, wo es keineswegs am Platz war, offenbar billig: die widmungswidrige Verwendung zweckgebundener Mittel. Die „Umwidmung“ von Mitteln aus der Bundesmineralöl-steuer, die zwar für den Straßenbau zu verwenden wären, aber in einer Zeit erhöhter Infragestellung des Automobils nach der Vorstellung zahlreicher Verkehrsfachleute zum Teil auch für den Ausbau leistungsfähiger Massenverkehrsmittel eingesetzt werden sollten, scheiterte am Widerstand der Kraftfahrer-Organisationen und der Phalanx kraftfahrerfreundlicher innerparteilicher Lobbys. Hingegen scheint innerhalb der SPÖ niemand etwas dabei zu finden, wenn Gelder aus dem Fami-lienlastenausgleichsfonds weiter ihrer Bestimmung entzogen werden.

Und dies in einem Ausmaß, das die Frage provoziert, ob nicht auf diese Weise ein in zweieinhalb Nachkriegsjahrzehnten aufrecht erhaltener Grundsatz österreichischer Fa-miilienpolitik stillschweigend sistiert werden soll, weil er sich mit den gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Regierungspartei nicht verträgt. Heuer sollen bereits nicht weniger als 1,8 Müliarden Schilling aus dem Familienlastenausgleichsfonds widmungswidrig verwendet werden: 850 Millionen für die Gratisschul-buchaktion und 981 Millionen zur Finanzierung der Schülerfreifahrten.

Nach wie vor widmungswidrig ist das deshalb, weil es sich bei den Mitteln des Familienlastenausgleichs-fonds keineswegs um Geld handelt, von dem die Regierung nach eigenem Gutdünken entscheiden kann, auf welche Weise es famiMenpolitischen Zwecken zugeführt werden soll. Vielmehr haben die Dienstnehmervertre-ter am 16. September 1948 dem 2. Lohn- und Preisabkommen nur deshalb abgestimmt und geringere Löhne akzeptiert, weil in einer wirtschaftspolitischen Situation, die es einfach nicht zuließ, und teilweise auch heute noch nicht zuläßt, jedem Arbeitnehmer einen Lohn zu zahlen, der für die Erhaltung einer Durchschnittsfamilie gereicht hätte, ein Lastenausgleich zwischen kinderlosen Arbeitnehmern und Faimiliener-haltern hergestellt werden sollte. Dieser Ausgleich sah vor, daß von der Lohnsumme aller Dienstnehmer Beträge für einen Fonds einbehalten und an die Familienerhalter ausgezählt werden sollten.

Seit damals ist die „Kinderbeihilfe“ (die zunächst „Emährungsbeihilfe“ hieß) kein Geschenk, das der Staat nach Gutdünken zugestehen oder verweigern kann, sondern ein den Familienerhaltern zustehender, fester Teil ihres Einkommens. 1954 wurden, nach einer Erweiterung der Finanzierungsbasis, auch die Familien der Selbständigen in den Lastenausgleich einbezogen.

1962 war die zuerst begeisterte SPÖ bereits völlig anderer Meinung, und man sollte sich gut merken, was der Abgeordnete Staribacher damals im Parlament gesagt hat: „Die Kinderreichen sollen auf Kosten der Kinderarmen und derjenigen leben, die keine Kinder haben — das ist eine Theorie, der wir als Sozialisten nur sehr schwer, ich würde fast sagen, gar nicht zustimmen können. Denn unser Grundsatz war immer, daß die Reichen für die Armen zu sorgen haben, aber doch nicht, daß die, die keine Kinder haben, für die, die Kinder haben, sorgen sollen.“

ÖVP-Generalsekretär Kohlmaier, als ehemaliger Präsident des Familienbundes in dieser Frage stark engagiert, hat kürzlich in einem Vortrag wieder daran erinnert, daß schon die Koalitionsregierungen gerne, wenn auch nicht so tief wie die Regierung Kreisky, in den Topf des Familienlastenausgleichsfonds griffen und daß er dieses Vorgehen schon damals (und durchaus nicht zur Freude seiner Parteifreunde) als „legalisierte Veruntreuung“ bezeichnet hat. Allerdings handelte es sich seinerzeit nur um die „Inkamerierung“ der Gebarungsreste in der Höhe von durchschnittlich 170 Millionen Schilling pro Jahr, und es war dieselbe Regierung, die Fondsüberschüsse' jeweils mit Jahresende dem Bundeshaushalt zuführte, die gleichzeitig diesem Vorgehen einen Riegel vorschab und alle seit 1952 für den Bundeshaushalt verwendeten Fondsmittel in Forderungen des Familienlastenausgleichsfonds gegenüber dem Bund verwandelte.

Bis 1972 stiegen die Guthaben des Familienlastenausgleichsfonds gegenüber dem Bund („Fondsreserve“) auf 5,3 Milliarden Schilling — allein rund 1,9 Milliarden an Überschüssen seit 1971.

Aktion Wegwerfschulbuch und Aktion Schülerfreifahrt waren beachtenswert geschickt ausgedachte Kniffe zur Expropriation der Familienerhalter. In beiden Fällen werden Leistungen, die Österreichs Familienerhalter aus Bundesmitteln gerne entgegengenommen hätten, mit fremdem Geld ungefragt finanziert. In beiden Fällen kommt das Geschenk nicht nur den Familienerhaltern zugute. Das Gratisschülbuch ist zwar nicht nur, aber auch, eine versteckte Subvention für Buchhandlungen und Verlage, darunter, keineswegs unterrepräsentiert, sozialistische.

Die Aktion Schülerfreifahrt wiederum kommt weitgehend den Trägem öffentlicher Nahverkehrsmittel, nicht zuletzt sozialistischen Gemeinden zugute, denen tariflich dem Staat gegenüber keineswegs akzeptabel erscheint, was sie den Familienerhaltern gegenüber zugestehen mußten. Auch hier bleibt die — im Selbstverständnis der Regierungspart*! angeblich abgeschaffte — Gießkanne statt gezielter Förderung, sprich Geld, von dem die Familienerhalter selbst am besten wissen, wo es am meisten fehlt. Und mit der Gießkanne wird danebengezielt. Gezielt danebengezielt.

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