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Erster Kreisky-Test

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„Bruno Kreisky ist auf dem besten Weg, dieselben entscheidenden Fehler zu machen, die Wolfgang Schmitz Finanzministerkopf und -kragen gekostet haben“ jubeln die vom 1. März 1970 Frustrierten. „Die SPÖ weiß auch in Steuerfragen, was sich die Wähler wünschen“, frohlocken andere in verständlicher Nachwahl-Euphorie. Wer von beiden letztlich recht behalten wird, ist ungewiß. Denn: bis zum heutigen Tag sind die diesbezüglichen Ergebnisse der Orientierungsgespräche (nach ÖVP-Version), beziehungsweise der Koalitionsverhandlungen (nach SPÖ-Version), mehr als kümmerlich geblieben. Bis zum heutigen Tag konnte aber auch keiner der vielen SPÖ-Finanzministerkandi-daten ein erfolgversprechendes Steuerkonzept vorlegen; Niemand wird sich darüber wundern. Die Materie ist an und für sich äußerst schwierig und die Bedingungen, die zur Zeit herrschen, sind nicht gerade rosig. Dennoch und vor allem deshalb wird die Steuerreform der erste echte Kreisky-Test.

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„Bruno Kreisky ist auf dem besten Weg, dieselben entscheidenden Fehler zu machen, die Wolfgang Schmitz Finanzministerkopf und -kragen gekostet haben“ jubeln die vom 1. März 1970 Frustrierten. „Die SPÖ weiß auch in Steuerfragen, was sich die Wähler wünschen“, frohlocken andere in verständlicher Nachwahl-Euphorie. Wer von beiden letztlich recht behalten wird, ist ungewiß. Denn: bis zum heutigen Tag sind die diesbezüglichen Ergebnisse der Orientierungsgespräche (nach ÖVP-Version), beziehungsweise der Koalitionsverhandlungen (nach SPÖ-Version), mehr als kümmerlich geblieben. Bis zum heutigen Tag konnte aber auch keiner der vielen SPÖ-Finanzministerkandi-daten ein erfolgversprechendes Steuerkonzept vorlegen; Niemand wird sich darüber wundern. Die Materie ist an und für sich äußerst schwierig und die Bedingungen, die zur Zeit herrschen, sind nicht gerade rosig. Dennoch und vor allem deshalb wird die Steuerreform der erste echte Kreisky-Test.

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Vor einer Schätzung, wie gut der SPÖ-Parteivorsitzende diesen Test bestehen könnte, ist es sicher notwendig, die Aufgabenstellung näher zu erläutern:

Alle Regierungen stehen heute unter dem Druck neuer erhöhter Forderungen an den Staatshaushalt: Vorrang für Bildung, verbesserte Sozial-und Krankenfürsorge, Erhöhung der Pensionen und Gehälter bei steigendem Anteil der nicht im Arbeitsprozeß Tätigen, vermehrte Mittel für Straßen- und Schulbaiu. Mit seiner Steuerquote, das heißt dem Anteil der öffentlichen Hand am Bruttona-tionalprodukt in Form von Steuern und Sozialbeiträgen mit gegenwärtig 38 Prozent, liegt Österreich anderseits schon in der europäischen Spitzengruppe, hinter Frankreich und Schweden.

Dreimal so hoch besteuert

Bezieher mittlerer Einkommen haben in Österreich eine viel höhere Steuerlast zu tragen als in anderen Ländern. Bei Jahreseinkommen von 120.000 Schilling beträgt beispielsweise die Einkommensteuerbelastung für Verheiratete ohne Kinder in der Bundesrepublik Deutschland 8,9, in Frankreich 5,4, in Italien 7,4, in der Schweiz 7,5, in den USA 11,2, in Schweden 16,1, in Österreich aber nicht weniger als 23,3 Prozent! Österreich besteuert also dieses Familiendurchschnittseinkommen dreimal so hoch als die EWG-Staaten.

Daß dennoch kein Finanzminister leichtfertig Geld unters Volk streuen kann, um diese Belastungen zu vermindern, ergibt sich aus der Budgetsituation unseres Staates: Vorsichtige Schätzungen haben ergeben, daß im Budget 1971 ein Abgang von mehr als 10 Milliarden Schilling droht. Zudem liegen gleichlautende Versprechen beider Großparteien vor, daß der befristete Sonderzuschlag zur Lohn- und Einkommensteuer zum vorgesehenen Zeitpunkt, also am 31. Dezember 1970, ersatzlos auslaufen soll. Kostenpunkt: 2,3 Milliarden Schilling. Ferner soll zum gleichen Zeitpunkt der Katastrophenzuschlag auslaufen. Kostenpunkt: 700 Millionen Schilling. Ende 1971 wird die SPÖ sich bauemfreun-lich geben wollen (Kreisky: „SPÖ-Einbruch ins Dorf“), also ersatzloses Auslaufen der Alkoholsondersteuer. Kostenpunkt: mehr als eine Milliarde Schilling.

Nur Steuerkosmetik

Angesichts dieser Situation . müßte man also von einem SPÖ-Kanzler eher einen Katalog von finanziellen Bedeckungsmaßnahmen als von aufwendigen Geschenken erwarten. Bis jetzt präsentierte Kreisky aber nur Pläne, die kaum mehr als steuerkosmetischen Charakter haben. So etwa die Erhöhung des Vermögensteuerzu-

Schlages: Gewinn: 350 Millionen Schilling, ferner eine nicht zahlenmäßig festgelegte Verschärfung der Progression für Einkommen von mehr als 500.000 Schilling pro Jahr. Seine Finanzexperten werden inzwischen schon ausgerechnet haben, daß eine derartige Erhöhung um fünf Prozent etwa auch nur 250 Millionen

S'chilling pro Jahr bringt, die Investitionsbereitschaft der Unternehmer aber sehr ungünstig beeinflussen würde. Kreiskys linke Ratgeber aus dem Gewerkschaftsflügel seiner Partei führen zu ihrer Rechtfertigung immer wieder als Merkmal der „ÖVP-Politik für Großkapitalisten“ ins Treffen, daß die Staatseinnahmen aus der Einkommen- und Gewerbesteuer 1969 um fünf bis zehn Prozent unter dem Ergebnis von 1968 geblieben sind. In Wahrheit wird viel eher die Meinung jener Finanzwissenschafter zutreffen, daß wir in Österreich durch ein Überdrehen der Steuerschraube dieses rückläufige Aufkommen selbst herbeigeführt haben. Der sogenannte „breaking point“ liegt nach Meinung dieser Fachleute bei 50 Prozent., Diese Grenze haben wir in Österreich aber längst überschritten. Zu erwarten, daß man aber Luxusgüter wie Pelze, Gold und Juwelen so besteuern könnte, daß der Ertrag die Ausfälle einer nachhaltigen Progressionsmilderung decken könnte, ist vollends marxistisches Wunschdenken. Von anderen Steuererhö-

Photo: Gräpel hungs- oder Steuerflndungsplänen der SPÖ, ausschließlich zur Deckung von Mindereinnahmen einer allfälligen Steuersenkung, ist aber bis dato nichts bekannt.

Mindestkosten eine Milliarde

Es hat also allen Anschein, daß Kreisky bereits die Pferde gewechselt hat. Ritt er jetzt vier Jahre lang — und dies unbestreitbar mit großem Erfolg — als „Allesverspre-cher“ durch die Lande, dürfte er jetzt ziemlich rasch umgesattelt haben. Wie anders wäre der vorläufige Steuersenkungsvorschlag des SPÖ-Steuerkomitees zu verstehen, daß die allzustarke, leistungstötende Progression nur mit einer Erhöhung des Werbungskostenpauschales bekämpft werden soll. Auch das wird — und mit Recht — als „Augenauswischerei“ bezeichnet werden. Sie kostet viel und bringt niemandem Wesentliches. Bei einer Erhöhung des Werbungskostenpauschales um 100 Schilling pro Monat bleiben den Beziehern von Durchschnittseinkommen der lächerliche Betrag von kaum 30 Schilling (Verheirateter mit 1 Kind und 3500 S Monatsbezug gar nur 12 Schilling), den Beziehern höherer Einkommen aber — und da wird Kreisky bereits seinen Wahlversprechen deutlich untreu — rund 70 Schilling. Kostenpunkt einer derartigen, sicherlich auch politisch un-bedankten Steuerkosmetik: nicht weniger als eine runde Milliarde Schilling pro Jahr! Nicht anders verhält es sich mit einer ebenfalls geplanten Erhöhung des Sonderausgabenpauschales. Auch hier wären günstigere Auswirkungen für höhere Einkommensbezieher die Folge. Zudem würde sich der Steuerabsetzungsbetrag für Bausparkassen und Lebensversicherungen um jenen Erhöhungsbetrag vermindern und damit dem Faulen den Vorrang vor dem Sparwilligen einräumen. So sieht Dr. Kreiskys erste echte Bewährungsprobe aus. Die Öffentlichkeit räumt ihm zur Vorbereitung mit Recht noch Zeit ein. Ebenso wie sie, ist schließlich auch der sozialistische Parteivorsitzende vom jüngsten Wahlentscheid der Österreicher überrascht worden. Deshalb hat er genügend Zeit zum Überlegen. Er wird sie wohl nützen müssen, soll die großartig angekündigte SPÖ-Steuerreform nicht das werden, was der „Kurier“ jetzt schon befürchtet: „Das Ausmisten eines Schweinestalls mit einer Pinzette.“

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