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Wer ist der Sieger?

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Die Ärzte, die den Kampf um die Erhöhung ihrer Honorare so temperamentvoll geführt haben, sind die einzigen wirklichen Sieger in dem Konflikt, der die Bevölkerung ganz Österreichs in den letzten Tagen in Atem gehalten hat. Sie haben nicht nur ihre Forderung hundertprozentig durchgesetzt, nein, sie haben sogar mit der Ankündigung, mit dem Glockenschlag 12 Uhr nachts des 31. März jegliche Tätigkeit für die Gebiets-, Betriebs- und Landwirtschaftskrankenkassen sowie die Versicherungsanstalt des österreichischen Bergbaues einzustellen, die beiden Regierungsparteien derart in Trab gebracht, daß binnen wenigen Tagen eine Lösung sichtbar wurde, um die jahrelang gerungen wurde — wenn noch das heiße Eisen der Schröpfung des Kinderbeihilfefonds abgekühlt würde, wäre das Übereinkommen perfekt. Primarius Dr. Eberle, der Präsident der österreichischen Ärztekammer, hat recht, wenn er diesen Erfolg der Ärzte als einen Meilenstein auf dem Wege verständnisvoller Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Kassen zum Wohle der Patienten bezeichnet. Im Jahre 1957 hatten die Ärzte ihre Forderung auf eine fünfundzwanzigprozentige Erhöhung ihrer Honorare bei den Kassen angemeldet, 1959 erhielten sie in einigen Bundesländern eine fünfprozentige Akontozahlung und nun, ab 1. April 1960, sind ihnen rückwirkend auf den 1. Jänner d. J. die restlichen 20 Prozent (berechnet nach den 1959 ausgezahlten Honoraren) zugesprochen worden. Das bedeutet Mehreinnahmen der Ärzte von etwa 120 Millionen Schilling pro Jahr; bezog der Durchschnittsarzt bisher aus der Krankenversicherung ein Bruttoeinkommen von 8000 Schilling monatlich (netto nach Abzug aller Regien nur etwa 3 500 Schilling), so wird sich dieses nunmehr auf 9600 Schilling erhöhen. In den nun kommenden, hoffentlich ruhigeren Zeiten, will man dann über eine neue bundeseinheitliche Honorarordnung verhandeln, wobei die Einzelleistung des Arztes möglichst berücksichtigt werden soll; dies würde übrigens nur den diesbezüglichen, aber bis jetzt noch nicht in Wirksamkeit gesetzten Bestimmungen des ASVG entsprechen. Bis dahin gelten die bisherigen Honorarordnungen unbefristet weiter. Einstweilen bleibt es also noch beim Vierteljahrpauschale pro Patient, das sich nun für den praktischen Arzt von 33.8 5 S auf 40 S erhöhen wird. Schließlich ist man noch darüber übereingekommen, daß jede Erhöhung der Zahl der Versicherten und der Betriebseingänge der Kassen im gleichen Prozentsatz automatisch zu einer Erhöhung der Ärztehonorare führen soll. Nun — man kann den Ärzten nur gratulieren.

Weniger zu gratulieren ist allerdings den Kassen. Wohl werden ihnen durch die Parteienvereinbarung 330 Millionen Schilling Mehreinnahmen (Erhöhung der Beitragssätze der Höchstbeitragsgrundlage, des Refundierungs-betrages seitens der Unfall- und des Ein-hebungsersatzes seitens der Arbeitslosenversicherung) erschlossen, aber durch den Wegfall der Kranken- und Zahnbehandlungsscheingebühr, die 50 Millionen Schilling einbrachten, verbleiben nur noch 280 Millionen Schilling. Davon müssen zunächst die Ärzteforderungen erfüllt werden, dann aber muß man endlich darangehen, die „Treuhandschulden“ abzudecken, das sind jene für die Rentenversicherungisträger bestimmten Beiträge, die zwar von den Kassen eingehoben, aber nicht abgeführt wurden. Was aber viel bedrohlicher ist, sind die von den Krankenhäusern, Dentisten, Bandagisten, Optikern, Hebammen usw. bereits angemeldeten Neuforderungen. Das Verhandlungsteam der Parteien hat übrigens an die Möglichkeit gedacht,den Kassen erforderlichenfalls noch weitere Einnahmsquellen ab 1. Jänner 1961 zu erschließen, wobei an eine neuerliche Erhöhung der Höchstbeitragsgrundlage in der Krankenversicherung von 3000 auf 3600 Schilling und an Zuschüsse aus einer Erhöhung der Tabaksteuer gedacht wurde. Zu irgendeinem Pessimismus ist also kein Anlaß vorhanden. Die Kassen werden weiter durch gewisse Maßnahmen der Parteieneinigung auch entlastet, so dadurch, daß sie in Hinkunft die zweite Hälfte des Wochengeldes in der Mutterschaftsversicherung ((50 Millionen Schilling) nicht mehr aus eigenem zu tragen haben werden; zur Refundierung dieses Betrages sollte der Kinderbeihilfefonds herangezogen werden — eine sehr umstrittene Maßnahme, über die zur Berichtsstunde noch verhandelt wird. Die erste Hälfte trägt wie bisher der Bund. Auch die sogenannte „Ausleistungspflicht“ der Kassen soll entfallen, das heißt die Rentenversicherungsträger dürfen künftig nicht mehr verlangen, daß das Krankengeld erschöpft sein müsse, ehe es zum Rentenzuspruch kommt. Die freiwilligen Leistungen der Kassen schließlich werden in Hinkunft von den Pflichtleistungen streng zu trennen sein und können nur bei einer aktiven Gebarung derselben zuerkannt werden. Ein Teil wird allerdings in die Pflichtleistungen übernommen werden. Dem Generalausgleich der Kassen untereinander dient der beim Hauptverband geschaffene Ausgleichsfonds, der vom Finanz- und vom Sozialminister kontrolliert wird. Übrigens sei hier ausdrücklich betont, daß man den Kassen hinsichtlich einer unachtsamen oder leichtsinnigen Gebarung mit den Beitragseingängen keinerlei Vorwürfe machen kann, denn daß sie ihren Mitgliedern auch die teuren, modernen therapeutischen Methoden zugänglich machen, ist nur anerkennenswert.

Und die Versicherten? Von gratulieren kann da keine Rede sein, denn sie müssen ja zum Teil wenigstens die Kosten der Parteien-und Ärzte-Kassen-Einigung finanzieren. Wohl * wurde die Krankenschein-* nd-^hriteh ndJungs*“ ' gebühr nach etwas mehr als einjähriger Dauer — sie wurde erst durch die vierte Novelle zum ASVG mit 1. Jänner 1'59 eingeführt — wiederum l fallengelassen und damit das Prinzip der gleichen finanziellen Beteiligung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in der Krankenversicherung wiederhergestellt, aber hat man damit nicht auch das einzige Mittel aus der Hand gegeben, die Begehrlichkeit mancher Versicherten nach Leistungen, die ihnen nicht zustehen, zu bremsen? Es - wird, nun Sache der honorarbefriedigten Ärzte sein, derartigen Schädlingen mit Strenge entgegenzutreten.

Die bisherige Höchstbeitragsgrundlage der Krankenversicherung wird von 2400 Schilling auf 3000 Schilling angehoben, so daß wir nunmehr in der Sozialversicherung drei verschiedene Höchstbeitragsgrundlagen haben werden: 3600 Schilling in, der Pensions- und Unfallversicherung, 2400 Schilling in der Arbeitslosenversicherung und 3000 Schilling in der Krankenversicherung. Damit wird die bisherige Unterversicherung der höheren Einkommen zum Teil beseitigt; eine Auswirkung zeigt sich aber nur beim Krankengeld, nicht bei den sonstigen Leistungen der Versicherung. Weiter wird der Beitragsatz in der Krankenversicherung der Arbeiter von 7 auf 7,3 Prozent, in der der Angestellten von 4,5 auf 4,8 Prozent und in der der Rentner von 8,2 auf 8,7 Prozent hinaufgesetzt. Das bedeutet, daß der je zur Hälfte vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer monatlich zu zahlende Versicherungsbeitrag sich bei einem Entgelt von 1000 Schilling um 1.50 Schilling, bei 2400 Schilling um 3.60 Schilling und nun rasch ansteigend bei 3000 Schilling um 25.50 Schilling erhöht, Steigerungen also, die noch durchaus tragbar sind. Als Gegenleistung wird ein „Teilkrankengeld“ neu eingeführt; erhält nämlich der Versicherte im Erkrankungsfall den halben Lohn oder. Gehalt ausgezahlt, so gewährt ihm die Kasse in Hinkunft das halbe Krankengeld. Die Beteiligungsquote der Rentner an dem für sie zu leistenden erhöhten Beitrag wird überhaupt erst dann erhöht werden, wenn es zu der noch für das heurige Jahr vorgesehenen allgemeinen Rentenerhöhung gekommen ist. Man kann also wirklich sagen, daß jede fühlbare Mehrbelastung der Versicherten und Rentner vermieden worden ist.

Der S t a a t ist bei der Parteieneinigung sehr gut davongekommen. Nach dem ursprünglichen Entwurf des Sozialministeriums hätte der Bund nicht wie bisher 50 Prozent, sondern 100 Prozent des Wochengeldes auf sich nehmen, einen fünfzigprozentigen Bundeszuschuß für die Kassenleistungen an mitversicherte Familienmitglieder und einen weiteren Zuschuß in gleicher Höhe zu den Kosten der Anstaltspflege übernehmen sollen. Daß es anders kam, dürfte der letzte Erfolg des abtretenden Finanzministers gewesen sein.

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