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Die Unbotmäßigen

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Seit 20. Mai d. J. besteht der „vertragslose Zustand“ zwischen Zahnärzten und Krankenkassen, Herr Österreicher wurde unversehens zum Privatpatienten und weiß nicht, ob er deshalb den Kassen oder den Zahnbehandlern böse sein soll. Die streitenden Parteien beschränken sich auf gelegentliches Geplänkel, und ernsthafte Verhandlungen werden offensichtlich bis auf weiteres auch nicht erwogen. Wie lange noch?

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Seit 20. Mai d. J. besteht der „vertragslose Zustand“ zwischen Zahnärzten und Krankenkassen, Herr Österreicher wurde unversehens zum Privatpatienten und weiß nicht, ob er deshalb den Kassen oder den Zahnbehandlern böse sein soll. Die streitenden Parteien beschränken sich auf gelegentliches Geplänkel, und ernsthafte Verhandlungen werden offensichtlich bis auf weiteres auch nicht erwogen. Wie lange noch?

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Bis 1971 verlief im Rahmen des im Juni 1969 zwischen den Zahnbehandlern und dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger geschlossenen Vertrags alles gut. Dann aber kam die 29. Novelle zum ASVG, die — nach Ansicht der Zahnbe-handler — die Situation entscheidend veränderte. Zwar konnte die Öffnung der Ambulatorien für zahn-prothetische und kieferorthopädische Leistungen, die bisher den Zahnbehandlern vorbehalten waren, im letzten Moment verhindert werden, doch mußte man sich auf eine Kompromißlösung einigen. Die Aussicht auf baldige Honorarerhöhung, die einen Ausgleich für die aus diesem Kompromiß resultierenden Einbußen der Zahnbehandler bringen sollte, erleichterte die Zustimmung zur Einbeziehung einiger dieser Leistungen in den Leistungskatalog der Kassen. Kaum war man sich einig, zeigten die Sozialversicherer keine große Eile mehr. Die Zahnbehandler waren verärgert, bestellten ein Gutachten über den Umfang der zum Ausgleich der sachlichen Änderungen erforderlichen Honorarerhöhung (Ergebnis: 90 Prozent!), kündigten den Vertrag und legten einen eigenen Vorschlag zur Honorarordnung vor.

Der Hauptverband bezifferte die aus diesem Vorschlag zu erwartende Honorarerhöhung mit 68 Prozent oder 504 Millionen Schilling Belastung pro Jahr für die Kassen (200.000 Schilling pro Jahr Mehreinnahmen für jeden Zahnbehandler) und erklärten derartige Vorstellungen für ungerechtfertigt, unzumutbar und indiskutabel.

Das Gegenangebot sollte den Zahnärzten eine Honorarerhöhung von 9 Prozent bringen, nach der Meinung der Zahnärzte und Dentisten führt es zu einer Honorarminderung, da zahlreiche Einzelpositionen in Pauschalhonoraren verschwänden.

Die interessierte Öffentlichkeit frappiert zunächst, daß Kassen und Behandler bisher beharrlich aneinander vorbeireden: vor allem

mittels globaler Zahlen. Vor allem der Hauptverband versucht, die Richtigkeit seiner Darstellung an Hand pauschaler Berechnungen einzelner Leistungen zu beweisen. Daß die Frequenz der verschiedenen Positionen aber nicht in allen Fällen und allen Praxen gleich sein muß, wird dabei großzügig übergan-

gen. Ebenso finden es die Kassen nicht richtig, wenn auch die Zahnbehandler Globalberechnungen anstellen und sich nicht von einzelnen — vielleicht tatsächlich erhöhten — Honorarpositionen blenden lassen.

Die Zahnbehandler führen als Gegenbeweis einzelne Positionen beziehungsweise Leistungen an und übersehen, daß die in ihren Berechnungen vorgenommenen Kumulierungen nicht notwendigerweise in allen Fällen zutreffen. Sie haben auch bisher die Öffentlichkeit nicht in erforderlichem Maße darüber aufgeklärt, was ihnen die Kassen durch die Einbeziehung verschiedener Leistungen in den Leistungskatalog tatsächlich wegnehmen. Sie müssen wohl nicht zimperlich sein: es gibt nicht nur eine Neidgenossenschaft, sondern auch eine Solidarität all jener, denen etwas genommen werden soll.

Um einen Keil in die Ärzteschaft zu treiben, verteilt heute der Hauptverband Lob und Tadel. Gelobt werden praktische Ärzte und Fachärzte, denn sie stellen „ihre gesamte ärztliche Kunst den Patienten im Rahmen des Kassenvertrages zur Verfügung“, sie tadeln die Zahnbehandler, weil diese nicht bereit seien, bestimmte „Luxusleistungen“ als Vertragsleistungen anzuerkennen. Um nicht ins Feuer der eigenen Argumente zu geraten, wird die Kasse wohl ehestens alle jene Schranken, die sie den „braven“ praktischen Ärzten und Fachärzten für die Behandlung errichtet hat, abbauen. Das sollte doch leichter sein, als die „unbotmäßigen“ Zahnbehandler klein zu kriegen und könnte die Stellung der Kassen im Konflikt nur stärken.

Was wirklich gemeint ist, zeigt eine Feststellung, wonach die Krankenkassen deshalb Ambulatorien be-

treiben und dort alle Leistungen erbringen müssen, weil sie die Zahnbehandler zu einem Vertragsabschluß nicht zwingen können und wenigstens den Versicherten die ärztliche Betreuung sichern müßten, die ein Ambulatorium aufsuchen können. Eine derartige ungleiche Behandlung der Versicherten wäre natürlich nicht lange haltbar, also müßte raschest dafür gesorgt werden, daß für alle Versicherten Ambulatorien zur Verfügung stehen. Denn die Ärzte kann man nicht zwingen — zumindest nicht zum Abschluß eines Vertrages.

Ob man sie durch ein unzureichendes Angebot zur Ablehnung „zwingen“ kann?

Natürlich geht es ums Geld — bei diesem kleinen und mit hohen und ständig steigenden Unkosten belasteten Berufsstand aber auch um die Existenz.

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