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Großes Loch im Sozialnetz

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Die Diskussion um die Einführung eines Krankenscheines für Bauern (FURCHE 5 81) hat ideologische Akzente erhalten. Das mag vor allem jene Staatsbürger wundern, die nicht verstehen, daß das so oft gerühmte Netz der sozialen Sicherheit ausgerechnet dort ein großes Loch hat, wo es um die Gesundheit des Bauernstandes und jene von vielen Gewerbetreibenden geht.

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Die Diskussion um die Einführung eines Krankenscheines für Bauern (FURCHE 5 81) hat ideologische Akzente erhalten. Das mag vor allem jene Staatsbürger wundern, die nicht verstehen, daß das so oft gerühmte Netz der sozialen Sicherheit ausgerechnet dort ein großes Loch hat, wo es um die Gesundheit des Bauernstandes und jene von vielen Gewerbetreibenden geht.

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In der Abwehrschlacht gegen den Krankenschein für Bauern wie auch für Gewerbetreibende glaubt der Wiener Ärztekammerpräsident Hermann Neugebauer, (FURCHE 5 81) den Parteien allgemein „beängstigende Standpunktlosigkeit“, und dann der FPÖ im besonderen „Linksüberholen“ bescheinigen zu müssen. Dieses Linksüberholen soll nun darin bestehen, daß den Ärzten die „Freiheit“ privatrechtliche Kassenverträge zu vereinbaren, durch die Einführung eines Krankenscheines genommen wird.

Eines sei hier vermerkt: Wenn Präsident Neugebauer meint, daß selbst durch das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) die Freiheit der Ärzte nicht in Frage gestellt wurde, dann widerlegt er sich selbst. Denn eben im ASVG ist schon seit Jahrzehnten der „Krankenschein“ nach Begriff und Inhalt (Sachleistungsprinzip) ausdrücklich verankert, was mit der privatrechtlichen Vertragsfreiheit der Ärzte wohl überhaupt nichts zu tun hat.

Gerade die FPÖ bekennt sich dazu, die Freiheit der Menschen und einzelner Gruppen gegenüber dem Staat und

anonymen Institutionen entschieden zu verteidigen. Daher wollen wir auch eine Krankenscheinlösung, die die Vertragsfreiheit der Ärzte nicht in Frage stellt, und keine „Verstaatlichung des Gesundheitswesens“, wie polemisch behauptet wurde.

Zum Problem selbst: Während für die Masse der unselbständig Erwerbstätigen bereits seit dem Jahre 1955 der Krankenschein gleichsam als Gegenleistung für ärztliche Hilfestellung einge- führt ist, gilt dies für die Bauern nicht.

Die Bauern müssen für die ärztliche Behandlung bar bezahlen und noch dazu zu 20 Prozent einen Eigenkostenbeitrag leisten (Selbstbehalt), der auch von der Krankenkasse nicht vergütet wird.

Daraus ergibt sich eine groteske Situation: Ein Generaldirektor eines verstaatlichten Unternehmens mit monatlichen Bezügen, die man sicherlich als Spitzeneinkommen bezeichnen kann, gilt als Arbeitnehmer, und kann somit alle ärztlichen Leistungen gemäß den Bestimmungen des ASVG zum „Sozialtarif“ in Anspruch nehmen. Der Bauer mit geringem Einkommen muß voll zahlen und erhält dann oft erst nach zwei bis drei Monaten 80 Prozent

von der Krankenkasse vergütet, was bei kostspieligen Behandlungen eine besondere Härte darstellt.

Außerdem darf nicht übersehen werden, daß es sich bei der bäuerlichen wie auch bei der gewerblichen Krankenversicherung um eine sogenannte „Pflichtversicherung“ handelt, die der Bauer bezahlen muß, obwohl er in ihrer gegenwärtigen Form nichts davon hat.

Wertn Herr Präsident Neugebauer in seinem Artikel von einer „Zwangsmaßnahme“ gegen die Ärzte im Zusammenhang mit dem FPÖ-Antrag auf Schaffung eines Krankenscheins für Bauern gesprochen hat, wäre dieser Ausdruck wohl eher für die Lage der Bauern und Gewerbetreibenden passend.

Die Direktverrechnung mittels Krankenscheines zwischen Ärzten und Bauernkrankenversicherung würde für .viele Ärzte keinen Nachteil darstellen, da sie die privatrechtlich vereinbarten Tarife voll verrechnen können.

Außerdem würde sicherlich mit dem Krankenscheinsystem die Bereitschaft der bäuerlichen Bevölkerung, sich mehr um ihre Gesundheit zu kümmern, steigen, was nicht zuletzt schwere Folgekosten von der Allgemeinheit abwendet.

Stellt nun die Einführung eines Krankenscheines für Bauern und Gewerbetreibende wirklich eine „Verstaatlichung des Gesundheitswesens“ dar?

Nein, denn auch der Krankenschein als „Behandlungsscheck“ zwischen Patient und Arzt hat zur Voraussetzung, daß sich Ärzteschaft und Kranken- ‘ kasse vorher vertraglich auf ein Sachleistungssystem einigen.

Im gewerblichen Bereich liegen die Dinge etwas komplizierter, sodaß dazu gesonderte Ausführungen nötig wären. Aber selbst im geltenden Bauernsozialversicherungsgesetz ist das „Sachleistungsprinzip“ dem Grunde nach bereits verankert, was inhaltlich nichts anderes als das intendierte Krankenscheinsystem bedeutet. Auch wird in der laufenden Debatte immer übersehen, daß es bereits eine Honorarordnung zwischen Ärzteschaft und Hauptverband der Sozialversicherungsträger, abgeschlossen für die Bauern-Sozial- versicherung, gültig bis 30. Juni 1981, gibt, in der die Tarife für die ärztliche Betreuung festgelegt sind.

Gibt es einen Krankenschein, ändert das nichts an der privatrechtlich vereinbarten Gebührenordnung. Der Unterschied besteht nur darin, daß die Rechnung nicht mehr mit dem Patienten selbst, sondern direkt zwischen Arzt und Krankenkasse erfolgt und ein Uber- bzw. Unterschreiten der Honorarordnung ausgeschlossen ist.

Bei einem Krankenscheinsystem ist eigentlich nur die Zurückhaltung der Krankenkasse „verständlich“, da man dort befürchtet, daß der Bauer und seine Familie dann öfters zum Arzt gehen und die Kasse mehr an die behandelnden Ärzte zu zahlen haben wird.

Ziel der jüngsten Initiativen ist daher ein Nachholbedarf für gesundheitspolitisch bisher benachteiligte Gruppen. Davon zu unterscheiden ist aber die notwendige Diskussion um eine Anhebung des Kostenbewußtseins und der Verantwortung der Bevölkerung für die eigene Gesundheit.

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