"Diese Floskeln widern mich an"

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Gerald Bachinger, Niederösterreichischer Patientenanwalt und Sprecher der ARGE der Patientenanwälte Österreichs, ärgert sich im furche-Gespräch über die Reaktionen auf das Gesundheitsreformkonzept von Maria Rauch- Kallat (VP) - und vermisst selbst manches in dem Papier.

Die Furche: Behagt Ihnen die aktuelle Gesundheitsreformdiskussion?

Gerald Bachinger: Nein, ich bin sogar teilweise angewidert darüber, weil Floskeln und Phrasen in die Diskussion eingebracht werden, die mit dem vorliegenden Konzept nichts zu tun haben. So wird etwa kritisiert, dass es zu einer Verstaatlichung des Gesundheitswesens oder zur Einführung der Planwirtschaft kommen würde und dass die Patienten darin überhaupt nicht vorkämen. Wer so etwas behauptet, hat das Konzept nicht gelesen - denn indirekt geht es natürlich nur um die Patienten, nämlich um die Versorgungssicherheit der Bevölkerung. Bezüglich Verstaatlichung kann man durchaus darüber diskutieren, ob die derzeitige Form der Selbstverwaltung wirklich die effektivste für den Patienten ist. Das ist für mich kein Tabuthema. Und zum Vorwurf der Planwirtschaft: Das, was momentan fehlt, ist gerade Planung und Steuerung.

Die Furche: Der Vorwurf der "planwirtschaftlichen Umgestaltung" kommt von Ärztekammer-Präsident Reiner Brettenthaler. Dieser hat auch vorgeschlagen, die Krankenkassenbeiträge zu erhöhen. Sie haben dem bedingt zugestimmt...

Bachinger: Ich kann mich grundsätzlich mit einer Erhöhung anfreunden, wenn eine Reform unter Dach und Fach ist. Denn ich gehe davon aus, dass das Gesundheitswesen bei allen Reformen zusätzliche Geldmittel brauchen wird. Eine isolierte Wiedererhöhung der Sozialversicherungsbeiträge lehne ich aber total ab. Denn wenn man einfach weiterwurstelt und kurzfristig die Mittel erhöht, werden sie vollkommen effektlos im derzeitigen System versickern. Es werden also die Patienten - ohne Effekt - neuerlich zur Kasse gebeten. Und das unterscheidet uns ganz wesentlich vom Vorstoß der Ärztekammer.

Die Furche: Kernpunkt der Strukturreform ist die Aufgliederung in 32 Gesundheitsregionen und vier Versorgungszonen unter dem Dach von neun Landesagenturen und einer Bundesagentur. Wie wird sich das auf die Patientinnen und Patienten auswirken?

Bachinger: Das kann derzeit noch niemand sagen. Ich halte es jedenfalls für sehr gut, dass man von den reinen Bettenzahlen abgeht und größere Flächen heranzieht, die bestmöglich versorgt werden müssen. Diese Versorgungszonen sind insofern bemerkenswert, als man erstmalig in Österreich über Bundesländergrenzen hinausgeht.

Die Furche: Kann es bei den neuen Gesundheitsregionen nicht sein, dass Patienten einen längeren Weg als bisher zum "zuständigen" Krankenhaus auf sich nehmen müssen?

Bachinger: Das ist schon möglich, aber ich sehe das nicht als großes Problem, wenn gleichzeitig die Qualität steigt. Grundsätzlich geht man ja vom Dogma ab, dass jede kleine Krankenanstalt alles machen soll: Denn wenn bestimmte schwierigere Behandlungen oder Operationen angeboten werden, ist es zur Einhaltung der Qualität notwendig, dass auch eine entsprechende Frequenz vorhanden ist. Die Krankenanstalten müssen sich also spezialisieren. Für eine solche Einrichtung von Fachschwerpunkten hat die Bevölkerung auch Verständnis - anders als bei der Schließung kleiner Krankenhäuser. Wir merken nämlich auch, dass das Patientenfeedback in solch kleineren Anstalten viel besser ist als in großen - vor allem was die menschliche Komponente betrifft.

Die Furche: Inwiefern glauben Sie, dass durch diese Strukturreform Effizienzsteigerungen möglich sind?

Bachinger: Hier muss ich mich auf die Experten verlassen. Für mich als Patientenanwalt ist eine Strukturreform primär deshalb wichtig, weil ich die Versorgungssicherheit gewährleisten will. Und das geht nur durch eine Abkehr von der derzeitigen Aufteilung der Finanzierung in den Bereich der Krankenanstalten und den Bereich der niedergelassenen Ärzte. Darunter leiden nämlich auch die Patienten. Vor zwei Monaten ging es etwa um ein neues Wundwachssystem, mit dem ältere Patienten zu Hause versorgt werden können. Wer will schon freiwillig ins Krankenhaus? Doch die Kasse hat das abgelehnt - verständlicherweise: Sie zahlen ohnehin einen bestimmten Betrag in die Krankenanstaltenfonds ein. Wenn der Patient im Krankenhaus liegt, kostet sie das also nichts. Wenn er aber im niedergelassenen Bereich versorgt wird, sind das zusätzliche Kosten. Das ist das Problem: Denn wenn man die Kosten volkswirtschaftlich betrachtet, dann stehen die paar Euro für das Wundwachssystem und ein Krankenhausaufenthalt in keiner Relation zueinander.

Die Furche: Sie wünschen sich also eine Finanzierung aus einem Topf, wie sie im Reformkonzept vorgesehen ist...

Bachinger: Richtig, eine Finanzierung mit einer Gesamtverantwortung. Dann kann man fragen: Wo ist es am billigsten?

Die Furche: Mehr Zusammenschau soll es auch bezüglich der Krankengeschichte des einzelnen Patienten geben - durch eine Elektronische Patientenakte. Was halten Sie davon?

Bachinger: Das sehe ich hundertprozentig positiv. Bisher ist sehr viel Information - auch zum Schaden des Patienten - einfach irgendwo versandet. Das führt zu teuren Doppelbefunden. Natürlich muss datenschutzrechtlich alles in Ordnung sein, aber grundsätzlich halte ich die elektronische Krankenakte, beim Hausarzt für einen wichtigen Schritt.

Die Furche: Um mehr Transparenz wollen sich auch die Krankenkassen bemühen - durch eine Aufschlüsselung der Behandlungskosten für den Patienten...

Bachinger: Das passt in unser Bild vom mündigen Patienten. Wenn der Patient - verständlich - informiert wird, ist das wahrscheinlich auch mit einem neuen Kostenbewusstsein verbunden. Punkto Transparenz würde ich mir aber noch etwas anderes wünschen - nämlich mehr Qualitätstransparenz. Ich höre immer wieder die Frage: Können Sie mir einen Arzt oder ein Krankenhaus empfehlen? Wir haben überhaupt keine öffentlichen Daten über die Qualität von Krankenanstalten oder Ärzten. Lücken im Reformkonzept gibt es auch bezüglich der Patientenpartizipation: Wenn schon von der Patientenorientierung die Rede ist, dann muss es endlich darum gehen, die Betroffenen in organisierter Form in die Entscheidungen einzubinden.

Die Furche: Mehr Patientenbeteiligung gibt es nun in Wien - nämlich finanzielle: Die Wiener Gebietskrankenkasse hat angekündigt, Zuzahlungen zu Gleitsichtbrillen, Erholungsaufenthalten und Kunststoff-Zahnersatz zu streichen. Empört Sie das?

Bachinger: Nein, denn das, was in Wien jetzt eingeschränkt wird, ist ja in Niederösterreich schon lange keine Leistung mehr gewesen. Was mich wirklich empört ist, dass alle Kassen unterschiedliche Leistungen bezahlen. Diese Unterschiede sind unzumutbar - genauso wie bei den Selbstbehalten. Wir müssen uns in Österreich endlich darauf einigen, worin die Grundleistungen des Gesundheitswesens bestehen sollen. Und wir müssen zwischen den einzelnen Versicherungsträgern ein einheitliches Modell schaffen, damit es diese Unterschiede nicht mehr gibt.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

Passionierter Nichtraucher auf Seite der Patienten

Wenn in Österreich eine fundierte Meinung zum Thema Gesundheitswesen gesucht wird, läutet bald bei Gerald Bachinger das Telefon. Seit 1985 ist der promovierte Jurist in der Verwaltung des Landes Niederösterreich beschäftigt - mit Fokus auf den Gesundheitsbereich. Nach einer Mitarbeit in der Leitung von fünf Landeskrankenanstalten, bei der er "wichtige Erfahrungen auf der anderen Seite" sammeln konnte, und einer zweijährigen Tätigkeit als niederösterreichischer Drogenkoordinator ist Bachinger nun seit 1999 als Patienten- und Pflegeanwalt für das Land Niederösterreich im Einsatz. Eine Einrichtung, die kommenden September ihr zehnjähriges Bestehen feiert. Zur Zeit ist Bachinger auch Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Patientenanwälte Österreichs. Anders als die Ärztekammer oder der Hauptverband der Sozialversicherungsträger kann Bachinger im Reformkonzept von Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat (VP) so manches Positive erkennen. Vor allem das im Vorsorgepaket verpackte Rauchverbot am Arbeitsplatz hat es dem passionierten Nichtraucher und sechsfachen Vater angetan. Aber auch die vorgesehene Förderung von Prävention und Gesundenuntersuchungen sind für den 43-Jährigen unerlässlich - sogar ökonomisch: "Das wird zwar kurzfristig nicht wirken, aber langfristig zu einer Entlastung des Gesundheitswesens führen."

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