6825536-1974_10_04.jpg
Digital In Arbeit

Die Papierreform

19451960198020002020

Pech für gewisse Gesundheitspolitiker: Die Österreicher denken pragmatisch, sie sind mehr an Gesundheit als an Politik interessiert. Die von der Regierung in Auftrag gegebene Meinungsumfrage zum Spitalsplan hat ergeben, daß 95 Prozent der Testpersonen die Erweiterung und den Neubau von Spitälern als wichtig und nur 4 Prozent sie als unwichtig ansehen. Dagegen hält die Anhebung der derzeitigen dritten Klasse auf den Standard der zweiten mit 26 Prozent ablehnender Stimmen den Un-wichtigkeitsrekord. Fazit: Die Österreicher wollen in erster Linie wirkliche Gesundheitspolitik und keine Gesellschaftspolitik unter dem Deckmantel der Gesundheitspolitik.

19451960198020002020

Pech für gewisse Gesundheitspolitiker: Die Österreicher denken pragmatisch, sie sind mehr an Gesundheit als an Politik interessiert. Die von der Regierung in Auftrag gegebene Meinungsumfrage zum Spitalsplan hat ergeben, daß 95 Prozent der Testpersonen die Erweiterung und den Neubau von Spitälern als wichtig und nur 4 Prozent sie als unwichtig ansehen. Dagegen hält die Anhebung der derzeitigen dritten Klasse auf den Standard der zweiten mit 26 Prozent ablehnender Stimmen den Un-wichtigkeitsrekord. Fazit: Die Österreicher wollen in erster Linie wirkliche Gesundheitspolitik und keine Gesellschaftspolitik unter dem Deckmantel der Gesundheitspolitik.

Werbung
Werbung
Werbung

Darüber, daß das Krankenanstaltenwesen in Österreich reformiert gehört, besteht bei sämtliohen Parteien wohl Übereinstimmung. Die Frage, was zu geschehen habe, ist hingegen nach wie vor kontrover-siell. An der derzeit vorbereiteten Novelle zum Krankenanstaltengesetz (KAG) wird von verschiedener Seite bemängelt, daß es sich mit Äußerlichkeiten begnügt, die wirklich wichtigen Probleme aber ungelöst beläßt. Sieht man vom formalistischen Blabla ab — so beispielsweise werden Krankheitsgeschichten künftig sprachlich korrekter Krankengeschichten heißen (da werden sich aber die Patienten freuen!) —, dann beschränkt sich das Ganze auf sehr schöne Absichtserklärungen über die Errichtung von Standard- und Sonderkrankenanstalten, über die Schaffung eigener Abteilungen für Akutkranke und für Langzeitbehandlung und natürlich über die Abschaffung der dritten Spitalsklasse.

Dem wichtigsten Problem wird aber in weitem Bogen ausgewichen: der Frage, wer das alles bezahlen soll, wie sich die Kosten auf Bund, Länder, Gemeinden und Krankenversicherung aufteilen sollen. Die Regierung hat eine Vorliebe für runde Summen und setzt daher die Kosten für die Spitalsrefoirm mit einer Milliarde Schilling pro Jahr fest, wovon 500 Millionen Schilling durch den viel diskutierten Gesundheits-sohilling aufgebracht werden sollen.

Wirklich nachgerechnet hat die Kosten noch niemand. Wie aber Spitalserweiterung, die Errichtung von Abteilungen für chronisch Kranke, die Schaffung von Überwachungszentren für Geburten mit Komplikationen, der Ausbau das Krankentransportdienstes, die Verdopplung der Zahl der künstlichen Nieren, die Einrichtung modernster Schwerpunktspitäleir und schließlich auch noch die Anhebung der dritten Klasse auf den Standard der zweiten mit einer Milliarde Schilling pro Jahr bestritten werden soll — spe-ziel, wenn man alle diese Zielsetzungen in einigermaßen absehbarer Zeit erfüllen will —, darüber weiß niemand Bescheid.

Fest steht jedenfalls, daß alle Ziele nicht auf einmal erreicht werden können, daß man bei der praktischen Verwirklichung des Gesetzes nicht darum herumkommen wird, Prioritätenlisten aufzustellen. Sonst entsteht nur Konfusion, es bleibt bei ein paar Show-Effekten, deren Wirkung verpufft.

Solange kein konkreter und detaillierter Finanzplan aufgestellt und darüber hinaus nicht auch das Problem der Personalbeschaffung geregelt wurde, ist beispielsweise die Abschaffung der dritten Spitalsklasse nichts weiter als eine Propagandaphrase. Für den Patienten ist es herzlich egal, ob der Riesensaal, wo er aus Personalmangel nur ungenügend betreut wird,, nun dritte Klasse oder allgemeine Gebühren-Klasse heißt, ob es daneben noch eine zweite und erste Klasse gibt oder ob die beiden in einer Sonderklasse zusammengefaßt wurden — was in vielen Fällen faktisch nur darauf hinauslaufen wird, daß in die Zimmer der ersten Klasse ein weiteres Bett gestellt wird.

Auch mit dem gesetzlichen Antrag, daß die Zahl der für die Sonderklasse bestimmten Betten ein Viertel der gesamten für die Anstaltspflege bereitgestellten Betten nicht übersteigen darf, ist wenig erreicht. Sicherlich hat jedes Spital nach Möglichkeit ausreichend Betten für die höheren Gebühranklassen bereitgestellt, da diese für die Krankenanstalten ein wichtiges Aktivum in ihrer ansonst eher prekären Finanzsituation sind. Wenn man den Spitälern diese Einnahmequelle beschränkt, ohne ihnen neue Ressourcen zu erschließen, so wird wahrscheinlich das Gegenteil dessen erreicht werden, was angestrebt ist: Statt mehr Betten für die allgemeine Gebührenklasse werden weniger Betten für beide Klassen zur Verfügung stehen.

Die Verkleinerung der Krankensäle auf Krankenzimmer mit sechs Betten — eine Möglichkeit, die gleichfalls ins Auge gefaßt wird — wäre sicherlich wünschenswert. Nur, wie soll dies in Spitälern geschehen, deren Baulichkeiten eben große Säle aufweisen, und die froh sind, wenigstens diese zu haben, da sie ohnehin nicht wissen, wie sie den Andrang bewältigen sollen und gezwungen sind, Betten auf Gänge zu stellen? Damit, daß man in den Sälen womöglich hölzerne Trennwände aufstellt, wäre das Problem bestimmt nicht aus der Welt geschafft.

Wenn heute auch in kleineren Krankenzimmern häufig zu viele Betten stehen, so vielfach oft deshalb, weil sie überbelegt sind — und das aus dem einfachen Grund, weil die Spitäler dringende Fälle nicht einfach abweisen können, sondern irgendwo unterbringen müssen.

Natürlich soll man die dritte Klasse mit der Zeit abschaffen oder zumindest verbessern. Man wird daher gut daran tun, dies beim Neubau von Spitälern bereits zu berücksichtigen. Vor allem aber müssen wir zunächst einmal genügend Spitäler haben, um solche Projekte überhaupt realistisch erscheinen zu lassen. Allerdings wird man bei alledem im Auge behalten müssen, daß die Abschaffung der dritten Klasse bestimmt nicht so wichtig ist wie beispielsweise die Errichtung einer Intensivstation.

Solange jedenfalls akute Raumnot herrscht, ist die vom grünen Tisch her diktierte Abschaffung der dritten Klasse bestenfalls ein Tag-traum. Gerade in solchen brilliert aber das neue Gesetz: Es wird auf dem Papier reformiert, um den Eindruck zu erwecken, die Regierung leiste ganze Arbeit. Die wahre Sachlage wird das staunende Publikum allerdings erst dann erfahren, wenn es selbst ins Krankenhaus muß und die Diskrepanz zwisohen Papierreform und Realität am eigenen Leib erfährt.

Die heute so ausgeprägte Tendenz, Gesetzgebung als Show-Geschäft zu betreiben, kommt hier besonders eklatant zum Ausdruck. Die wahren Aufgaben der Gesetzesnovelle, mit der man freilich keinen billigen Publikumseffekt erzielen kann, würde die Aufstellung eines genauen Finanzplanes sein — worin auch endlich genau zwischen Investitionskosten und laufender Finanzierung unterschieden werden sollte —, weiters die Neustrukturierung der Pflegegebühren, die Verbesserung der Organisation und vor allem die wirtschaftliche Betriebsführung der Spitäler — denn vieles könnte auch effektiver und zugleich weniger kostspielig sein. Diese konkreten Fragen packt aber die mit viel Trara angekündigte Spitalsreform nicht an, sondern schwebt lieber in höheren Sphären.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung