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Der wunde Punkt

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„So sicher, wie das der Herr Abgeordnete darstellt, ist die Sache noch lange nicht.“ Erasmus Peer, Leiter der Geschäftsstelle des Krazaf, des Krankenanstalten-Zusammenarbeitsfonds, bleibt skeptisch. Für ihn ist die Jubelmeldung von ÖVP-Gesundheits-sprecher Günter Stummvoll über den „historischen Durchbruch in der Spitalsreform“ lediglich eine Absichtserklärung.

Die Skepsis ist verständlich. Seit Jahren bekennt sich die Regierung zu einer leistungsorientierten Spitalsfinanzierung statt einer fast ausschließlichen Verlustabdeckung, ohne daß entscheidende Schritte folgten. Ebenso lange haben sich die Spi-_ täler wie entzündete Hautstellen verhalten, an denen niemand tupfen durfte, ohne einen geballten Aufschrei der Entrüstung zu provozieren.

Daß die medizinische Versorgung nicht am Geldmangel scheitern darf, stand dabei immer außer Zweifel. Weniger Ubereinstimmung gab es aber bei der Vorstellung, daß über Gesundheit und Geld zwangsweise wohl gleichzeitig geredet werden muß.

Man erinnere sich nur an die Bemühungen der damaligen Gesundheitsministerin Leodolter, bis sie endlich 1974 eine Kostenstellenrechnung durchgeboxt hatte. An dieses Buchführungssystem in bundeseinheitlicher Form ist seither die Gewährung von Zuschüssen gebunden. Mit dem Schönheitsfehler, daß man zwar jetzt die anfallenden Kosten, aber nicht die dafür erbrachten Leistungen feststellen kann. Daß diese eher formale Regelung nicht gerade streng gehandhabt wurde, ist bekannt. Ebenso die Tatsache, daß damit den Spitälern wenig Anreiz zu mehr Sparsamkeit oder betriebswirtschaftlichem Denken geboten wurde und wird.

Das beschlossene Reformpaket sieht jedenfalls als zentralen Sanierungspunkt die Schaffung eines neuen, leistungsabhängigen Finanzierungssystems vor. Ein entscheidender Schritt, der aber eher zu den wunden Punkten des neuen Konzeptes gehört. Er sieht vor, ab Juli 1990 die Finanzspritzen des Krazaf (es stehen zu diesem Zeitpunkt durch die Erhöhung der Höchstbeitragsgrundla-ge in der Krankenversicherung rund neun Milliarden Schilling zur Verfügung) nur mehr nach noch zu definierenden Leistungskriterien zu vergeben. Schon jetzt berücksichtigt der Fonds, der im Sinne der Erfinder kostenbremsend auf die Spitäler einwirken soll, finanziell die unterschiedlichen ärztlichen Kunststücke. Das gilt aber nur für einen Bruchteil der vorhandenen Mittel. Herztransplantationen oder komplizierte Gefäßoperationen werden zum Beispiel als Spitzenleistungen eingestuft und sind entsprechend dotiert.

Das Schlüsselwort der zukünftigen Reform heißt aber „codierte Diagnose“. Dieses recht aufwendige System kommt aus den Vereinigten Staaten. Auch die USA kämpften — wie weltweit die Spitäler — gegen eine anschwellende Kostenlawine und die drohende Unfinanzierbarkeit des Gesundheitssystems. Um genau zu erfassen, was welche Kosten in einem Krankenhaus verursacht, wurden Tausende möglicher Diagnosen in Gruppen eingeteilt, die in ihrer Kostenstruktur einander ähnlich sind. Das ergab 467 solcher Gruppen; für jede Diagnose wurden die

In Europa — und auch in Österreich — gibt es schon seit längerem Bemühungen, dieses amerikanische Modell zu übernehmen. Jetzt hat sich die Koalition in einem Schnellschußverfahren entschlossen, eben dieses System als Grundlage für die gewünschte Leistungsorientierung zu verwenden.

Ab Juli 1988 (!) werden in allen Spitälern solche Diagnoseschlüssel eingeführt, die die Kosten für die einzelnen Leistungen festlegen. 1990 gibt es Geld vom Krazaf, so heißt es, nur mehr auf der Basis dieser normierten Leistungsentgelte.

Längst weiß man aber, wie schwierig es ist, Reformen in die Praxis umzusetzen. Die Verstaatlichte ist dafür das beste Beispiel.

In den USA hat man gut zehn Jahre an diesem System getüftelt und gearbeitet. Ob man da in Österreich die ganze Sache in Rekordzeit durchziehen kann? Und selbst wenn das „Skalpell“ für die Notoperation — sprich neues Finanzierungssystem — auf dem Tisch liegt, bleibt offen, ob alle Beteiligten auch bereit sind, den entscheidenden Schnitt zu tun.

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