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Schutz des Parlamentes vor sich selbst

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Der Unterausschuß des Verfassungsausschusses trat am 22. Februar, einen Tag nachdem sich das Parlament mit dem Rechnungsabschluß 1978 beschäftigt hatte, zusammen, um einen Fragenkomplex in Angriff zu nehmen, dessen Lösung längst überfällig ist: ein neues Haushaltsrecht. Seit der von der Volkspartei initiierten Budgetrechts-Enquete am 9. Mai 1978 war es darum wieder sehr still geworden.

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Der Unterausschuß des Verfassungsausschusses trat am 22. Februar, einen Tag nachdem sich das Parlament mit dem Rechnungsabschluß 1978 beschäftigt hatte, zusammen, um einen Fragenkomplex in Angriff zu nehmen, dessen Lösung längst überfällig ist: ein neues Haushaltsrecht. Seit der von der Volkspartei initiierten Budgetrechts-Enquete am 9. Mai 1978 war es darum wieder sehr still geworden.

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Wenn dafür im Lager der großen Oppositionspartei für die Angst vor der eigenen Courage vielleicht der Irrtum maßgeblich gewesen ist, daß sie nur in ihrer heutigen Funktion an einer Reform des Haushaltsrechts und deren verfassungsrangiger Bindung interessiert ist, so wirft das ein Schlaglicht darauf, wie gründlich dieses Anliegen mißverstanden werden kann. Die Regierungspartei scheint von ähnlichen Perspektiven geleitet worden zu sein, hat sie doch in der Zwischenzeit nicht viel mehr unternommen, als ihr unbedingt notwendig schien, um etwaigen anderen Initiativen zuvorzukommen.

Das Interesse der Opposition an größerer Einflußnahme auf den Bundeshaushalt wie auch an dessen wirksamerer Kontrolle soll sicherlich nicht in Frage gestellt werden. Ein verfassungsrechtlicher Schutz gegen eine anhaltende Uberforderung des Staates aber muß jedem ein Anliegen sein, dem geordnete Staatsfinanzen wirklich am Herzen liegen.

Eine parlamentarische Mehrheit sollte daran aber noch viel mehr interessiert sein, verbinden doch ihr nahestehende Wählergruppen wie auch nicht minder deren Abgeordnete häufig damit entsprechend hochgestochene Erwartungen. Das Parlament muß sich also vor sich selbst schützen bzw. die morgige Volksvertretung vor derheutigeh soweit wie möglich in Schutz genommen werden. Der Gesetzgeber muß sich selbst die Rückendeckung mit der Stabilität einer gediegenen Zweidrittelmehrheit aufbauen, wenn er sich in Zukunft erfolgreicher als bisher gegen illusionäre und für die Haushaltsentwicklung bedrohliche Ansprüche zur Wehr setzen möchte.

Innerhalb einer Bundesregierung ist es gerade der Finanzminister, der gegenüber seinen Ressortkollegen eine ähnliche Funktion hat, wie sie die Regierung gegenüber ihrer parlamentarischen Mehrheit erfüllen sollte. Es ist nur zu verständlich, daß die übrigen Regierungsmitglieder an sich weniger am Budgetkonzept als an den Mitteln interessiert sind, die ihrem Ressort zur Verfügung stehen.

Unter diesem Gesichtspunkt ist die Haltung des derzeitigen Chefs des Finanzressorts unverständlich, der offensichtlich gar kein Interesse zu haben scheint, sich „die Hände binden" zu lassen, ja im Gegenteil, sogar noch glaubt, noch mehr Ellbogenfreiheit in Anspruch nehmen zu müssen. Dieses Begehren läuft unter dem Stichwort „Vergrößerung des Spielraums für den Finanzminister zum Zwecke der Konjunktursteuerung".

Das ist mit der Vorstellung verbunden, daß die offensichtlichen Unzulänglichkeiten, die mit dem Einsatz des Budgets zum Zwecke der Stabilisierung der Beschäftigung vor allem darauf zurückzuführen sind, daß der Finanzminister nicht in der Lage ist, die dafür genehmigten Mittel rasch genug einzusetzen.

Hier fehlt der Raum aufzuzeigen, warum die Erwartungen, mittels Budgetdefiziten Dauerarbeitsplätze zu schaffen oder auch nur zu erhalten, sich als Illusion erwiesen haben und eine Konjunktur so nicht „machbar" ist. Die Uberwindung der Entscheidungs-Verzögerungen von einer entsprechend pessimistischen Konjunkturprognose bis zum Einsatz zusätzlicher Mittel aus dem Staatshaushalt ist in dieser Kette von Schwierigkeiten noch die geringste.

Es geht im Gegenteil darum, die „Flexibilität" in der Ausgabenfreudigkeit der Exekutive durch das Parlament und die lockere Hand des Finanzgesetzgebers durch Verfassungsbestimmungen vor aHem hinsichtlich der Belastung und damit Präjudizierung künftiger Regierungen und parlamentarischer Mehrheiten erstmals überhaupt unter Kontrolle zu bringen.

Die aus Gründen der politischen Kontrolle auf ein Jahr beschränkte Rechnungsperiode hat den Nachteil, darüber hinaus wirksame Ausgaben - und das sind fast alle - in ihrer Tragweite oft nicht erkennbar zu machen, geschweige denn zu berücksichtigen. Die heute gar nicht mehr kurzfristig sanierbare Budgetlage gibt ein anschauliches Bild der Folgen dieser Lücken im österreichischen Haushaltsrecht.

Die mangelnde mittelfristige Finanzplanung, die mangelnde Berücksichtigung der in der Regel weit unterschätzten Folgekosten öffentlicher Investitionen, die Eigendynamik von Rechtsansprüchen, die ohne Rücksicht auf künftige Ertragslagen genehmigt wurden, haben eine Diskrepanz zwischen Ausgaben- und Einnahmenentwicklung' zur Folge, die dann nur noch durch eine rasch wachsende Staatsverschuldung geschlossen werden kann. Diese wieder birgt die Tendenz, ihrerseits wieder durch Tilgungsverpflichtungen und vor allem durch die damit verbundene rasch steigende Zinsenlast diese Schere noch weiter zu vergrößern.

Damit erfordern die Vorbelastungen für spätere Budgetjahre die selbe gründliche parlamentarische Erörterung, wie es schon für die Geltungsdauer des jeweiligen Bundesfinanz-gesetzes angemessen wäre. Während hier aber wenigstens konkrete Beträge genehmigt werden und geprüft werden können, für deren Uber-schreitung parlamentarische Prozeduren vorgesehen sind, gibt es für die seriöse Berücksichtigung längerfristiger Wirkungen kaum wirklich zwingende Bestimmungen.

Im Jahre 1965 hat das Finanzressort erstmals versuchsweise das Instrument einer mehrjährigen Budgetvorschau eingeführt. Sie ist vom Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen als „Voraussetzung für ein längerfristiges Budgetkonzept" und als „Grundlage einer rationalen Budgetpolitik" begrüßt und unterstützt wordeni Seither ist auf diesem Gebiet fast nichts geschehen, wenn man vom jährlichen, noch recht unzulänglichen Finanzschuldenbericht absieht. Auf eine Budgetvorschau mußte in manchen Jahren mangels Kooperationsbereitschaft des Finanzministers sogar verzichtet werden.

Ein Finanzierungsinstrument neuer Art sind längst die sogenannten Verwaltungsschulden geworden, d. h. jene Kreditfinanzierung von Budgetausgaben, die nicht mit Hilfe von Krediten von Kreditinstituten und Kapitalsammelstellen finanziert werden, sondern von Nicht-Banken, wie z. B. (meist unfreiwillige) Lieferantenkredite, Vorfinanzierungen durch die Bundesländer usw. Auf diese Verwaltungsschulden hat das Parlament überhaupt keinen Einfluß.

Als ein budgetärer Sprengsatz von besonderer Gefährlichkeit hat sich die außerbudgetäre Investitionsfinanzierung durch Sondergesellschaften erwiesen, s,oweit diese ihren Kapitaldienst nicht durch eigene Einnahmen (z. B. Straßenmauten) selbst verdienen. Die für den Straßenbau eingegangenen Bundeshaftungen sind von 3,5 (1970) auf rund 21 Milliarden Schilling im Jahre 1978

angestiegen. Das Leasing-Verfahren ist eine neue Finanzierungsmethode, die ebenfalls voll in die Kontrolle des Finanzgesetzgebers eingebaut werden muß.

Nicht zuletzt schlägt sich die rasche und zu wenig kontrollierte Ausweitung der Staatsausgaben in einem sprunghaften Ansteigen sowohl der Steuerquote (Anteil der Staatseinnahmen aller öffentlichen Hände am Sozialprodukt) wie auch der Staatsquote (Anteil der Staatsausgaben am Sozialprodukt) nieder. Die letzte Budgetvorschau des Beirats für Wirtschafts- und Sozialfragen erwartete ein Anwachsen der Staatsverschuldung von 189,1 Milliarden Schilling (1978) auf 353,1 Milliarden (1982) und eine Steigerung allein des Zinsendienstes von 9,9 auf 22,4 Milliarden Schilling sowie ein Ansteigen des gesamten Schuldendienstes, d. h. einschließlich der jährlichen Tilgungen, von 22,7 auf 54,7 Milliarden Schilling.

Die also seit Jahren beängstigende Entwicklung der österreichischen Staatsfinanzen, deren Sanierung angesichts der sich abzeichnenden Zukunft ohne harte Eingriffe längst ein kaum lösbares Problem geworden ist, hat nur dann Aussichten, wieder unter Kontrolle gebracht zu werden, wenn sie streng verpflichtenden budgetrechtlichen Regelungen mit Verfassungsrang unterliegt.

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