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Von der Eigengesetzlichkeit unserer Tintenburgen

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Die jüngere Bürokratieforschung bestätigt immer wieder mit fast erschreckender Deutlichkeit die Gültigkeit des „Parkinsonschen Gesetzes“, wonach Bürokratien aus sich herauszuwachsen tendieren, unabhängig davon, wie groß oder welcher Art ihre Aufgaben sind. Jüngste Publikationen zeigen, daß es sich hier um Prozesse mit Eigengesetzlichkeit handelt, die unbeschadet des politischen Systems zu beobachten sind. Das heißt, sowohl der Westen, wie auch der Osten haben Probleme mit ihren sich aufblähenden Bürokratien, deren Wachstum nur von außen kontrolliert werden kann und muß. Aber gerade hier zeigt sich mit zunehmender Deutlichkeit das Unvermögen, ja das Nicht-Wollen derjenigen, die eine Steuerung dieser Entwicklung in der Hand haben.

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Die jüngere Bürokratieforschung bestätigt immer wieder mit fast erschreckender Deutlichkeit die Gültigkeit des „Parkinsonschen Gesetzes“, wonach Bürokratien aus sich herauszuwachsen tendieren, unabhängig davon, wie groß oder welcher Art ihre Aufgaben sind. Jüngste Publikationen zeigen, daß es sich hier um Prozesse mit Eigengesetzlichkeit handelt, die unbeschadet des politischen Systems zu beobachten sind. Das heißt, sowohl der Westen, wie auch der Osten haben Probleme mit ihren sich aufblähenden Bürokratien, deren Wachstum nur von außen kontrolliert werden kann und muß. Aber gerade hier zeigt sich mit zunehmender Deutlichkeit das Unvermögen, ja das Nicht-Wollen derjenigen, die eine Steuerung dieser Entwicklung in der Hand haben.

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Für die Bundesrepublik Deutschland etwa hat der Frankfurter Professor Wolfram Engels nachgewiesen, daß der öffentliche Dienst sich seit 1948 mit einer jährlichen „Wachstumsrate“ von 3,4 Prozent vermehrt hat und heute doppelt so groß ist wie damals. Eine besonders starke Zunahme wird seit 1969 beobachtet. Durch Verwaltungsreformen wurden immer mehr Agenden den lokalen Bürokratien entzogen und Zentralbehörden überantwortet. Dadurch leidet nicht nur die Leistungsfähigkeit der damit sach- verhaltensfemeren Bürokratien, es tritt auch ein Verlust an demokratischer Substanz ein.

Bürokratie in Ost und West

Wen wundert es, wenn sich die wissenschaftliche Literatur zunehmend mit diesem Problem beschäftigt? Eine interessante Übersicht bringt ein von Gerd-Klaus Kaltenbrunner herausgegebener Sammelband, der den bezeichnenden Untertitel „Die Inflation der Bürokratie in Ost und West“ trägt. In diesem Buch wird - durch eine möglichst breite Streuung der Beiträge - versucht, nicht nur eine Bestandsaufnahme bekannter Probleme vorzunehmen, sondern auch Fragen wie „Das Ärgernis der kirchlichen Bürokratie“ oder „Sankt Bürokratius in der Dritten Welt“ miteinzubeziehen.

In seinem Vorwort tritt der Herausgeber klar der linken Irrlehre entgegen, die - so Habermas - von einer „Legitimationskrise des Kapitalismus“ spricht. Sie beruhe darauf, daß die sozialen und politischen Strukturen zunehmend undurchschaubar werden und das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung schwindet. Diese Krise sei jedoch weniger eine Krise des Kapitalismus, „sondern Ausdruck eines wachsenden Unbehagens an der Bürokratisierung des Lebens. Wir müssen vor dieser Tendenz,

obwohl sie zunehmend stärker wird, noch nicht kapitulieren.“

Daß das Problem frei wuchernder Bürokratien keineswegs ein Problem des kapitalistischen Westens allein ist, wird auch in einem anderen, sehr bemerkenswertes Buch von Ota Šik („Das kommunistische Machtsystem“) mit aller Deutlichkeit nachgewiesen. In seinem Vorwort betont Šik, daß es bei der Analyse der kommunistischen Praxis „nicht um einige wirtschaftliche Schwierigkeiten gehe, sondern um wesentliche Pervertierungen des gesamten Gesellschaftssystems gegenüber ursprünglichen Sozialismus- vorstellungen“. Ein wesentliches Gefahrenmoment sieht Šik im Trend der Bürokratie zur Eigengesetzlichkeit, in der Anonymität der Entscheidungsfällung (die weitgehend ein gewisses Maß an Unverantwortlichkeit sichert) und in der Tatsache, daß die persönliche Machtausübung des Bürokraten gegenüber dem Interesse der Öffentlichkeit stärker hevorzutreten scheint (Karriere-Denken).

Trotz der beeindruckenden Arbeit darf nicht übersehen werden, daß Ota Sik, der immerhin der Verantwortliche der tschechoslowakischen Wirtschaftsreform 1968 war Und unter Duböek das Amt eines stellvertreten-, den Ministerpräsidenten bekleidete, sich nach wie vor zu einem reinen, humanen (also von der Bürokratisie- i rung gereinigtem) Kommunismus bekennt. In einem „Politischen Nachwort“ sieht er die Chance für eine Entbürokratisierung im Osten nur in einer „realen Demokratisierung“ (da die - ohnehin miteinander verquickten - Staats- und Parteiapparate von sich aus nicht bereit sein werden, diesen zuzulassen); diese aber könne nur durch eine Entspannungspolitik des Westens gefördert werden („stärkere wirtschaftliche, kulturelle, touristische und "ähnliche Beziehungen“). Dieser Schuß Naivität, der im Westen immer wieder den Zwischenruf von der „Einbahnstraße“ provoziert und der so vielen kommunistischen Dissidenten zu eigen ist, tut aber der grundsätzlich sorgfältigen Arbeit des Autors keinen Abbruch.

Uber die Aufblähung der Bürokratien in Österreich gibt insbesondere die vor kurzem erschienene Broschüre „Personalpolitik im öffentlichen Dienst 1970 bis 1976“ Auskunft, wobei auch der politische Aspekt der geschilderten Entwicklungen nicht vernachlässigt wird. Während die sachlichen Ursachen, wie Bevölke- rüngszunahme, technischer Fortschritt und Arbeitszeitverkürzung die rasante Zunahme während der Zeit der SPÖ-Regierung nur zum Teil rechtfertigen, sind es vor allem die politischen Faktoren, die als Treibsatz für die in manchen Bereichen explosionsartige Personalvermehrung wirkten und wirken.

Der Autor, Günther Engelmayer, verweist auch auf die ständig zunehmende Paragraphenflut (1962 bis 1966 gab es 376 Gesetzesbeschlüsse, von 1971 bis 1975 aber 573). Diese starke Zunahme läßt sich einerseits sachlich aus der Notwendigkeit erklären, der technischen Entwicklung Rechnung tragen zu wollen, anderseits aber darf nicht der Umstand vernachlässigt werden, daß auch die Gesetzgebermaschinerie eine Eigengesetzlichkeit entwickelt, weshalb immer kasuistischere Regelungen beobachtet werden können.

Leistungsdruck geht ab

Als politischer Faktor ist der auf der Bundesregierung lastende Leistungsdruck infolge der (umfangreichen) Wahlversprechungen zu nennen. Ein weiterer wesentlicher und belastender Faktor ist zweifellos die mangelhafte Organisation der öffentlichen Verwaltung. Während privatwirtschaftliche Organisationen, unter Erfolgsdruck stehend, Rationalisierung und Organisationsreform als ständigen, dynamischen Prozeß betrachten, zeigt sich in der öffentlichen Verwaltung eine - bewußte öder unbewußte - Vernachlässigung dieser Grundhaltung. Wenn schließlich noch die politische Bereitschaft fehlt oder geradezu der gegenläufige Weg gewählt wird, muß die

Aufblähung extrem beschleunigt werden. Dies zeigen insbesondere die Vermehrung der Organisationseinheiten sowie der verstärkte parteipolitische Protektionismus.

Die Vermehrung der Organisationseinheiten erfolgte mit der Begründung, einen Beitrag zur Verwaltungsreform leisten zu wollen. So ist das Kreisky-Wort, daß durch Schaffung des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung kein einziger neuer Schreibtisch entstehen werde (weil es sich ja „nur“ um eine Ausgliederung aus dem Bundesministerium für Unterricht handle), in der Zwischenzeit zum verwaltungsreformerischen Zynismus abgesunken. Die abgedruckte Tabelle aus der Engelmayer-Bro- schüre zeigt deutlicher als jede verbale Umschreibung die Entwicklung der letzten Jahre.

Aus welchen Ursachen resultiert die wunderbare Beamtenvermehrung? Dazu zählen nicht nur die persönlichen Referenten der Bundesminister (die nach relativ kurzer Dienstzeit regelmäßig mit einflußreichen und lukrativen Posten versorgt werden), sondern auch die Sekretärinnen in den Ministerbüros. Denn es wurden nicht nur neue Sektionen, Gruppen, Abteilungen und Referate geschaffen und die dafür „notwendigen“ Aufnahmen durchgeführt, sondern es werden auch dort, wo etwa in den Ministerbüros die „falschen“ Leute sitzen, diese durch persönliche Referenten der Bundesminister „ergänzt“. Derzeit gibt es über 100 derartige Referenten, von denen mindestens ein Drittel in einem „außerordentlichen“ Dienstverhältnis steht.

Diese volkswirtschaftlich ungesunde Entwicklung, deren gesamtwirtschaftliche Belastung sich in den ständig steigenden Personalkosten der Budgets niederschlägt, wird durch diese parteipolitisch motivierten Aufblähungen gefährlich beschleunigt; denn nicht nur, daß die derzeitige Regierung dem Wachstum der Bürokratie tatenlos zusieht, sie beschleunigt geradezu diese Entwicklung, indem sie bewußt „ein Schäuferl nach dem anderen nachlegt“.

Darüber hinaus zeigt eine neue Untersuchung, daß die Regierung in den letzten Jahren den Beamtenapparat weit über die offiziell ausgewiesenen Zahlen vergrößert hat, da leere Planstellen konsequent ausgefüllt wurden und werden. Immerhin war es doi Regierung Klaus gelungen, die Ujitqrbe- setzung von 4000 Beamten auf 8000 zu steigern. Teils waren dies Dienstposten, die mangels Bewerbung oder Nachfrage nicht besetzt werden konnten, teils Dienstposten, die bewußt eingespart wurden. Der Regierung Kreisky „gelang“ es, diese Unterbe- setzuhg durch rund 7000 Neubesetzungen auf 1000 zu senken.

Inwieweit die staatlichen Bürokratien durch derartige Personalinjektionen effizienter geworden sind, läßt sich nur vermuten, da es unmöglich oder sinnlos wäre, bei bestimmten Aufgaben eine Leistungskontrolle zu fordern. Dort wo Bürokratien jedoch Marktteilnehmer sind, das heißt, entweder als Monopol oder aber in Konkurrenz zu anderen Betrieben der Privatwirtschaft auftreten, zeigen sich eine regelmäßige Abnahme der Leistung (etwa bei Bahn und Post), stark steigende Kosten oder auch - wie im Falle Bauring - schlicht die Pleite.

Weltweiter Ruf nach „weniger Staat“

Kein Wunder, daß weltweit der Ruf nach „weniger Staat“, „weniger Steuern“, mehr Privatinitiative oder Reprivatisierung gewisser Bereiche ertönt. Während jedoch in den kommunistischen Staaten derartige Postulate lediglich „von oben“ erzwungen werden könnten, besteht in den parlamentarischen Demokratien des Westens immerhin die Chance, daß der „Stimmbürger“ doch noch bemerkt, in welche Richtung der Versorgungsstaat schlittert. Die Schweiz hat vor kurzem mit ihrem eindeutigen Plebiszit gegen die Einführung der 40-Stun- den-V/oche einen einsamen Akt politischer Reife gesetzt. Wann kommt in Österreich das Faß zum Überlaufen?

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