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Digital In Arbeit

Im Blickpunkt: die verstaatlichte Industrie

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Das Jahresende und die mit seinem Herannahen sich häufenden Publikationen zeigen im allgemeinen eine Tendenz zu Rückblicken, und vermeiden es gerne, Ausblicke in die Zukunft zu versuchen oder gar auf ungelöste Probleme hinzuweisen. Das ist nicht unverständlich, denn kritisieren ist leichter als prophezeien, und auch der Arbeitsfreudigste weist zu irgendeinem Zeitpunkt gerne auf die getane Arbeit hin und unterläßt es in einem solchen Augenblick, an das zu denken, was unerledigt vor ihm liegt. Die IBV ist zu jungen Datums, um am Ende eines Jahres (das erste volle Jahr ihres Bestehens) auf die Vergangenheit zu weisen und sich, was die Zukunft anlangt, auf Hoffnungen zu beschränken. Immerhin sei soviel Rückblick gestattet, als notwendig ist, die politische und wirtschaftliche Konstellation der Geburtsstunde der IBV zu verstehen.

In den hinter uns liegenden zwölf Jahren führte die Erstarkung der Wirtschaft zu einer Abschwächung des Planungsbedürfnisses, und mit zunehmender Güterversorgung wuchs die Angst des einzelnen vor dem Staatskoloß. Diese latenten Befürchtungen traten mit dem Abschluß des Staatsvertrages offen zutage. Der Wahlkampf des Jahres 1956 war beherrscht von der Diskussion vor allem um die Führung des Erdöls, aber auch der übrigen verstaatlichten Industrien. Dem Prinzip kollektiver Sicherheit in Form der Verstaatlichung wurde das bürgerliche Prinzip individueller Sicherheit in der Form privater Eigentumsbildung gegenübergestellt. Die Idee der Volksaktie war geboren. Das Wahlergebnis sprach für die bürgerlichen Auffassungen. Aenderungen in den Führungsgrundsätzen des riesigen Staatsbesitzes an Industrieunternehmungen waren damit unaufschiebbar geworden. Zu dem unter dem Namen Raab-Kamitz-Kurs bekanntgewordenen Programm der Stabilität und der Wachstumsförderung war als dritte Komponente die Förderung der Eigentumsbildung getreten. Der Vorgang darf keineswegs mit einer Verwaltungsreform verwechselt werden. Er stellt vielmehr ein zentrales Problem der österreichischen Wirtschafts- und Sozialstruktur dar.

Die beiden Komponenten Stabilität und Mobilität in geeigneter Form wirken zu lassen, ist eine Aufgabe, die auch außerhalb des Bereiches der Führung industrieller Betriebe liegt und unmittelbar zu den Aufgaben der staatlichen Wirtschaftspolitik gehört. Die Grundsätze der Stabilität und der Mobilität in der Wirtschaftspolitik durchzusetzen, ist vorwiegend Aufgabe des Finanzministers, des Handelsministers und der leitenden Organe der Notenbank. Die Auseinandersetzung um diese Grundsätze selbst, um die Methoden zu ihrer Verwirklichung oder Verbesserung spielt sich daher auf der staatspolitischen Ebene ab, in der den wirtschaftlichen Faktoren nur beratende Funktionen zukommen. Die Frage der Eigentumsbildung hingegen, als der dritten Komponente des wirtschaftspolitischen Konzepts, muß durch einen einmaligen grundsätzlichen Entschluß aus den parteipolitischen Auseinandersetzungen herausgehoben werden. Es ist je nach der allgemeinen innenpolitischen und weltpolitischen Lage durchaus möglich, durch zum Beispiel handelspolitische Maßnahmen den Wettbewerb und damit die Mobilität der Wirtschaft zu erhöhen, durch die Steuerpolitik die Stabilität gegenüber der belebenden Wirkung öffentlicher Großinvestitionen hintanzusetzen, aber auch bei entsprechend veränderter Lage den umgekehrten Weg zu gehen, die Steuerschraube zu lockern und den Wettbewerb durch vorsichtigere Zoll- und Liberalisierungspolitik zu dämpfen. Die Eigentumsbildung auf breiter Basis hingegen setzt mühevolles und zähes Ringen um das Vertrauen des Sparers voraus und darf nicht dem Hin und Her der innenpolitischen Auseinandersetzungen preisgegeben werden. Die politischen Faktoren Oesterreichs werden sich einer klaren und eindeutigen Antwort auf die Frage nicht entziehen können, ob die Eigentumsbildung als Dauerinstrument für Leistungssteigerung und damit Steigerung des Volkseinkommens zu fördern ist und ob es sinnvoll ist, dabei die staatlichen Großunternehmen mit ihrem wachsenden Finanzbedarf aus dieser Eigentumsbildung auszuklammern;

Diese Problematik wird intensiviert und der Ruf nach ihrer Lösung um so dringender, je stärker wir uns der europäischen Integration nähern. Neben allen sonstigen Wirkungen löst die Vorbereitung auf die Freihandelszone einen bedeutenden Kapitalbedarf aus. Daraus ergibt sich für die verstaatlichte Industrie eine Verschärfung der Finanzierungsfragen und angesichts der Verschiedenartigkeit der wirtschaftlichen Lage der einzelnen Betriebe der verstaatlichten Industrie auch die Notwendigkeit eines großzügigen finanzpolitischen Konzepts.

Beim Finanzierungsproblem ringen im wesentlichen zwei „Lehrmeinungen“ miteinander: Die eine verlangt, daß die Unternehmungen ohne Privilegien in politischer und finanzieller Hinsicht (Behandlung des Dividendenproblems usw.) wie alle übrigen österreichischen Gesellschaften und wie Auslandsunternehmen den Kapitalmarkt für ihr Wachstum beanspruchen können, ohne daß deswegen der Bund seine bisherige Position schwächen oder gar aufgeben soll. Es handelt sich also nicht — wie man unrichtig hört — um „Veräußerung von Volksvermögen“ oder „Reprivatisierung", sondern ausschließlich um die Erschließung neuer Finanzquellen, die zwar zu einer gemischtwirtschaftlichen Form führen, aber infolge der Erhöhung des inneren Wertes der betreffenden Unternehmungen notwendigerweise auch das Staätsvermögen vermehren würden. Ueber die Form dieser Kapitalzufuhr, neben der die Selbstfinanzierung in geeigneter Höhe natürlich aufrecht bliebe, kann nur von Fall zu Fall hinsichtlich des einzelnen Unternehmens entschieden werden; eine Fülle von Möglichkeiten (durch Emission von Obligationen, Aktien,

Wandelschuldvcrschreibungen oder Zertifikaten) steht zur Verfügung. Ihnen allen wäre gemeinsam, daß sie breite Bevölkerungsteile an der Entwicklung dieser Unternehmungen unmittelbar interessieren und dem Sparkapital zusätzliche Möglichkeiten zu wertgesicherten Anlagen erschließen würden. Dabei gäbe man auch dem Bund durch Einnahmen aus den Dividenden der gesunden Betriebe die Möglichkeit, den schwächeren Betrieben, insbesondere des verstaatlichten USIA-Sektors, die dauernde Entwicklung zu erleichtern.

Die zweite Lehrmeinung geht von der Momentphotographie des 1 Verstaatlichungsgesetzes des Jahres 1946 aus und berücksichtigt weder die inzwischen erfolgten Veränderungen noch moderne Auffassungen über die Verwaltung von Vermögensrechten des Staates, wie sie etwa der englische Labourführer Gaitskell entwickelt hat. Sie verlangt die ausschließliche Deckung des Finanzierungsbedarfes durch Selbstfinanzierung oder Staatshilfe und will nur sehr bescheidene Dividendenzahlungen zulassen („ut aliquid fieri videatur“), ohne zu berücksichtigen, daß man dadurch den gesunden Betrieben den Zugang zum Kapitalmarkt versperrt, ohne den kranken dauernd helfen zu können, soferne man dem Steuerzahler nicht hohe zusätzliche Bürdent auflasten will.

Es wäre bedauerlich, wenn man wegen politischer Meinungsverschiedenheiten in ' Finanzierungsfragen die anlagesuchenden Kreise, die der Aktie durch die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre ohnehin entfremdet sind, nicht heranzöge. Dies würde aber bedeuten, daß beispielsweise im Kreise der verstaatlichten Industrie die schwächeren Unternehmungen auf dauernde Budgethilfe angewiesen sind. Man wird daher versuchen müssen, den Kapitalmarkt mit allen marktgerechten Mitteln in Gang zu bringen. Für die verstaatlichte Industrie heißt dies, daß der Staat sich als Aktionär und Unternehmer bewähren muß durch:

1. eine vernünftige Finanz- und Divideniden- politik,

2. durch eine ausreichende Information der Oeffentlichkeit in Form einer großzügigen Bilanzpublizität und

3. durch eine sachlich und fachlich richtige Führung der Betriebe.

Eine solche, sich aus der Lage der verstaatlichten Industrie in Oesterreich ergebende Finanzpolitik führt, wenn sie Erfolg hat, zu einer Eigentumsbildung auf breiter Basis, das heißt einer entscheidenden strukturellen Wandlung. Eine solche Wirtschaftspolitik dient vor allem den kleineren und mittleren Einkommensschichten, weil sie schließlich vollberechtigte Miteigentümer bei öffentlichen Vermögenskomplexen werden, ohne daß darum der Mehrheitsbesitz des Staates angetastet werden würde. Nicht neue Arten von Aktien braucht man, sondern neue Schichten von Aktionären.

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