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Wiener Bankenhistorie

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Den meisten Menschen dürften die wirtschaftlichen Vorgänge der späten zwanziger und der folgenden dreißiger Jahre mit ihren schweren internationalen Banken- und Zahlungskrisen kaum weiter entfernt erscheinen, als die Ereignisse unmittelbar nach dem letzten Weltkrieg. Wer erinnert sich heute noch der ersten Währungsreform vom 30. November 1945, welche die Reichsmark, aber auch die alliierten Militärschillinge außer Kraft setzte und den Geldumlauf beschränkte? Dem Wohlstandsbürger des Jahres 1963 ist das Währungsschutzgesetz des Jahres 1947 kaum deutlicher in Erinnerung geblieben, als etwa die großen Bankenfusionen, eingeleitet 1926 von der Übernahme der Wiener Anglo-Austrian Bank Ltd. durch die Österreichische Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe. Im Jahre 1927 war die Fusion von Union-Bank und Allgemeiner Verkehrsbank mit der Österreichischen Boden-Credit-Anstalt gefolgt, und letztere war wiederum 1929 in der Credit-Anstalt aufgegangen. Es folgte die Reorganisation dieses Institutes unter Mitwirkung des österreichischen Staates, und im Jahre 1934 war die Konzentrationsbewegung bei den Wiener Banken durch Zusammenschluß von Credit-Anstalt, Wiener Bankverein und des Mobilbankgeschäftes der Niederösterreichischen Escompte-Ge-sellschaft im wesentlichen abgeschlossen.

Bei diesen Fusionen hatte es sich zweifellos um Krisenerscheinungen internationalen Ausmaßes gehandelt, und auch den Wiener Banken jener Zeit kam noch internationaler Status zu, der sich ebenso in der Namensliste der Gesellschaftsorgane wie in Art und Umfang des Geschäftes dokumentierte. Hier sind nach dem zweiten Weltkrieg tiefgreifende Wandlungen zutage getreten.

Der Staat griff ein

Die Jahre zwischen 1938 und 1945 lassen sich überspringen. An die Stelle der Österreichischen Nationalbank war eine i.Reichsbankhauptstelle Wien“ getreten, und unter dem Blickwinkel kriegswirtschaftlicher Rationalisierung waren weitere Fusionen im Bankenbereich vollzogen worden. Ähnlich wie 1918 war auch 1945 den Banken das Erbe eines verlorenen Krieges mit seiner „geräuschlosen Finanzierung der Rüstungsaufgaben“ in Gestalt von Kriegsaktiven verblieben. Die Entwicklung nahm jedoch einen anderen Gang. Hatte sich die neue Republik Österreich nach dem ersten Weltkrieg an Freihandelsprinzipien orientiert, so wollte man nach dem zweiten Weltkrieg eine Gesundung der Wirtschaft durch gesetzliche Regelungen herbeiführen. Die Besetzung des Landes hatte diesen Weg gewiesen. Devisenbewirtschaftung, Bedarfsdeckungsvorschriften, Kreditlenkung und Verstaatlichung bestimmten die Entwicklung. Deutlicher als in den letzten Vorkriegsjahren zeigte es sich nach 1945, daß die österreichischen Großbanken aus dem Bereich der international orientierten Bankinstitute ausgeschieden waren.

Der Ordnung halber ...

Die drei großen österreichischen Aktienbanken Creditanstalt-Bankver-ein, Österreichische Länderbank und Österreichisches Credit-Institut waren bereits in das erste Verstaatlichungsgesetz vom 26. Juli 1946 einbezogen worden. Es verdient gerade in diesen Tagen ausdrücklich festgestellt zu werden, daß diese drei Großbanken durch die Verstaatlichung keine Änderung ihrer Rechtsform erfuhren und auch die Geschäftsführung nach rein privatwirtschaftlichen Grundsätzen ausgerichtet blieb. In der Praxis bedeutet dies bekanntlich, daß die Banken nicht der von Vizekanzler Dr. Pittermann geleiteten Sektion IV „Verstaatlichte Unternehmungen“ des Bundeskanzleramtes unterstehen, sondern daß vielmehr über die Kreditunternehmen eine besondere Kontrolle des Bundesministeriums für Finanzen ausgeübt wird. Daß die Banken dennoch nicht im „koalitionsfreien Raum“ leben, dafür gibt es im Bereich der Personalpolitik ein Dokument aus allerjüngster Zeit. Dem letzten Arbeitsübereinkommen der Koalitionsparteien ist nämlich ein Schreiben der Sozialistischen Partei an die Österreichische Volkspartei beigegeben, in dem die SPÖ unter anderen Personalfragen „der Ordnung halber“ festhält, daß bei der Credit-anstalt-Bankverein der Vorsitzer des Vorstandes, sowie der Vorsitzer des Aufsichtsrates und dessen Stellvertreter von der Österreichischen Volkspartei, bei der Österreichischen Länderbank hingegen diese Funktionen von der Sozialistischen Partei besetzt werden. Diese Punktation geht über die Bestimmungen des Kompetenzgesetzes aus dem Jahre 1959 hinaus. Beim dritten verstaatlichten Bankinstitut, dem österreichischen Credit-Institut, ist diese Regel allerdings wieder durchbrochen, und es gelten die analogen Bestimmungen wie für die anderen verstaatlichten Unternehmen, das heißt, in Gesellschaften, in denen der Vorsitzer des Vorstandes der SPÖ angehört, wird ein Vorsitzer des Aufsichtsrates mit Iirimierungsrecht bestellt, der der ÖVP angehört, und umgekehrt.

Die Verstaatlichung der drei großen Aktienbanken führte auch zu der einigermaßen paradoxen Situation, daß die größte Aktienbank, die nicht im Eigentum der öffentlichen Hand steht, heute die Arbeiterbank ist. Es läßt sich auch nicht behaupten, daß die Verstaatlichung den Instituten die Wiederanknüpfung internationaler Verbindungen erleichtert hätte. Es ist in der Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt, welch maßgebende Initiative von den österreichischen Großbanken und ihren leitenden Persönlichkeiten in den ersten Nachkriegsjahren und während der Wirksamkeit des Marshall-Planes für den Wiederaufbau der österreichischen Wirtschaft und Industrie entwickelt wurden. Viele dieser wahrhaft patriotischen Taten verbinden sich mit dem Namen des verstorbenen Generaldirektors der Credit-anstalt-Bankverein, Dr. Josef J o h a m, der namhaften Anteil daran nahm, die ihrer Substanz beraubte Wirtschaft nach 1954 wieder aufzurichten, das Währungssystem in Ordnung zu bringen und den österreichischen Bankenapparat neuerlich auf feste Grundlagen zu stellen.

Kapitalmarkt „falsch gewichtet“

In der Konsolidierung des Finanzwesens nach dem Kriege spielten die Kapitalmarktgesetze der Jahre 1954/55 eine bedeutende Rolle. Unter Finanzminister Dr. Reinhard Karnitz waren diese Kapitalmarktgesetze nach langwierigen Verhandlungen vom Nationalrat verabschiedet worden. Das Schillingeröffnungsbilanzgesetz 1954 sollte nicht nur die Wertansätze in den Bilanzen der österreichischen Unternehmungen den aktuellen Wert- und Kostenverhältnissen anpassen, sondern auch eine richtige Grundlage für die wirtschaftliche Einschätzung der Unternehmen und ihrer Kreditwürdigkeit schaffen. Das Schillingeröffnungsbilanzgesetz bildete somit auch eine rechtliche und wirtschaftliche Voraussetzung für die Wiederherstellung eines österreichischen Kapitalmarktes. Daß dieser Kapitalmarkt noch nicht die für eine Integrationsreife der österreichischen Wirtschaft nötige Struktur erreicht hat, liegt außerhalb des Verantwortungsbereiches der Banken, wenngleich sie zutiefst von diesem Mangel mitbetroffen werden. Man kann sich in diesem Zusammenhang vor Augen halten, daß es in Österreich Ende 1962 529 Aktiengesellschaften mit einem Kapital von insgesamt 23,5 Milliarden Schilling gab. Zufolge des großen Anteils der öffentlichen Hand werden an der Wiener Effektenbörse gegenwärtig jedoch nur die Aktien von 84 Gesellschaften mit einem Aktienkapital von insgesamt 4,6 Milliarden Schilling gehandelt. Der effektive Börsenhandel vollzieht sich im Hinblick auf die Besitzverhältnisse natürlich in bedeutend engeren Grenzen. Der Umlauf an festverzinslichen Wertpapieren betrug Ende 1962 26,2 Milliarden Schilling. Die Banken dienen in diesem Bereich der Volkswirtschaft nicht nur als Apparat der Emission oder Kurspflege,

Photo: Votava sondern erbrachten durch die Übernahme von Anleihen selbst bedeutende Finanzierungsleistungen für die öffentliche Hand und die Wirtschaft. Die Zahlen zeigen aber auch, daß der österreichische Kapitalmarkt „falsch gewichtet“ ist, wie der damalige Finanzminister Dr. Klaus in seiner Eröffnungsrede vor dem Europäischen Forum Alpach 1962 treffend bemerkte.

Das Schillingeröffnungsbilanzgesetz wurde unter anderem durch das Vermögenssteuergesetz 1954, das Gesetz über die Entschädigung der Aktionäre der Verstaatlichten Betriebe und durch das Wertpapierbereinigungsgesetz ergänzt. Den Bankenbereich selbst betraf das im Herbst 1955 zusammen mit dem Versicherungswiederaufbaugesetz und dem Nationalbankgesetz ergangene „Gesetz zur Ordnung der wirtschaftlichen und finanziellen Lage der Kreditunternehmungen“ (Rekonstruktionsgesetz). Hierdurch wurde es den Banken ermöglicht, für die bilanzlosen Jahre 1945 bis 1954 eine einzige Bilanz, die sogenannte „Rekonstruktionsbilanz“, zu erstellen und damit wieder das Prinzip der Publizität zu verwirklichen.

Das Problem der Liquidität

Mit den Geschäftsberichten für das Jahr 1962 scheint sich jedoch jener Punkt einer Tendenzumkehr anzuzeigen, da von den Mehreinlagen und der gestiegenen Liquidität ein Druck auf die Ertragskraft der Kreditinstitute auszugehen beginnt. Die Rückläufigkeit der Investitionsgüterkonjunktur spielt hier ebenso hinein, wie die Struktur der Wirtschaft oder die Börsenschrumpfung des Jahres 1962.

Man könnte nun meinen, es sei Sache der Banken und ihr Geschäftsrisiko, mit ihrer Handelsware Geld eben das Richtige anzufangen, um einen Gewinn herauszuwirtschaften. Gerade am Kapitel Liquidität zeigt sich jedoch, daß die Banken durchaus nicht nach Belieben verfahren können, sondern gesamtwirtschaftliche Aufgaben und Verantwortung mit betriebswirtschaftlicher Rentabilität in Einklang bringen müssen. Wenn der Vorgang des Sparens landläufig auch so dargestellt wird, daß Geld sich bei den Kreditinstituten in Kapital verwandelt, so geht dieser Prozeß leider nicht automatisch vor sich, sondern nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen. Die Weiterentwicklung dieser Voraussetzungen für Kapitalbildung und Kapitalmarkt unterblieb jedoch in den letzen Jahren aus politischen Gründen.

Dringende Kapitalmarktgesetze

Generaldirektor M i k s c h erklärte anläßlich der Erläuterung des Jahresabschlusses der Creditanstalt-Bankver-ein zu recht, die Verteidigung der Währung könne nicht dem Kreditgewerbe aufgelastet werden. Auch der öffentliche Haushalt habe seinen Teil zu tragen. Eine einseitige Verlagerung zu Lasten des Kreditapparates würde die Aktivität dieses Impulszentrums schmälern und die Lösung der Zukunftsaufgaben der Wirtschaft erschweren. Es wurde daher auch von den Banken die Verabschiedung jener Kapitalmarktgesetze urgiert, welche die österreichische Wirtschaft in die Lage versetzen sollen, sich den Anforderungen eines größeren europäischen Marktes anzupassen. Finanzminister

Dr. Klaus hatte anfangs 1962 ein Konzept für die Ordnung und Belebung des Kapitalmarktes vorgelegt, das auf eine Modifizierung der Bewertungsfreiheit, steuerliche Begünstigung nicht entnommener Gewinne, auf eine Neuregelung der Steuerbegünstigung für festverzinsliche Wertpapiere, Erleichterung des Aktiensparens, die Schaffung eines Kapitalberichtigungsgesetzes (Umwandlung von Rücklagen in Kapital) sowie eines Investmentfondsgesetzes abzielte. Bekanntlich wurde ein Zustandekommen dieser Kapitalmarktgesetze von der Sozialistischen Partei bisher verhindert. Sie stehen jedoch mit neuer Dringlichkeit auf dem Forderungsprogramm der Wirtschaft an den neuen Finanzminister.

Die europäische Integration wird wahrscheinlich auch den österreichischen Großbanken ein neues Profil geben. Vielleicht wird sich im Zuge der Integration auch eine neue arbeitsteilige Abgrenzung zwischen den einzelnen Gruppen von Kreditunternehmungen anbahnen. Nicht nur der Größenordnung nach, sondern auch bei den Geschäftssparten hat sich nach dem Krieg eine gewisse Verschiebung zugunsten der Sparkassen herausgebildet, die bisher ohne Äquivalent für die Banken blieb. Das Institut mit der drittgrößten Bilanzsumme ist heute keine Bank; sondern eine Sparkasse. Gerade im Auslandsgeschäft besitzen die Bankert noch einen sichtbaren Vorsprung gegenüber den anderen Sparten von Kreditunternehmungen, während im Spar- und Kreditgeschäft die Grenzen fließend wurden. Es dürfte durchaus im Interesse der Volkswirtschaft liegen, einen künftigen internationalen Kapitalaustausch im Zusammenhang mit langfristigen Finanzierungserfordernissen bewußt auf den Bankensektor zu konzentrieren.

Der bekannte Nationalökonom, Prof. Wilhelm Röpke, bezeichnete die moderne Kreditbank, wie sie sich vor allem auf dem europäischen Kontinent entwickelt hat, als diejenige Institution, die über allen einzelnen Zweigen der Produktion und Warenverteilung und über allen Teilmärkten die wirtschaftlichen Vorgänge — weil sie die Geld- und Kreditform durchlaufen müssen und durch sie verknüpft und koordiniert werden — ordnend, steuernd und Impulse erteilend zusammenfaßt. Die Banken sind entscheidend an jenem Vorgang beteiligt, den man als die zeitliche Steuerung des Wirtschaftsprozesses bezeichnen kann. An diese volkswirtschaftlichen Funktionen der Banken wird die Zukunft neue große Anforderungen stellen.

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