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Antwort der Verantwortung

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Etwas mehr als ein Jahr ist es her, daß der ehemalige Wirtschaftsattache der amerikanischen Botschaft in W ien, Harry D. Johnstone, unter dem Titel „Die Einschränkungen des freien Wettbewerbes in der österreichischen Wirtschaft“ eine breit angelegte Kritik der österreichischen Wirtschaftsstruktur und Wirtschaftspolitik erscheinen ließ, die — weniger wegen ihres Inhaltes als wegen der Stellung des Autors und seiner Beziehungen zu den Sehlüsselexponenten der Marshall-Hilfe — im In- und Auslande große Resonanz gefunden hat. Dieser Johnstone-Bericht war in diesen Blättern („Furche“ vom 10. Mai 1952) mit Zurückhaltung aufgenommen worden, die durch den jetzt veröffentlichten „Kommentar zum Johnstone-Bericht 1952“, eine Gemeinschaftsarbeit praktischer österreichischer Volkswirte, ihre Rechtfertigung gefunden hat.

Naturgemäß befaßt sich dieser Kommentar auch mit der Persönlichkeit Johnstones und bemängelt mit Recht, daß eine ziemlich anspruchsvolle Kritik eines tausendjährigen Staatswesens bei seinem Autor die einschlägigen geschichtlichen, politischen und kulturellen Kenntnisse über Oesterreich weitgehend vermissen läßt. Hier Vergessenes nachzuholen, bringt der Kommentar einen tiefgründigen Abriß über die Wiederherstellung der politischen und wirtschaftliehen Ordnung in Oesterreich seit dem ersten Weltkrieg. Die Zerstörungen im zweiten Weltkrieg machten es notwendig, die Wirtschaftskräfte — deren hemmungsloser Wettbewerb Johnstone so sehr am Herzen liegt — ja überhaupt erst zu schaffen und unter anderem auch den notwendigen Kapitalmarkt zu reaktivieren. So übersieht der Johnstone-Bericht mit seinen pessimistischen Schlußfolgerungen zur Gänze die ungeheueren Zerstörungen von Industrie--anlagen und Wohnraum; die Tatsache, daß die USIA unter anderem 42 chemische Betriebe, 44 Eisen- und Maschinenbaubetriebe, die 16 größten Elektrobetriebe sowie 47 Handels- und Verkehrsgesellschaften umfaßt; die Tatsache, daß die nach Kriegsende durchgeführten Demontagen auf 4,3, die Beschlagnahmen von Verkehrsmaterial auf 2 und die -Abtransporte von Wirtschaftsgütern nach dem Osten auf mindestens 3,8 Milliarden Schilling Schadensverlust — alles nur bis zum Jahre 1951 — zu veranschlagen sind; nimmt man noch die Erdöltransporte und die Nichtzahlung von Steuern dazu, so gelangt man zu einem Entgüterungsbetrag von mindestens 15 Milliarden Schilling bis Ende 1951.

Ausführlich berichtet der Kommentar, in Erinnerung an den vor einem halben Jahr aus innerpolitischen Gründen inszenierten „Bankensturm“, über die Wiederaufbautätigkeit der Banken, die mit ihrer Investitionspolitik gesamtwirtschaftlichen Interessen dienten, nicht einer Haus- oder Konzernpolitik; ja, die Realisierung mancher Großprojekte hatte eine gesamteuropäische Bedeutung. Bemerkenswert ist, daß in' den letzten Jahren die Bruttoinvestitionen etwa 22 Prozent des Volkseinkommens ausmachten, gegenüber nur 6 Prozent vor 1938, was ebenfalls als gewaltige Mehrleistung und Anstrengung des österreichischen Volkes zu buchen ist. Von all dem weiß der Johnstone-Bericht nichts. Er sieht nur die Wettbewerbseinschränkungen, ohne die aber ein erfolgreicher Aufbau nicht möglich gewesen wäre; ohne die auch die USA nach Ausbruch der Koreakrise trotz grundsätzlichem Festhalten an marktwirtschaftlichen Prinzipien ihre Stabilisierungspolitik nicht gewonnen hätten. Politisch bedenklich, ja grotesk ist es, wenn Johnstone eine Stützung des Wettbewerbsprinzips von jenen politischen Gruppen in Oesterreich erwartete, die Planwirtschaft und Verstaatlichung predigen.

Und nun zu konkreten Gegenüberstellungen in Kritik und Replik: Nach Johnstone wurzelt das „wettbewerbsfeindliche System in Oesterreich“ in der Konzentration des wirtschaftlichen Einflusses bei den Banken und Kammern, in der Kartellierung und in der Einschränkung der Gewerbefreiheit. Das Zentralproblem für Johnstone ist die Bankenfrage; bemängelt wird hier insbesondere die Betätigung der Banken als Kommerzbanken und zugleich als Investitionsinstitute, ihre Beteiligung an verschiedenen Industrieunterneh-müngen, wobei der Amerikaner Johnstone niemand anderen als Lenin zum Zeugen anruft: „Die Banken sind aus reinen Einlagestellen zu Monopolbetrieben des Finanzkapi-tals umgewandelt worden.“ Johnstone übersieht, zufolge „Kommentar“, daß auf dem europäischen Kontinent die Kapitalmarktstruktur eine ganz andere war und ist, als in England oder in den Vereinigten Staaten. Da bei uns der Kapitalmarkt nicht aufnahmsfähig genug ist und es auch an Eigenkapital mangelt, mußte sich die langfristige Finanzierung von der Kapitalmarktebene auf die Bankenebene verlagern; stets lag bei uns der Schwerpunkt der Industriegründungen beim Leihkapital. In Oesterreich war es in den letzten 100 Jahren bis herauf zur jüngsten Schweizer Anleihe 1953 für die Post- und Telegraphenverwaltung den Banken vorbehalten, im Wege ihrer internationalen Geschäftsverbindungen Kapitallücken aufzufüllen, eingefrorene Kredite in industrielle Beteiligungen umzuwandeln und die Existenz der ihnen gehörigen Unternehmungen mit ihren in die Hunderttausende gehenden Arbeitern und Angestellten zu sichern und damit auch den Bestand und den sozialen Frieden des Staates zu festigen. Bei den verstaatlichten Banken war die industrielle Beteiligung zugleich eine Verteidigung österreichischer industrieller Interessen in der Zeit nach 1938 gegenüber Machtansprüchen des „Dritten Reiches“ und hat damit nach 1945 den Kreis der unter das Potsdamer Abkommen fallenden Unternehmungen des „Deutschen Eigentums“ auf 300 Betriebe beschränkt.

Johnstone bezeichnet in seinem Bericht die verstaatlichten Banken als das größte Hindernis zur Uebertragung der Eigentumsrechte an den Industrieunternehmungen an private Interessen, von denen ein Wettbewerb mit anderen Firmen in den verschiedenen Industriebereichen zu erwarten gewesen wäre. Merkwürdigerweise setzt hier Johnstone die Geschäftsführung einer Bank mit der Verwaltung eines staatlichen Unternehmens gleich. Während letztere ihre Geschäfte unter Ausschluß kommerzieller Erwägungen führen kann, ist der Geschäftsbetrieb der Banken voll von Risken. Wäre dem nicht so, gäbe es bei den Banken “weder Initiative, noch Risken- oder Verantwortungsfreude, sondern eine geruhsame Gebarung etwa im Rahmen der Sparkassenregulativs, so würde die Wirtschaft zwangsweise verdorren. Der Bankleiter muß die politischen Vorgänge im eigenen Lande und in der ganzen Welt verfolgen und daraus für seine Geschäftsgebarung die entsprechenden Schlüsse ziehen; der Bankleiter ist kein Beamter. (Was man von einer Kontrolle der Banken durch den Rechnungshof zu halten hat, liegt auf der Hand.) Die Vielseitigkeit des Bankengeschäftes setzt einen lebendigen Wettbewerb voraus; die Ausschaltung der Konkurrenz ist praktisch unmöglich.

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