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Am Beispiel AEG-Union

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Als vor einem Jahr — am 23. Juni 1959 — die AEG-Union Elektrizitätsgesellschaft mit der ELIN A. G. zu einer neuen Firma, der ELIN-Union, fusioniert wurde, hat die österreichische Öffentlichkeit diesen Vorgang so gut wie nicht zur Kenntnis genommen. Dies mag verwunderlich erscheinen, konnte doch noch die AEG-Union zu Weihnachten 1958 in einer beachtlichen Ausstellung in der Secession die Vielfalt ihrer Produktion vom Großgenerator und Großtransformator bis zum kleinen Haushaltgerät einer sehr großen Zahl von Besuchern und Interessenten vorführen.

Allerdings erfolgte die Fusion zu einem Zeitpunkt, da nach,, den Parlamentswahlen die Regierungsbildung wie die Auflösung der IBV die Aktivität der politischen und wirtschaftlichen Kräfte in eine ganz andere Richtung drängen. Wer hätte sich da mit dem Schicksal eines einzelnen Betriebes, selbst von der Größenordnung der AEG-Union, beschäftigen sollen? Dazu kam, daß die IBV einen eigenen Stil der Industriepolitik entwickelt hatte, der von den Nachfolgern unter anderen Voraussetzungen und in einem veränderten Klima nicht fortgesetzt werden konnte. Die IBV versuchte eine gewisse Dynamik in der Leitung der ihr anvertrauten Betriebe zu finden. Die darauffolgende Sektion IV des Bundeskanzleramtes legt ihr Schwergewicht mehr auf die juridische Verwaltung. Die Verschiedenheit dieser Auffassung färbt auf die Art ab, mit der die Probleme der einzelnen Betriebe betrachtet und an ihre Lösung herangegangen wurde und wird. Die Vorstellung von der Vereinigung zweier Konzerne unterschied sich, und die einmal getroffene Entscheidung tonnte von der abtretenden Behörde nicht mehr überwacht und mußte von der neuen zur Kenntnis genommen werden.

Die Umstände, die zur Fusion geführt haben, die vielfältigen Aufgaben, vor denen die Verwaltung der AEG-Union gestanden, das Verhältnis zum jahrzehntelangen ausländischen Partner gestatten jedoch ein Beispiel anzuführen, um gewisse Fragen der verstaatlichten Industrie in Österreich zu studieren. Politische Probleme verzahnen sich mit personellen, und die reine Industrieplanung wird von einer Reihe von Momenten überschattet, die außerhalb des eigentlichen Betriebsgeschehens stehen.

Durch das 1. Verstaatlichungsgesetz nach dem Kriege wurden die wichtigsten technischen und wirtschaftlichen Kräfte des Landes unter die Kontrolle und in den Besitz des Staates gebracht. Es ist eine oft erwähnte Tatsache, daß die Verstaatlichung der Industrie nach 1945 in keinem Land der westlichen Welt so weit vorgetrieben wurde wie gerade in Österreich. Mit um so größerem Recht und Nachdruck sollte daher das Parlament wie die öffentliche Meinung jede Veränderung in diesem Sektor überprüfen. Die Handelsbilanz und die Erhaltung tausender Arbeitsplätze hängen davon ab, in welcher Weise die Betriebe der verstaatlichten Industrie ihre Investitionspläne aufstellen, in entsprechender Form durchfuhren und die technisch-wirtschaftlich rasante Veränderung Europas einzukalkulieren verstehen. Auch die verstaatlichte Industrie muß sich abseits der Mentalität von Staatsangestellten ausschließlich zur schöpferischen und unternehmerischen Leistung bekennen. Die Hoffnung, daß der Vater Staat auch Defizite tragen wird, ist grundfalsch.

Die AEG-Union wurde 1904 gegründet. Die deutsche AEG hatte maßgebenden Anteil genommen und verfügte bis März 1945 über die absolute Mehrheit des Aktienkapitals.

Während des Krieges wurde die AEG-Union in den Rüstungsprozeß des Dritten Reiches eingebaut. Entsprechend den Potsdamer Beschlüssen wurde das Hauptwerk der AEG-Union, Stadlau, von der russischen Besatzungsmacht übernommen und in den USIA-Konzern eingegliedert. Aus dieser Zeit stammen zwei sehr schwerwiegende Faktoren, die bis zur Fusion die AEG-Union beschäftigen. Die Besatzungsmacht hat so gut wie keine Investierungen durchgeführt. Selbst die während des Krieges ausrangierten Maschinen wurden wieder eingestellt, und nur bei einem absoluten Ausfall eine neue Maschine, eine solche meist minderer Qualität, angekauft. Aber nicht nur in der materiellen Ausstattung wurde ein sehr fragliches Erbe angetreten. Weit stärker machten sich die Spuren in der psychologischen Haltung der Belegschaft sichtbar. Die damalige USIA-Verwaltung hatte eine personalpolitische Offensive eingeleitet, um die Belegschaft mit den ihr genehmen Personen zu durchsetzen. Das Werk Stadlau der AEG-Union war eine der Geburtsstätten der freien österreichischen Gewerkschaftsbewegung gewesen. Auch heute noch weisen hohe Gewerkschaftsfunktionäre mit Stolz auf ihre Lehrzeit in Stadlau hin. Es war daher verständlich, daß die fremde Direktion diese Tradition umbiegen und zu ihrem Nutzen verwenden wollte. Zahlreiche Arbeiter und Angestellte wurden auf Kurse geschickt, in den Kaderschulen nach allen Regeln der Dialektik geformt und waren ihren Kollegen in arbeitsrechtlichen und arbeitstechnischen Fragen weit überlegen. Niemals haben die beiden staatstragenden Parteien ernste Anstrengungen unternommen, um diesen geeichten Funktionären ebenso geschulte Vertreter gegenüberzusetzen. Bis zur Fusion war der Betriebsrat mehrheitlich kommunistisch.

Wenn einer der leitenden Angestellten von Stadlau einmal erklärte, die Betriebsrationalisierung müsse durch einen Psychologen eingeleitet werden, so ist dem vollinhaltlich zuzustimmen. Nach der Übernahme wurde ein Teil der früheren Nicht-USIA-Belegschaft nach Stadlau verpflanzt. Die beiden aus verschiedenen Erlebnisbildern gespeisten Gruppen brauchten Jahre, um sich wirklich verständigen zu können. Der „Alt-Stadlauer“ wurde dem „neuen Stadlauer“ gegenübergestellt und die Abgrenzung war in den Büros und in jeder Werkstätte festzustellen. Niemals noch wurden die Notwendigkeit, die Methoden der modernen Betriebssoziologie anzuwenden, die Beschäftigung mit der Gruppe als die Zelle des Betriebes, so klar demonstriert wie an diesem Fall. Die Entwicklung eines Führungswillens, die richtige Auswahl der leitenden Mitarbeiter erwuchs für das Werk zu primordialen Fragen. Der Mangel einer anerkannten Autorität erzeugte eine Fülle kleinerer oder größerer Konflikte zwischen Menschen, deren persönliche Qualitäten außer Zweifel standen.

Während .der Besatzungszeit mußte die Rest-AEG-Union mit provisorischen Gebäuden, winzigen Werkstätten und zusammengebastelten Einrichtungen auskommen. Es klingt wie eine Mär, unter welchen Umständen Ingenieure, Werkmeister und Arbeiter improvisieren mußten. Dieses Ruhmesblatt der österreichischen Nachkriegsgeschichte wurde noch nicht geschrieben. *

In dieser Zeit der Konsolidierung traten außerhalb der Übernahme des Werkes Stadlau zusätzliche Schwierigkeiten in- und außerhalb des Konzerns auf. So eigenartig es klingen mag, der Konzern mit seinen 3300 .Mitarbeitern hat in den vergangenen Jahren nie eine richtige Personalpolitik gekannt. Das Personalbüro war ein Amt zur Gehaltsabrechnung, dadurch wurde jedoch kein Einfluß auf die Bildung des Managements genommen. Man wird nicht fehlgehen, in diesem Manko die Quelle zahlreicher Fehlentscheidungen zu sehen. Das Durchdenken eines Stellenplanes, das Heranziehen eines geeigneten Nachwuchses, die Koordinierung zwischen den einzelnen Abteilungen sowie das Herausarbeiten von Verantwortungsbereichen gehören zu den absoluten Aufgaben eines Konzerns, der seinen Aufgaben gerecht werden will. Auch die Information der Mitarbeiter ist ein nicht zu unterschätzendes Mittel, um das Ineinandergreifen aller Glieder in einer .echten Gemeinschaft zu sichern. Nur dadurch wird das Entstehen von „unabhängigen Königreichen und Fürstentümern“ in einem Konzern vermieden.

Man durfte annehmen, daß nach der Bestellung der ordentlichen Organe jene Einheit hergestellt würde, die durch die vorangegangene Epoche der öffentlichen Verwaltung nicht zur Gänze durchgeführt wurde. Die Vorstände der verstaatlichten Industrie werden bekanntlich durch die beiden Regierungsparteien bestellt. Aus persönlicher Kenntnis kann versichert werden, daß der damals zuständige Sachbearbeiter der einen Regierungspartei nach langer Prüfung, unter Abschätzung der Notwendigkeiten seine Vorschläge erstattet hat. Wenn der so ernannte Vorstand nicht zur letzten Teamarbeit gelangt ist, so mag der Umstand mitspielen, daß politische Affinitäten ebenso Barrieren gebildet haben wie der Mangel jenes unbegreiflichen psychologischen Moments, das aus mehreren Persönlichkeiten eine echte Gemeinschaft werden läßt. Ein vorhergehende Absprache zwischen den beiden Parteien, die künftighin zu einer Überprüfung nicht nur der persönlich-fachlichen Werte der Vorstandskandidaten führen wird, sondern auch die Fähigkeit, eine aktive Führungspolitik in einem Team zu leisten, kann nicht mehr aufgeschoben werden. Die Form der Vörstandsbesetzung könnte bei Beibehaltung der bisherigen Grundlagen durch andere Methoden gesichert bleiben, wobei die Erfordernisse des Betriebes mehr zu zählen haben als der Wunsch von Interessengruppen, den oder jenen Kandidaten eine Stellung zu verschaffen. Es wird auch zweckmäßig sein, daß die damit beauftragten Organe eine Art Reservoir von Persönlichkeiten bilden.

Auch nach der Verstaatlichung blieben zahlreiche persönliche und technische Bindungen zur früheren Muttergesellschaft bestehen. Die österreichische AEG-Union sah sich verpflichtet, neuerlich ein Gespräch zu beginnen, um in der Verwendung der Patente nicht plötzlich abgeschnitten zu sein. Durch einen Nachbaulizenzvertrag wurden allerdings nicht alle Schwierigkeiten der neuen Zusammenarbeit gelöst. Es ist bedauerlich, daß von österreichischer Seite niemals ein grundlegendes Konzept entwickelt wurde, in welcher- Weise in Zukunft die Interessen abgegrenzt werden sollten. Vielfach wurden auch Wünsche der deutschen AEG nicht berücksichtigt, die diese aus ihrer Weltstellung und infolge ihrer Potenz abzuleiten glaubte. Nach Rekonstituierung der deutschen Großkonzerne trat auch die Tendenz immer deutlicher zutage, die Auslandsvertretungen in eigener Regie neu aufzubauen und die Nachkriegsbindungen als Provisorium zu betrachten. Vielleicht hätten bei einer geschickteren Ausnützung der österreichischen Positionen die Verhandlungen mit der deutschen Seite fortgeführt werden können. Durch einige Zeit bekundete die deutsche AEG ihr Interesse, indem sie mehrere Großaufträge nach Stadlau verlegte. Vor der Fusion wurde es jedoch klar, daß eine Zusammenarbeit des fusionierten österreichischen Konzerns mit der AEG Frankfurt nicht möglich war.

Der Großteil der früheren AEG-Union wurde so in die ELIN eingebracht. Die deutsche AEG hat in ihrer AEG Austria den ihr gemäßen Vertriebsapparat gefunden, um ihre Produktion in Österreich abzusetzen. Sie hat darüber hinaus ihre eigene Erzeugung im Lande begonnen. Die Arbeiter und Angestellten der früheren AEG-Union, mögen sie nun bei der ELIN-Union, bei der AEG Austria stehen oder in andere Firmen übergewechselt sein, sind jedoch der Ansicht, daß die AEG-Union als eines der früher “ragenden Werke der Elektroindustrie immerhin mehr verdient hätte, als ein stillschweigendes Verschwinden aus dem Kreis der großen österreichischen Industriefirmen.

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