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Wir verschlafen eine Chance...

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Kürzlich befaßten wir uns mit den Auspizien der Konjunkturentwicklung* und wiesen darauf hin, daß sich der Schein unserer Konjunktursonne etwas verschleiert hat. Mittlerweile ist ihr Schein noch schwächer geworden — in ganz Westeuropa spricht man von Einschränkung der Investitionstätigkeit, die Börsenkurse purzeln weiter: die 'Alarmzeichen sind nicht mehr zu übersehen.

Es wird also allmählich auch für uns Zeit, sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen, was getan werden könnte, wenn es einmal nicht mehr möglich sein wird, alles, was erzeugt wird, auch sofort zu verkaufen, und wenn die Märkte, auf denen wir den Großteil unserer Erzeugnisse verkaufen, einzuschrumpfen beginnen.

Wir müssen neue Märkte suchen

Es gibt darauf, hinsichtlich der Außenhandelspolitik, nur eine Antwort: wir müssen neue Märkte suchen und uns anschicken, diese Märkte systematisch zu bearbeiten und zu erobern.

Es gibt solche Märkte und in der ganzen westlichen Welt hat auch bereits ein Run auf sie eingesetzt: es sind vor allem die jungen, erst vor kurzer Zeit selbständig gewordenen Staaten Afrikas, in denen ein ungeheurer Hunger nach Industrieerzeugnissen und vor allem nach Investitionsgütern herrscht.

Die meisten dieser Länder — nicht alle — sind allerdings sehr arm; man muß ihnen helfen, ihren Bedarf zu decken, ihre Wirtschaft und ihre Finanzkraft zu stärken und zu entwickeln und man kann sicher sein, damit einen ungeheuer aufnahmefähigen Markt zu eröffnen.

Wie bedeutend diese Möglichkeiten sind, zeigen folgende Ziffern: auf die industrialisierten und hochentwickelten Länder der Erde entfallen nur rund 30 Prozent der Weltbevölkerung, aber 82 Prozent der Produktion. 70 Prozent der Menschheit liefern also nur 18 Prozent der Gesamtproduktion der F,rde. Das Sozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung ist in den USA 17 mal so hoch wie in Afrika (Ägypten und Südafrika ausgenommen). Und für die Entwicklungsländer Asiens sehen die Vergleichsziffern nicht viel besser aus.

Djo heutigen Entwicklungsländer Stellen also beinahe ein wirtschaftliches Vakuum dar und ihre wirtschaftliche Erschließung stellt Anforderungen, denen die private Industrie, wenn es sich nicht gerade um Weltkonzerne handelt, nicht mehr nachkommen kann. Das sind, wenn man die gleichzeitig damit verbundenen politischen Fragen ausklammert, die wirtschaftlichen Hintergründe der Entwicklungshilfe.

Im ganzen OECD-Bereich sind die Maßnahmen zur Entwicklungshilfe voll angelaufen, in der Bundesrepublik Deutschland wurde sogar ein eigenes Ministerium für Entwicklungshilfe geschaffen — nur in Österreich läßt man sich Zeit, obwohl allen Verantwortlichen klar sein muß, daß wir uns der Verpflichtung zur Mitwirkung an der Entwicklungshilfe als OECD-Mitglied nicht entziehen können. Aber bei uns herrscht offenbar die Auffassung, 'daß die Entwicklungshilfe eine lästige Verpflichtung ist, daß wir selber noch genug „Notstandsgebiete“ haben und unser Kapital im Inland genau so für die „innere Entwicklungshilfe“ ausgeben können. Es ist unseren Politikern noch nicht eingefallen, daß die Entwicklungshilfe keine lästige Verpflichtung, sondern eine sehr große, ja beinahe einmalige Chance für unsere Wirtschaft darstellt.

Nur private Exportanstrengungen?

Auf der ganzen Welt wird das System der Außenhandelsförderung, wie es von der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft aufgebaut wurde, rückhaltlos anerkannt. Unser Netz von Handelsdelegierten hat wesentlich zur Exportsteigerung beigetragen, die Hilfe bei der Beschickung von Auslandsmessen durch das Wirt-schaftsförderungsinstitut hat reiche Früchte getragen. Nur in der Frage der Entwicklungsländer versagt dieses System. Und das hat seine guten Gründe.

Dieses System gibt der privaten Initiative Hilfestellungen — aber es

greift nicht direkt operativ ein und es kann dies auch gar nicht. Es hilft der Industrie, private Handelsverbindungen anzuknüpfen, aber es holt nicht Aufträge ein und es kann schon gar nicht für die Finanzierung von Exportgeschäften Sorge tragen.

Vor allem in den jungen afrikanischen Staaten geht es aber nun gar nicht so sehr darum, private Verbindungen anzuknüpfen. Hier gilt es, mit den Regierungen Kontakt zu halten, möglichst Regierungsaufträge zu erhalten — es gibt kaum private Gruppen, die genügend kapitalkräftig sind, um große Investitionsprojekte

durchzuführen — und vor allem die Finanzierung sicherzustellen.

Und dazu kommt noch ein sehr wesentlicher Faktor: diese Länder sind in der Regel nicht an der Lieferung einzelner Investitionsgüter interessiert. Sie wollen fast immer die komplette Errichtung ganzer Industrieanlagen, möglichst schlüsselfertig und, wenn es geht, sogar noch mit bereits ausgebildetem Personal. Es gibt in Österreich wenig Großunternehmungen, die solche Aufträge aus eigener Kraft beschaffen und auch realisieren können. Es wäre aber durchaus möglich, den Kreis der Unternehmungen, die an solchen Projekten mitarbeiten können, zu vergrößern, wenn ihnen eine entsprechende offizielle Hilfestellung gegeben würde.

Hat Österreich überhaupt Chancen?

Auf derartige Feststellungen hört man sehr oft die Antwort: „Wie kann denn das kleine Österreich in dem Wettlauf mit der amerikanischen, der deutschen, englischen und französischen Großindustrie bestehen! Da sind wir doch viel zu schwach, haben viel zu wenig Geld, um solche Finanzierungen durchzuführen; wir haben da gar keine Chance!“ Das ist grundfalsch. Österreich hat eine Chance — oder besser gesagt, es hat sie n o c h. Es kann aber leicht sein, daß wir diese Chance

verspielen, wenn Vir weiter passiv bleiben oder wenn wir dieses Problem falsch anpacken.

Wir hatten nie Kolonien und sind neutral

Rein materiell gesehen, haben wir die Möglichkeit, die Chancen der Entwicklungshilfe zu iiützen. Wir besitzen eine leistungsfähige Industrie, die ihre Produktivität noch steigern kann, und wir haben fähige Techniker und Volkswirtschaftler. Lind wir haben darüber hinaus in den Entwicklungsländern einen guten Ruf als anständige, seriöse Partner. Wir haben nicht mit Ressentiments und Vorurteilen zu kämpfen, wie etwa die französische und englische Industrie, weil wir nie Kolonien besaßen — und wir haben weiter den großen Vorteil der Neutralität, die bei vielen jungen Ländern Afrikas und Asiens, die gar nicht gerne in den Ost-West-Konflikt hineingezogen werden wollen, große Anziehungskraft besitzt.

Und gerade dieser Faktor kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, weil sich daraus sehr interessante

Aspekte ergeben. Österreich, das infolge seiner geringen Kapitalstärke allein sicherlich keine sehr großen Projekte durchführen und finanzieren könnte, kann sich mit leistungsfähigen Partnern verbinden, die — allein — vielleicht größere Schwierigkeiten zu überwinden hätten, als dies z. B. bei einer Federführung Österreichs der Fall wäre. Wir kennen einige konkrete Beispiele, wo sich solche Möglichkeiten bereits geboten haben.

Trotzdem wird das Schwergewicht des österreichischen Beitrags zur Entwicklungshilfe in der ersten Phase vor\ allem im Bereiche der „Technischen Hilfe“ liegen. Im Rahmen dieser technischen Hilfe können wir den entwicklungsbedürftigen Ländern unsere hochqualifizierten Fachkräfte zur Planung des industriellen Aufbaus und zur Schulung und Ausbildung der erforderlichen Fachkräfte zur Verfügung stellen — und dabei Kontakte gewinnen, die für den späteren Ausbau normaler Handelsbeziehungen unschätzbaren Wert haben können.

Die wichtige Rolle der Planungsbüros

Größte Bedeutung haben in dieser Beziehung technische und wirtschaftliche Planungsbüros. Derzeit sind in Nordafrika, vor allem in Marokko und Tunis, bereits einige Planungsbüros in voller Tätigkeit — italienische, spanisch-französische, tschechische(I) — die im Auftrag der verschiedenen afrikanischen Staaten unentgeltlich Planungsaufgaben wirtschaftlicher und technischer Art durchführen. Diese Planungsarbeiten gehen so weit, daß komplette Projekte, mit eingeholten Kostenvoranschlägen der zur Ausführung in Frage kommenden Industrien und fertige Finanzierungspläne vorgelegt werden. Daß diese Planungsbüros natürlich in erster Linie die Industrien ihrer Länder heranziehen, ist selbstverständlich.

Wesentlich ist, daß diese Planungsaufgaben für die Regierungen der Entwicklungsländer ohne Kosten verbunden sind.. Voraussetzung ist nur ein offizieller Auftrag der betreffenden Regierung; die Finanzierung der Planungsarbeiten erfolgt aus den Geldern der Entwicklungshilfe des Mutterlandes der Planungsgesellschaft.

Diese Planungsbüros werden in der. Regel auch von europäischen Großbanken, die an Kapitalanlagen in den Entwicklungsländern interessiert sind, unterstützt, und damit ist auch die Möglichkeit der Finanzierung von Großprojekten unter Heranziehung von Privatkapital gegeben.

Die Kosten: ein paar Millionen Schilling...

Österreich hätte leicht die Möglichkeit, ebenfalls eines oder mehrere solcher Planungs- und Entwicklungsbüros, z. B. in Nordafrika oder im Nahen Osten, ins Leben zu rufen und zu finanzieren. Diese Gesellschaften könnten zweifellos rasch Fuß fassen und sich an Entwicklungsaufgaben beteiligen. Damit wäre unsere Industrie mit wichtigen Stützpunkten vertreten, die nicht nur informativ, sondern auch operativ eingreifen, jederzeit über alle Möglichkeiten und alle spruchreifen Projekte auf dem laufenden sind und einen wesentlichen Beitrag leisten, daß unsere Wirtschaft auf diesen neuen Märkten rasch zum Zug kommt. Und vegessen wir nicht: bei diesen Projekten handelt es sich in der Regel um den Bau ganzer Tanklager, Hafenanlagen, Stahlwerke, Tex-tilfabriken, Zuckerfabriken usw., bei denen jedesmal Werte von vielen Millionen US-Dollar zur Debatte stehen.

Die Kosten für die Errichtung einer solchen Gesellschaft wären relativ klein. Mit einem Jahresbudget von drei bis fünf Millionen Schilling wäre eine Planungs- und Entwicklungsgesellschaft, die unserer Industrie Aufträge im Wert von hunderten Millionen Schilling bringen könnte, schon sehr reichlich dotiert, könnte wirklich erstklassige Experten heranziehen, mit Erfolg den Wettbewerb mit anderen Gesellschaften dieser Art aufnehmen und außerdem ein wertvoller Mittler österreichischen Gedankenguts und österreichischer Kultur in den Entwicklungsländern werden.

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