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Eine Chance für Österreich

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Österreich ist bekanntlich bereit, im Rahmen der Hilfe für die Entwicklungsländer, im Jahre 1960 Indien einen Kredit in der Höhe von 500 Millionen Schilling zu gewähren. Das ist zunächst ein Beweis, daß Österreichs Wirtschaft so gesund ist, daß seit 1914 erstmalig wieder eine Auslandsanleihe größeren Stils gewährt werden kann, es drückt aber auch die Bereitschaft unseres Staates aus, bei einem Anliegen, das heute die ganze Welt angeht, mitzumachen.

Es fragt sich nun freilich, ob man nicht mit dieser beachtlichen Summe auf andere Weise für die Entwicklungshilfe mehr erreichen könne, als auf dem Wege einer Kreditoperation. Die Spannungen und Unruhen, die heute weitgehend die Entwicklungsländer beherrschen, sind doch weitgehend auf den nicht bewältigten, allzu rasch erfolgten Einbruch in die von primitiven Vorstellungen beherrschte Welt zurückzuführen; es fehlt den jungen Staaten in Afrika und in Asien einfach an Persönlichkeiten, die zwischen der modernen Industriegesellschaft und der noch in der Stammeswelt verwurzelten Denkordnung vermitteln könnten. So erscheint es notwendig, vor der Errichtung von Industrieanlagen zuerst die Menschen für die Erfordernisse der industriellen Arbeitswelt geistig und auch charakterlich auszubilden.

Für eine solche Ausbildung gibt es zwei Wege; entweder man errichtet in den Entwicklungsländern selbst Schulen und andere Erziehungsstätten oder man bildet die betreffenden Persönlichkeiten bei uns aus. Allein schon die Unsicherheit in den Verhältnissen der meisten Gegenden Afrikas usw. läßt den zweiten Weg als den besseren erscheinen, zumal er auch der billigere sein dürfte.

Wo sollen aber die jungen Menschen aus den Entwicklungsländern ausgebildet werden? Die traditionellen Entwicklungsstätten, wie Oxford, die Sorbonne usw., sind nicht mehr so wie früher dafür geeignet, da gegen England und Frankreich sich die Ressentiments aus der Kolonialzeit erheben; auch die amerikanischen Schulen werden mit — durch geschickte Propaganda geschürtem — Mißtrauen betrachtet; die mitteleuropäischen Schulen sind kaum noch aufnahmefähig. Beachtenswert sind jedoch Initiativen in der Bundesrepublik Deutschland, die gegenwärtig 20.000 nichteuropäische Studenten und Praktikanten aufnimmt. Dies alles hat der Ostblock benützt; in Moskau wird derzeit eine eigene Fakultät für 4000 Studenten aus dem afroasiatischen Raum, und in Leipzig eine solche für 2000 Studierende aus Südosteuropa errichtet!

Das sind alarmierende Nachrichten!

Aber in diesen Tatsachen liegt auch für Österreich eine einmalige Gelegenheit! Denn wir sind ein Land, dem man aus einer früheren Zeit keine Ressentiments kolonialer Epochen entgegenbringt, man kennt uns aber auch nicht als Macht, die unbedingt seine Weltanschauung, ja nicht einmal seine Eigenart, seinen „way of life“, aufzwingen will. Eine Bereitschaft, in Österreich zu studieren, dürfte also für viele junge Ausländer vorhanden sein; nicht umsonst sind heute schon ein Drittel der Studierenden an den österreichischen Hochschulen Ausländer.

Kann aber Österreich noch weitere ausländische Studenten überhaupt aufnehmen? Denn, während die Lehrkräfte selbstverständlich bereit wären, Wissen auch an eine größere Zahl von Ausländern zu vermitteln, reichen die vorhandenen Institute, Kliniken usw. nicht einmal zur genügenden Ausbildung der inländischen Studenten aus.

Es fehlt aber einfach an Geld!

Daher wäre es zu bedenken, ob nicht ein Teil des Kapitals, für das der Staat bereit ist, ein großes Risiko durch eine Ausfallhaftung zu tragen, für einen besseren Einsatz zu verwerten wäre. Das heißt, man müßte von der Summe, die in den nächsten Jahren als Kapital für die Entwicklungsländer zur Verfügung gestellt wird, einen Teil, nach einem genau zu entwickelnden Plan für Stipendien an Ausländer, für Heime und für den Ausbau von Instituten und sonstigen Einrichtungen aufbringen.

Gegen einen solchen Plan werden Einwände gemacht werden, etwa: Das derzeit den Entwicklungsländern zur Verfügung gestellte Kapital ist ein Kredit, der einmal zurückgezahlt werden soll, während diese Summe in dem von uns vorgeschlagenen Fall fast ein Budgetposten wäre. Darauf ist zu entgegnen: Wieviel Prozent des den Entwicklungsländern zur Verfügung gestellten Kredites fließen wirklich den dortigen Investitionen zu? Die Summen, die anderen Zwecken dienen, sollen gigantisch sein. Wenn dagegen die bei uns ausgebildeten Personen Bestellungen bei österreichischen Firmen, die sie während ihres Studiums kennengelernt haben, tätigen werden, wird der österreichischen Wirtschaft — rein materiell gesprochen — ein höherer Gewinn zufließen, als durch eine Rückzahlung des Kapitals und der Zinsenleistung.

Noch viel wichtiger aber ist, daß heute in den Entwicklungsländern die Entscheidung über die zukünftige Weltordnung fällt. Und es wird entscheidend sein, daß eine möglichst große Anzahl von Studenten, die in kurzer Frist führende Positionen in ihren Ländern einnehmen werden, bei uns ausgebildet werden.

Dazu kommt noch etwas. Österreich ist eben dabei, sein Ansehen als kulturelle Großmacht einzubüßen; das ist beschämend und traurig und führt eines Tages zu einem Untergang nicht nur unserer kulturellen Stellung, sondern auch zu einem totalen Verlust unserer politischen Selbstachtung.

Für die Wissenschaft ist noch immer zuwenig Geld da; im Budget für 1960 waren für die österreichischen Hochschulen und sonstigen wissenschaftlichen Anstalten 470 Millionen Schilling, das sind 1,1 Prozent der Ausgaben, vorgesehen. Das ist entschieden zuwenig — aber es besteht kaum eine Möglichkeit, diesen Prozentsatz wesentlich zu erhöhen. Da bietet sich in den Summen, die Österreich bereit ist, für die Entwicklungsländer zur Verfügung zu stellen — und die fast so hoch sind, wie Österreich bereit ist, für seine Hochschulen auszugeben! —, eine große Möglichkeit.

Es könnten also mit diesem Vorschlag zwei Probleme mit einem Schlag gelöst werden: eine wirklich tatkräftige Hilfe für die Entwicklungsländer durch Heranbildung einer geistigen Elite und zugleich die Beseitigung der wichtigsten Sorgen des österreichischen Hochschulwesens.

Noch wichtiger aber erscheint es, daß damit der österreichischen Wissenschaft eine wahrhaft große und schöne Aufgabe erwachsen könnte, auf Grund derer unser Vaterland wieder in die Reihen der aktiven Kulturnationen eingereiht werden könnte, aus der es auszuscheiden im Begriffe ist.

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