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Aspekte der Konferenz

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Seit den Ostertagen versuchen die Vertreter von 122 Nationen und verschiedenen Organisationen am frühlingsmäßig schönen Genfer See in der Welthandelskonferenz der Vereinten Nationen zu einem Ergebnis zu kommen. Wobei die große Frage dieser großen Versammlung wirklich ist, ob sie überhaupt zu einem Resultat kommen kann.

Ist es möglich, einem so diffizilen und vielschichtigen Problem wie dem Welthandel deduktiv, sozusagen vom höhen Katheder her, zu Leibe zu rücken? Pessimisten glauben, daß die Welthandelskonferenz „außer Spesen“ kein Ergebnis zeigen wird. Aber die Schwarzseher haben ja, Gott sei Dank, nicht immer recht, und so sollen die Aspekte dieser Konferenz, die in der Geschichte etwas Einmaliges darstellt, sachlich betrachtet werden.

Initiiert wurde die Welthandelskonferenz von den Entwicklungsländern, die gleichsam in ihrer Armut im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit vor die Wohlhabenden hintreten und rufen wollen: Seht, so geht es uns, ihr müßt mehr als bisher für uns tun. Der vor vielen ausgesprochenen Bitte kann weniger leicht widerstanden werden als einer unter vier Augen vorgetragenen. Das ist der erste Aspekt der Welthandelskonferenz.

Ein weiterer aber ist, daß die Entwicklungsländer durch diese wirtschaftliche Großkonferenz ihren politischen Einfluß verstärken wollen. Wirtschaft und Politik sind nicht zu trennen. Es ist ja keineswegs so, daß die Staaten, deren Wirtschaft in Entwicklung ist und die den seinerzeitigen Ausdruck „unterentwickelte Staaten“ entrüstet zurückgewiesen haben, mit der Tugend der Bescheidenheit geziert sind.

Ihre Bitte um Entwicklungshilfe wird als Forderung vorgetragen. So behaupten sie, daß die Industrieländer unrechtmäßige Gewinne aus dem Handel mit ihnen ziehen, da sie ihre schwache Position schamlos ausnützen. Sie verlangen daher aus Gründen der Gerechtigkeit — das ist gleich einer der Hauptpunkte der Welthandelskonferenz — ein System der Ausgleichsfinanzierung. Darunter ist, grob gesprochen, zu verstehen, daß die Industrieländer die Gewinne die sie aus dem Handel mit den unterentwickelten Ländern gezogen haben, diesen wieder refundieren.

Der im Rahmen des GATT (General Agreement on Tarif and Trade) kürzlich vorgetragene Plan des belgischen Außenministers Brasseur berücksichtigt bereits diese Forderung, doch fand er damit bei seinen Verbündeten wenig Gegenliebe.

Das Bestreben der Entwicklungsländer, den politischen Einfluß, den sie dank ihrer Zahl bereits in der UNO haben, auch auf das Gebiet der Wirtschaft auszudehnen (im GATT waren sie bisher nicht entsprechend vertreten), wird selbstverständlich vom Ostblock mit Entzücken unterstützt. Dieser hofft, bei der Welthandelskonferenz die „dritte Welt“ der Entwicklungsländer mit der seinen vereinen und geschlossen gegen die freie Welt führen zu können.

Es ist daher begreiflich, daß der Westen von Anfang an dem Plan einer Welthandelskonferenz innerlich nicht sehr freundlich gegenüberstand. Und noch bei Konferenzbeginn hörte man so manchen westlichen Delegierten klagen, daß er trotz des gesunden Schweizer Klimas lieber woanders wäre.

Allerdings gingen die Industrieländer, das muß zu ihrer Ehre gesagt werden, keineswegs unvorbereitet nach Genf, und vor allem im Rahmen der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Paris), dem Indu-striestaatenklufo, wurden im sogenannten „Forthome-Komitee“ die Ansichten der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Frankreichs, der Bundesrepublik Deutschland und auch Österreichs um nur einige zu nennen, soweit als möglich koordiniert. Ähnliches versuchen Präsident Hallstein in der EWG und Generalsekretär Figgures in der EFTA.

Wie die ersten Wochen in Genf zeigten, haben sich die Befürchtungen des Westens vorerst nicht bewahrheitet. Das Klima ist auch im Konferenzsaal ruhig, und die Reden der Staatsmänner in der Arena sind voll circensischen Optimismus. Aber die Konferenz dauert ja bis 15. Juli, und da kann noch einiges geschehen. Sicher wird sich dem Ende zu, wenn es zu keinem greifbaren Ergebnis kommt, und das ist bei dieser schwierigen Materie nur allzu leicht anzunehmen, der Ton verschärfen.

Man darf aber eines nicht vergessen: Ein Großteil der Entwicklungsländer weiß ganz genau, daß er wirksame Unterstützung nur dort bekommen kann, wo die Mittel vorbanden sind, und das ist im Westen. Er wird sich daher hüten, mit dem Osten in ein Horn zu blasen* Viele dieser Länder gehören auch dem britischen Commonwealth an und sind an und für sich schon wirtschaftlich sehr bevorzugt. Andere, meist Staaten des ehemaligen französischen Kolonialreiches, genießen durch das kürzlich abgeschlossene Assoziierungsabkommen mit der EWG ganz enorme wirtschaftliche Vorteile, die sie in einem weltweiten Abkommen gar nicht finden könnten, denn der Topf reicht nicht für alle.

Die Industrieländer sind wohl auch die einzigen, die bereits auf tatsächlich geleistete Hilfe hinweisen können. So zeigte die Gesamtunterstützung der OECD-Staaten an die

Entwicklungsländer in den Jahren 1956 bis 1962 eine stetige Aufwärtsentwicklung. Gesamthilfe in Billionen US-Dollar: 1956 3,3; 1957 3,9; 1958 4,4; 1959 4,3: 1960 4,9; 1961 6,1; 1962 6,0.

Der Westen hat also, und das ist der dritte Aspekt der Welthandelskonferenz, ganz gute Chancen, aus dieser Konferenz auch propagandistisch mit heiler Haut herauszusteigen.

Die Tagesordnung der Konferenz ist so, daß fast über alles geredet werden kann. Ebenso ist der etwa fünftausend Seiten fassende Bericht des Generalsekretärs Dr. Prebich aus Argentinien — eines Altösterreichers aus Brünn — so umfassend, daß es unmöglich ist, nicht einen Anknüpfungspunkt für jede beliebige Sache zu finden.

Die bisher gegründeten fünf Hauptkomitees haben daher folgende Bezeichnung:

• Internationale Grundstoffpro-pleme.

• Handel mit Halb- und Fertigwaren.

• Verbesserung des unsichtbaren Handels- und Zahlungsverkehrs der Entwicklungsländer .und Fragen der Finanzierung der Ausweitung des internationalen Handels.

• Institutionelle Fragen.

• Ausweitung des internationalen Handels und seine Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung. Auswirkung der regionalen wirtschaftlichen Gruppierungen.

Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, auf diese Komitees näher einzugehen. Hier soll nur soviel gesagt werden, daß man bei der Fülle der angeschnittenen Probleme wohl über Grundsatzerklärungen — bei uns würde man sagen, schönen Sonntagsreden — nicht viel weiter hinauskommen wird. Und dies ist der vierte Aspekt der Welthandelskonferenz.

Der fünfte Aspekt ist die Frage, ob sich das Prinzip der Planwirtschaft oder der freien Marktwirtschaft in den Reden und Debatten durchsetzen wird. Der Ostblock ist begreiflicherweise für die zentralgelenkte Wirtschaft und hofft, die Entwicklungsländer, die mit dem freien Spiel der Kräfte von Angebot und Nachfrage wenig anfangen können, auch hier auf seine Seite zu ziehen. In diesem Sinn verlangt er auch, daß die Konferenz konkrete Ergebnisse zeigt, feste greifbare Vereinbarungen, gleichsam einen Superplan für den Welthandel.

Daß die Sowjetunion alle Künste spielen lassen wird, hat sie schon gezeigt, als sie in Genf durch ihren Delegierten Spandarjan erklären ließ, daß sie Zölle auf Wareneinfuhren aus Entwicklungsländern abschaffen und ab 1. Jänner 1965 die Zollbelastung auf Null herabsetzen wird. Zweifellos wird die Sowjetunion jetzt verlangen, daß die westlichen Länder diesem Beispiel folgen, obwohl sie weiß, daß dies bei deren Wirtschaftssystem unmöglich ist. Man muß nämlich wissen, daß der Handel in der Sowjetunion durch Staatsmonopole und ausschließlich zweiseitige Handelsverträge abgewickelt wird, daß“ er also je nach Bedarf man?p\tlieft werden kann.

Man kann demnach sagen, daß das Hauptgewicht der Welthandelskonferenz auf politischem Gebiet liegt. Dennoch wäre es ungerecht, sie als wertloses Podium für ost-west-liche Propaganda abtun zu wollen.

Ihr Positivum liegt darin — und das ist der sechste Aspekt der Welthandelskonferenz —, daß sich die verschiedenen Nationen wirtschaftlieh einmal aussprechen können. Propagandareden wirken nämlich, wenn überhaupt, nur kurze Zeit, und die Wirtschaft ist für jedes Land ein viel zu ernstes Problem, um nicht am Ende doch sachlich erörtert zu werden. In dem gegenseitigen Kennenlernen werden, wenn die echte Arbeit einmal Platz gegriffen hat, viele Vorurteile abgebaut werden können.

Die Welthandelskonferenz wird daher auch wohl am 15. Juni nicht ihr endgültiges Ende gefunden haben. Zwar weiß man noch nicht, wie es weitergehen soll. Diese unter dem Titel Institutionen erörterte Frage läßt zwei Hauptwege offen: Die Schaffung einer autonomen neuen Wirtschaftsorganisation, wie sie die Entwicklungsländer und der Osten wünschen, oder die Beibehaltung der jetzigen Praxis, nämlich, daß sich die Welthandelskonferenz im Rahmen der bestehenden Organisationen der Vereinten Nationen bewegt. Der letztere Vorsehlag ist der realistischere, da der andere nur zu einem Wirtschaftsbürokratismus und Doppelgleisigkeit führen würde.

Über den Erfolg oder Mißerfolg der Welthandelskonferenz kann jetzt noch nicht geurteilt werden. Eines steht aber fest: Wenn man von ihr nicht wirtschaftliche Wunder erwartet, die Lösung aller weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten sozusagen, und wenn man sie nicht als Propagandatribüne für politische Feuerreden mißbraucht, kann sie nützliche Arbeit leisten. Und noch eines: Die Welthandelskonferenz ist nun einmal existent geworden, man mag sie bejahen oder verneinen, ihre Spuren werden nicht mehr auszulöschen sein.

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