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Die Bewahrung der Schöpfung geht alle an

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Beim „Wirtschaftsgipfel" in München waren die Regierungschefs der führenden Industrieländer auch Adressaten massiver Forderungen seitens der christlichen Kirchen des Gastgeberlandes. Verlangt wurden konkrete Lösungen der Weltprobleme.

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Beim „Wirtschaftsgipfel" in München waren die Regierungschefs der führenden Industrieländer auch Adressaten massiver Forderungen seitens der christlichen Kirchen des Gastgeberlandes. Verlangt wurden konkrete Lösungen der Weltprobleme.

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Diesem großen Anliegen lag ein Dokument zugrunde, das von der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) ausgearbeitet und vordem „Gipfeltreffen" der deutschen Bundesregierung zugestellt und zum Termin der Münchner Konferenz veröffentlicht worden ist.

Der Text" besteht aus dem „Positionspapier" und zwei ergänzenden Sachvoten" zu den Stichworten „Welthandel und globale Umwelt" und „Schuldenkrise". Die GKKE unterhält in Bonn eine evangelische Und eine katholische Geschäftsstelle.

Diese Publikation bringt eine Reihe bemerkenswerter Feststellungen und Forderungen, die die Mitarbeit Sachkundiger erkennen lassen, in der Berichterstattung der Medien hinter den stereotypen Forderungen aber nicht zur Geltung gekommen sind. Sie zeigen, wie auch die Institutionen der christlichen Kirchen bei der Wahrnehmung ihrer Verantwortung am allgemeinen Lernprozeß teilnehmen, welche die so mannigfaltigen neuen weltweiten Erfahrungen nahelegen, sowohl was die realen Zusammenhänge wie auch die Formulierung angemessener Zielsetzungen und die Auswahl adäquater und effizienter Maßnahmen betrifft.

Ganz auf der Linie dieser Erfahrungen liegt die Feststellung, daß sich trotz aller Entwicklungsbemühungen in den vergangenen drei Jahrzehnten die Kluft zwischen Arm und Reich nicht nur weltweit, sondern auch innerhalb der Entwicklungsländer enorm vergrößert hat, und daß es das Bevölkerung s wachs tum (von 5,4 Milliarden derzeit auf über zehn Milliarden im Jahre 2050!) ist, das diese Situation in den kommenden Jahren noch wesentlich verschärfen wird.

Ganz im Zeichen der sich immer deutlicher festigenden Erfahrung liegt der Hinweis, daß „die Verantwortung für die Entwicklung des Südens (letztlich) beim Süden liegt". Das gilt insbesondere für Strukturanpassungen, deren Auswirkungen zumeist zu Lasten der ärmeren Bevölkerungsteile gingen". Die Verantwortung für die erforderliche Kürzung der Staatsausgaben, die „in Afrika weithin zum Abbau sozialer Dienste im Bildungsund Gesundheitswesen und zum Verfall der Infrastruktur" führten (und unter Berufung auf den Internationalen Währungsfonds vor sich gingen!), auf die Schultern der Regierung des Entwicklungslandes zu legen (wo sie primär auch hingehören) ist eine harte, aber ordnungsethisch

richtige Forderung!

Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung sagt es noch viel deutlicher: „Die Schaffung günstigerer weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen garantiert noch keinen entwicklungspolitischen Erfolg. Vielmehr ist es Aufgabe der Regierungen der Länder des Südens, durch eine Reform ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik alle verfügbaren menschlichen wie materiellen Ressourcen für die Förderung des Wirtschaftswachstums und einer nachhaltigen Entwicklung zu mobilisieren. Dazu gehört die Investition in produktive Bereiche wie auch die Bekämpfung von Inflation und Kapitalflucht, Korruption und Mißwirtschaft... Die Schaffung demokratischer und rechtsstaatlicher Verhältnisse schafft Voraussetzungen, um die gesamte Bevölkerung am Entwicklungsprozeß zu beteiligen und gerechte Verteilungseffekte zu erzielen."

Lebensstil ändern

Ungeachtet der Widerstände gegen Fortschritte in der gegenwärtig gegen drohendes Scheitern kämpfenden Uruguay-Runde der GATT-Verhandlungen (wie vor allem seitens der Landwirtschaft und anderer subventionierter Wirtschaftszweige) ist das „Sachvotum für Welthandel und globale Umwelt" sehr realistisch und konkret: „Im Interesse einer sichtbaren Verbesserung des Lebensstandards

der Menschen in den Entwicklungsländern fordern daher die Kirchen die Regierungen der wichtigsten Handelsnationen auf, der Uruguay-Runde endlich zum Durchbruch zu verhelfen. Das GATT darf nicht geschwächt werden." „Die Kosten eines Scheiterns wäre auch für die Entwicklungsländer erheblich. Unter Berufung auf die Weltbank werden die Kosten der entgangenen Exporte für Entwicklungsländer als Folge des Protektionismus auf mindestens 40 Milliarden US-Dollar pro Jahr und die daraus entstehende Minderung des Brutto-nationalprodukts der Entwicklungsländer auf drei Prozent geschätzt. Der Wert der Entwicklungshilfe könne also nahezu verdoppelt werden, wenn die Handelsbarrieren fielen."

Die christlichen Kirchen Deutschlands geben damit ein Beispiel dafür, daß Maßnahmen zur Verbesserung marktwirtschaftlicher Funktionen soziaf um vieles wirksamer sind als bloß verteilungspolitische Transferzahlungen.

Absolut „up to date" ist die Forderung, auch das GATT sollte zur Bewahrung der Schöpfung beitragen, wo das Thema Umwelt bisher noch weitgehend ausgeklammert wurde. Um den Konflikt zwischen Umwelt- und Entwicklungsländerinteressen zu ent-

schärfen, sollten die G-7-Länder als maßgebende GATT-Vertragsparteien darauf drängen, den Umweltschutz endlich in die Welthandelsverfassung aufzunehmen.

Mit der sehr konkreten Forderung an die Industrieländer treffen sich die christlichen Kirchen Deutschlands mit Vorschlägen, die auch aus den beiden Regierungsparteien in Österreich immer deutlicher zu hören sind: Darunter läßt sich zum Beispiel auch der Vorschlag subsumieren, eine Honorierung der Umweltgestaltung der Landwirtschaft als G ATT-konform zu akzeptieren, wenn sie produktgebundene Subventionen ersetzen.

In einem Punkt haben die Experten der Kirchen den Nagel auf den Kopf getroffen, ohne allerdings die Kurve schon ganz genommen zu haben: „Wir in den Ländern des Nordens müssen lernen, genügsamer, solidarischer und schöpfungsgerechter zu leben, also unser Leben menschlicher und umweltgerechter zu gestalten."

In der Tat wäre eine spürbare Änderung des Lebensstils in den Industrieländern auch der einzige Weg, der stereotypen Forderung zu entsprechen, den Ländern des Ostens nicht „auf Kosten" der Länder des Südens

zu helfen. Für alle Investitionszwek-ke der Erde steht nur die Summe der Welterspamisse zur Verfügung. Wenn dies kein Null-Summenspiel sein soll, dann müssen die durch Kredite finanzierten Budgetdefizite der Industrieländer drastisch eingeschränkt und die Spartätigkeit der Bürger erhöht werden.

Da von den Politikern doch wohl kaum verlangt werden kann, dem Wählerwillen allzuweit vorauszueilen, kann unter der Forderung nach der notwendigen Konsumaskese doch wohl nur gemeint sein, daß die Kirchen ihre pastoralen Bemühungen viel mehr noch als bisher auf eine verantwortungsvolle Konsumethik konzentrieren. Aufgrund der gesellschaftspolitischen Grundsätze der christlichen Soziallehre kann die Ur-genz einer den Lebenssinn erfüllenden moralischen Haltung wohl kaum von staatlichen Institutionen erwartet werden, den Ethikunterricht in Schule und Bildung ausgenommen.

Die Sprecher der christlichen Kirchen würden einer problemelösenden Entwicklung auch einen guten Dienst erweisen, wenn sie nicht dazu beitragen, zu gänzlich unrealistischen Erwartungen Anlaß zu geben. Das Posi-

tionspapier hat zwar selbst sehr realistisch angenommen, daß es beim zweitägigen Treffen der Staats- und Regierungschefs der führenden Industriestaaten - das nur von den Medien schlagzeilenträchtig als „Weltwirtschaftsgipfel" hochstilisiert worden ist - „den Teilnehmern nicht um Auseinandersetzung, sondern in erster Linie um Konsens geht".

In einem Atem aber haben sie verlangt, daß die Regierungschefs in diesen wenigen Stunden „die globale Verantwortung für den Schutz natürlicher Ressourcen mit Taten unter Beweis stellen", „erneut bestätigen, daß die Obergrenze für Emissionen auf der Höhe des technisch gegenwärtigen Standards festgelegt wird" und konstruktive Beiträge zu einer stärkeren Beteiligung der Entwicklungsländer an der Weltwirtschaft leisten.

Mißverstandene Konferenz

Die als „Weltwirtschaftsgipfel" mißverstandene Konferenz sollte beispielsweise nach der Meinung der Kirchen in diesem Papier eine „Weltsozialpolitik anstreben und diese auf eine vertragliche Grundlage...stellen".

Die Regierungschefs sollten ferner der Uruguay-Runde des GATT „endlich zum Durchbruch...verhelfen", ihre Länder sollten als maßgebliche GATT-Vertragsparteien darauf drängen, den Umweltschutz endlich in die Welthandelsverfassung aufzunehmen.

Der Münchner Gipfel böte darüber hinaus gute Gelegenheit, die Entscheidungen der Umweltkonferenz von Rio zu bewerten und kritisch zu hinterfragen. Dabei sollten sie „ihren Anteil an den Defiziten einer globalen Ökologiepolitik ... benennen".

Wie können die Kirchen die verfassungsmäßige Legitimation der Regierungschefs demokratischer Staaten dafür annehmen? Können solche Forderungen der Kirchen wirklich als ein konstruktiver Beitrag zur Lösung dieser Probleme betrachtet werden? Der Autor ist Mitherausgeber der FURCHE.

1) „Solidarität ist unteilbar - Für eine sozial und ökologisch verantwortete Weltwirtschaft." Positionspapier der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) anläßlich des Weltwirtschaftsgipfels in München 1992.

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