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Tiefe Kluft im Nord-Süd-Dialog

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Mit dem freien Welthandel geht es bergab, wurde jüngst festgestellt. Hauptbetroffene sind wieder einmal die Entwicklungsländer, denen Kredite allein nicht mehr helfen.

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Mit dem freien Welthandel geht es bergab, wurde jüngst festgestellt. Hauptbetroffene sind wieder einmal die Entwicklungsländer, denen Kredite allein nicht mehr helfen.

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Die diesjährige Tagung der sogenannten Bretton-Woods-Institute (Internationaler Währungsfonds und Weltbank) war einmal mehr ein Indiz dafür, wie wenig derartige Monsterkonferenzen mit mehreren tausend Teilnehmern in der Lage sind, für die vielfältigen und komplizierten Probleme wirtschafts- und währungspolitischer Natur, wie sie derzeit im Raum stehen, Lösungen auch nur ansatzweise erbringen zu können.

Vorgenommen hatten sich die Vertreter von mehr als 150 Mitgliedsländern einen Gedankenaustausch über die Notwendigkeit einer Konsolidierung und Sicherstellung des weltwirtschaftlichen Wachstums und über die Fortsetzung der Bemühungen, Möglichkeiten und Instrumente zur Bewältigung der Schuldenkrise zu finden und zu verbessern.

Die aktuellen Entwicklungen setzten — wie die Berichterstattung zeigte — die Akzente aber anders.

Ein Problemkreis stand zwar auch nicht explizit auf der Tagesordnung, dessen Brisanz aber nichtsdestoweniger einmal mehr klar zutage trat: Mit dem freien Welthandel scheint es bergab zu gehen. „Es besteht die ernste Gefahr“, sagte der scheidende Chef des IWF, Jacques de Larosiere, „daß wir die Belastbarkeit unseres offenen internationalen Wirt-schaftsgefüges überschätzen.“

Die Tatsache, daß die amerikanische Wirtschaft selbst bei einem niedrigen Dollarkurs den Abbau des Leistungsbüanzdefizits aus eigener Kraft nicht zu schaffen scheint, stärkt die Hand von Pro-tektionisten und Isolationisten im größten Markt der Welt (FURCHE 40/1986).

Uber all dem blieben die Probleme der Entwicklungsländer wieder auf der Strecke. Die Diskussion um die halbprozentige Diskontsatzsenkung dieser Ländergruppe mußte überhaupt als der pure Hohn erscheinen, liegt ein Großteil ihres Problems doch in den wachsenden Zinsenlasten. Größere Teüe der Exporteinnahmen werden nur noch als Zinsen auf die geliehenen Gelder an die Gläubiger abgeführt. Diese Beträge stehen dann natürlich nicht zur Weiterentwicklung zur Verfügung, während die ohnedies besitzenden Gläubigerländer damit neue zinsbringende Anlagen suchen können. Diese Thematik wird jedoch im Währungsfonds, der im wesentlichen Bankeninteressen zu vertreten hat, nicht diskutiert.

Kurz vor Beginn der Jahrestagung hatte die Weltbank, das zweite Bretton-Woods-Institut, ihren Jahresbericht für 1985 vorgelegt, der von vielen als Ausdruck eines neuen Rollenverständnisses der Bank im Verhältnis zu den Entwicklungsländern gewertet wird. Eine zentrale Stellung nimmt dabei die neue Wachstumsstrategie ein, mit deren Hilfe zumindest einige der höchstverschuldeten Länder saniert werden sollen. Zu diesem Zweck wül die Weltbank in den nächsten Jahren ihre Kreditvergabe rasch ausweiten — die dazu erforderliche Zufuhr neuer Finanzmittel scheitert aber vorläufig noch am Widerstand der USA.

Diese neue Wachstumsstrategie ist in Zusammenhang mit der Baker-Initiative (FURCHE 40/1986) zu sehen, die im Vorjahr auf der Tagung in Seoul aus der Taufe gehoben worden war, heute aber als gescheitert betrachtet werden muß.

Fehlgeschlagen ist dieser Plan deshalb, weil

• der Währungsfonds nicht mitspielte und 1985 nur noch 0,4 Milliarden Dollar verborgte (nach zehn Milliarden 1984),

• infolgedessen auch die Kommerzbanken keine neuen Gelder mehr zur Verfügung stellten und

• die Weltbank selbst außer Kreditzusagen nichts mehr bieten konnte.

Dennoch scheint sich diese veränderte Denkweise nun in der Weltbank durchzusetzen und Früchte zu tragen. Der Schwerpunkt der neuen Kreditvergaben lag schon 1985 bei Programmen, die strukturelle Reformen in den Schuldnerländern zum Ziel hatten. Diese Mittel dienen nicht mehr wie früher zur Finanzierung konkreter Einzelprojekte, sondern unterstützen wirtschaftspolitische, strukturverbessernde und wachstumsfördernde Reformen.

Musterbeispiel ist die Türkei, die mit Hilfe derartiger Programme seit Beginn der achtziger Jahre ihre Schuldenkrise einigermaßen meistern konnte. Jetzt soll dieses Experiment in großem Maßstab auf die lateinamerikanischen Länder angewandt werden.

Soll diese Strategie weiter betrieben werden können, dann müssen der Weltbank aber über kurz oder lang zusätzliche Mittel zugeführt werden. Gedacht ist an eine Kapitalerhöhung im Ausmaß von 50 bis 80 Milliarden Dollar, die im nächsten Jahr einzuleiten wäre. Dazu muß allerdings noch der Widerstand der USA ausgeräumt werden, die budgetpolitische Gründe für ihr Zögern angeben.

Darüber hinaus bleiben zu viele Probleme abermals ungelöst, wenn nicht überhaupt unbehandelt. Zum Beispiel dasjenige, wie denn die Dritte Welt ihre Schulden auch nur in den Griff bekommen soll, wenn ihre Exporte in die Industrieländer behindert werden. Denn nur über Exporte wird dieses Problem entschärft werden können.

Doch wie kann den Entwicklungsländern das gelingen, wenn beispielsweise Europäer wie Amerikaner sie mittels Vermarktung von hochsubventionierten Uberschußprodukten (insbesondere agrarischer Art) in Grund und Boden konkurrenzieren?

Der Autor ist Referent der volkswirtschaftlichen Abteilung der Osterreichischen Nationalbank.

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