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Zu viel Geld für Waffen, zu wenig für die Schule

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Beim WeltsozialgipfeL in Kopenhagen (Seite 1) wird ein Grund für die Probleme der Dritten Welt nur ungenügend zur Sprache kommen: die Verbindung zwischen Militär- und Sozialausgaben.

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Beim WeltsozialgipfeL in Kopenhagen (Seite 1) wird ein Grund für die Probleme der Dritten Welt nur ungenügend zur Sprache kommen: die Verbindung zwischen Militär- und Sozialausgaben.

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Ein Blick ins Waffenregister der UNO zeigt, daß Indien 1992 unter anderem 20 MiG-29-Flugzeuge von Bußland gekauft hat. Mit dem Geld hätte man in Indien den Schulbesuch jener 15 Millionen Mädchen finanzieren können, die derzeit ohne Schulbildung aufwachsen. Der Iran benötigte 1992 dringend zwei russische U-Boote zu einem Preis, der der gesamten Bevölkerung des Landes grundlegende Gesundheitsvorsorge garantiert hätte. Derzeit können sich 13 Prozent der iranischen Bevölkerung keine Gesundheitsbetreuung leisten. In Entwicklungsländern ist es 33mal wahrscheinlicher, aufgrund mangelhafter ärztlicher Grundversorgung zu sterben als durch einen Krieg.

Im Schnitt kommen auf jeden Arzt 20 Soldaten. Dabei erhöhen die Militärs meist nicht die Sicherheit ihres Volkes, sondern gefährden sie. Denn während es selten internationale Angriffe abzuwehren gilt, kommt es umgekehrt häufig vor, daß Militärs ihre Waffen gegen die eigenen Leute erheben. Obwohl der Kalte Krieg zu Ende ist, haben gerade die ärmsten Länder ihre Militärausgaben nicht reduziert, und sind den Industrieländern willkommene Waffen-Abnehmer: 86 Prozent aller internationalen Waffengeschäfte laufen über die fünf Atommächte. Und ausgerechnet einige der ärmsten Länder haben ihre Büstungsan-strengungen nicht heruntergeschraubt, darunter Afghanistan, Indien und Pakistan.

Was das mit dem Weltsozialgipfel zu tun hat? Der Friedensnobelpreisträger Oscar Arias betrachtet es als eine Aufgabe der Konferenz, die Verbindung zwischen Militärausgaben und Sozialpolitik herzustellen. Er fordert Begierungen auf, nachvollziehbar darzustellen, was mit eingesparten Büstungs-Geldern geschehen ist. Und künftig müsse der Grundsatz gelten, nicht mehr für Büstung auszugeben als für Gesundheit und Bildung.

Seit 1987 sind Rüstungsausgaben weltweit um jährlich rund 3,6 Prozent gesunken - das entspricht Einsparungen von 935 Milliarden Dollar, 810 im Norden und 125 im Süden. Schwer zu sagen, wo dieses Geld geblieben ist. Wurden Haushaltslöcher gestopft? Es gebe keiqe Anzeichen, daß dieses Geld in Umwelt- oder Sozialpolitik gesteckt worden sei, sagt Arias. • Sinken Militärausgaben weiterhin um jährlich drei Prozent, bringt das bis zum Jahr 2000 rund 460 Milliarden Dollar. Ein Teil dieses Geldes wird benötigt, um in Ländern wie Frankreich, Großbritannien, Rußland und den USA von militärischer auf zivile Produktion umzustellen. Dem Norden müßte jedoch möglich sein, 20 Prozent dieser Einsparungen als sogenannte Friedensdividende abzugeben. Der Süden sollte zehn Prozent in seine Sozialpolitik stecken: Das wären insgesamt 14 Milliarden Dollar jährlich.

EU und USA fehle es schlicht am politischen Willen, die Armut in der Dritten Welt zu bekämpfen, klagt Mirjam van Reisen von Eurostep, einem Zusammenschluß europäischer Sozial- und Umweltverbände (NRO). Eurostep plädierte für die Verlagerung eingesparter Rüstungsausgaben in die Sozialpolitik. Um Bildung, Gesundheitsvorsorge, sauberes Trinkwasser in Entwicklungsländern zu gewährleisten, sind laut

Human Development Report der UN in den nächsten zehn Jahren jährlich 30 bis 40 Milliarden Dollar nötig. Eine beachtliche Summe, die durch Umverteilung jedoch finanzierbar scheint. Doch statt konkrete Vorgaben zu machen, werden sich die Staatschefs in Kopenhagen lediglich dazu verpflichten, „exzessive” Rüstungsausgaben, „sofern möglich”, zu reduzieren.

Auch nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes wird die alte Nord-Süd-Debatte um zusätzliche Mittel einen Großteil der Gipfeldiskussionen beherrschen. Die Haltung der Geberländer ist eindeutig: Solange Dritte-Welt-Länder sich nicht um ein einigermaßen funktionierendes Steuersystem bemühten, seien die Industrieländer weder zu neuen Zahlungen bereit noch zu Verhandlungen über einen Erlaß der insgesamt 2.755 Milliarden Mark Schulden, sagt der deutsche UN-Botschaf-ter Gerhard Henze.

Dabei gibt es nach Ansicht von UNO-Fachleuten etliche Umverteilungs-Maßnahmen, die weder Norden noch Süden zusätzliche Mittel kosteten, unter anderem globale Steuern für Umweltverschmutzung und internationale Währungsspekulationen. Eine Reihe dieser Vorschläge hat der. „Human Development Report” des UN-Entwicklungsprogrammes (UNDP) mit Blick auf den Sozialgipfel zusammengefaßt - ausgerechnet eine Abteilung jener UN-Sonderorganisation, die den Gipfel vorbereitet.

Nobelpreisträger James Tobin schlägt eine Steuer für internationale Finanzspekulationen vor, die den Zentralbanken die Stabilisierung der Wechselkurse erleichtern sollte. Ein großer Teil der täglichen Transfers von etwa einer Billion Dollar sei reine Währungsspekulation, meint Tobin, und bringe wenig wirtschaftlichen Nutzen. Eine 0,5 Prozent-Steuer ergebe jährlich mehr als 1,5 Billionen Dollar. Ähnliche Steuern könnte man auf den internationalen Flugverkehr sowie für Umweltverschmutzung einführen - und das alles, ohne die sozial Schwachen noch mehr zu schwächen. Alle diese Steuern wären für die Wall Street -nicht Main Street. Diese Steuern stehen in Kopenhagen jedoch nicht zur Debatte. „Nicht umsetzbar”, argumentieren europäische Wirtschaftsministerien.

Auch die von UNDP vorgeschlagene sogenannte 20/20-Initiative ist umstritten: Derzeit stecken die Entwicklungsländer nur 13 Prozent ihrer Budgets (jährlich 57 Milliarden Dollar) in grundlegende menschliche Bedürfnisse. Militärausgaben belaufen sich dagegen auf rund 125 Milliarden Dollar jährlich. Durch

Einsparungen bei Militärausgaben sollten die Entwicklungsbudgets auf 20 Prozent gesteigert werden, das entspricht jährlich rund 88 Milliarden Dollar.

Die reichen Länder des Nordens stecken in der Begel nur sieben Prozent ihrer Entwicklungshilfe in grundlegende Bedürfnisse - der Best fließt vor allem in großangelegte Technologiehilfe. Ohne die Ausgaben zu steigern, sollten auch diese reichen Länder ihre Ausgaben so umverteilen, daß 20 Prozent in menschliche Entwicklungshilfe fließen. Das wären dann zwölf Milliarden Dollar anstelle von jetzt vier Milliarden. Drei Viertel der Mittel kämen also aus dem Süden, ein Viertel aus dem Norden. Neue Gelder würden dazu nicht gebraucht.

Die Idee galt als große Hoffnung für den Sozialgipfel und wurde unter anderem bei der Bevölkerungskonferenz in Kairo empfohlen. Doch die Industrieländer und die Entwicklungsländer sind sowohl untereinander als auch innerhalb ihrer Organisationen unschlüssig: Die USA unterstützen zwar das Konzept, sagte der US-Delegierte Timothy Wirth, nicht aber konkrete Zahlen. EU-Länder wie Deutschland und Österreich befürworten die Initiative, Großbritannien und Frankreich stimmen dagegen.

Länder wie Indien, Pakistan und Indonesien bangen um ihre innenpolitische Souveränität und lehnen eine Mitsprache des Westens in Haushaltsdingen, etwa Militärausgaben, schlichtweg ab. Das Kopenhagener Papier enthält bislang noch drei verschiedene Varianten. EU und USA wollen die Initiative „weiter prüfen” und sehen „höhere Prozentsätze” für menschliche Entwicklung vor (als bisher). Ein Entscheidung über 20/20 wird also erst zu Beginn der Konferenz fallen.

Streit um die Definiton von „Armut”

In den allgemein gehaltenen Gipfel-Dokumenten ist durch die Uneinigkeit zwischen EU, USA und Entwicklungsländern (G-77) vieles noch nicht entschieden: Neben einer gemeinsamen Umverteilung von Finanzmitteln von Industrie-und Entwicklungsländern auf soziale Projekte wird auch um die Definition von Armut gestritten. Die EU wehrte sich gegen das Ansinnen von 132 Entwicklungsländern, als Ziel des Gipfels die „Ausrottung aller Armut” festzuschreiben. Die EU befürchtete, es gehe den Ländern nur um maximale Finanzhilfe. Nun ist im Dokument von Ausrottung und Reduzierung aller Armut die Rede.

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