Internationale Finanzmärkte besteuern

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Etwas mehr Kontrolle der Finanzmärkte zu erwirken, hat sich die kürzlich gegründete Initiative "Attac Österreich", zum Ziel gesetzt. Sie ist Teil eines internationalen Netz-werkes, mit dessen Mitbegründerin die furche das folgende Gespräch führte.

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Etwas mehr Kontrolle der Finanzmärkte zu erwirken, hat sich die kürzlich gegründete Initiative "Attac Österreich", zum Ziel gesetzt. Sie ist Teil eines internationalen Netz-werkes, mit dessen Mitbegründerin die furche das folgende Gespräch führte.

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die furche: Neoliberalismus, Globalisierung, totaler Markt - fast jeder kennt heute diese Schlagworte, aber nur wenige die Ideologie dahinter.

Susan George: Der totale Markt, der total freie Markt, so die Vertreter des Neoliberalismus, soll in allen Bereichen der Weltwirtschaft frei agieren können, ohne dass der Staat eingreift. Das heißt: Totale Freiheit für Kapitalbewegungen über alle staatlichen Grenzen hinweg, freies wirtschaftliches Agieren in jedem Land, Freiheit für jeden grenzüberschreitenden Güterverkehr und für alle Dienstleistungen. Der Dienstleistungssektor (er umfasst viele Bereiche menschlicher Aktivitäten, wie Gesundheit, Bildung, Kultur, Handel ... Insgesamt unterscheidet man 160 solche Bereiche) ist ein Hoffnungsgebiet: Allein der Gesundheitssektor ist aus der Sicht des Neoliberalismus ein riesiger Markt von Trillionen Dollar, brauchen doch Menschen über 65 etwa viermal mehr medizinische Behandlung als jüngere. Bei uns subventioniert der Staat diesen Sektor. Genau das soll es in der neoliberalen freien Marktwirtschaft nicht mehr geben. Das würde aber bedeuten, dass ärmere Ältere auf Mildtätigkeit angewiesen wären.

Oder: Die Welthandelsorganisation WTO schlägt vor, ,weniger kostspieliges Personal effizienter einzusetzen', das heißt, billige Arbeitskraft aus dem Ausland zu holen, beispielsweise Bauarbeiter aus Indien oder Pakistan. Sie haben als Ausländer "viel günstigere Bedingungen anzubieten", wie das der Chefunterhändler der WTO nennt.

die furche: Globalisierung wird häufig positiv dargestellt: Gemeinsam zu mehr Wohlstand für alle ...

George: Globalisierung sollte richtig heißen "von mächtigen multinationalen Konzernen gesteuerte Globalisierung". Sie bewirkt, dass in den letzten 20 Jahren Ungerechtigkeit und Ungleichheit gewachsen sind. Nicht nur in den sogenannten Entwicklungsländern, auch bei uns ... Die multinationalen Unternehmen schaffen kaum Arbeitsplätze. In den meisten Sektoren, etwa im Chemiebereich, im Bergbau, in der Pharmaindustrie oder der Autoherstellung, sind die Arbeitsplätze in den letzten Jahren deutlich weniger geworden. Nur McDonalds und Coca-Cola verzeichnen einen leichten Anstieg.

die furche: "Die Globalisierungsfalle", so heißt ein Bestseller, sei eine Art Naturereignis, in das die Industriestaaten ungewollt hineingetappt seien ...

George: Die neoliberale Ideologie, die zur Globalisierung geführt hat, ist nicht einfach vom Himmel gefallen. Sie ist ein Konstrukt, entstanden vor rund 50 Jahren. Damals hat niemand diese Ideen, die heute dominieren, ernst genommen. Der Neoliberalismus wurde in einer kleinen Gruppe von Wirtschaftwissenschaftlern und Soziologen um den großen österreichischen Denker Friedrich von Hajek an der Universität Chicago entwickelt. 1948 gab es den ersten Kongress in Montpellerat in der Schweiz, wo Hajek konservative Wirtschaftswissenschaftler zusammenbrachte. Das war die Gründung der Neoliberalen Bewegung der so genannten "Montpellerat Society". Sie hatte damals noch keinerlei Einflüsse auf die Politik. Erst als einflussreiche Konservative in den USA die Bewegung zu finanzieren begannen, gewann sie an Bedeutung. Mit der Zeit wurde es immer respektabler, Gelder für diese Bewegung bereitzustellen. Viele Stiftungen stellten Millionen Dollar zur Verfügung für die konservative Presse, universitäre Fachzeitschriften, Verlage, Radio- und TV-Stationen, Forschungszentren. Viele von uns haben das nicht erkannt, es gab kaum Widerstand.

die furche: Wie groß ist heute die Macht der Konzerne?

George: Dazu einige Zahlen: Laut UNO-Bericht gibt es derzeit rund 40.000 multinationale Konzerne mit etwa einer halben Million Zweigstellen in fast allen Ländern. Wirklich mächtig sind allerdings nur die größten ein- bis zweihundert. Aber alle transnationalen Unternehmen zusammen beschäftigen direkt und indirekt - das heißt inklusive Zulieferbetrieben, lokalen Märkten - an die 150 Millionen Menschen. Das sind weniger als zehn Prozent der auf dem Weltarbeitsmarkt verfügbaren Beschäftigten. Dafür werden aber über ein Drittel aller wirtschaftlichen Aktivitäten der Welt von den multinationalen Unternehmen abgewickelt! Es gibt nur wenige Länder - abgesehen von einigen Ministaaten wie Singapur -, in denen Multis mehr als ein bis zwei Prozent der Bevölkerung beschäftigen. Aber alle Regeln des Welthandels werden für diese Unternehmen gemacht. Sie haben die politische Macht, direkten Zugang zu den Regierungen, zur EU.

die furche: Aber die multinationalen Unternehmen investieren doch in den Ländern.

George: Zu 80 Prozent sind das Aufkäufe bestehender Unternehmen. Letztes Jahr gab es etwa 6.000 solcher "Deals". An die 100 davon waren jeweils im Wert von über einer Milliarde Dollar. Heuer werden für diese Transaktionen mehr als eine Trillion Dollar ausgegeben. Letztlich wird es nur mehr wenige den Markt beherrschende Unternehmen in den einzelnen Industriezweigen geben. Sie zahlen übrigens in den USA fast keine Steuern. Kluge Steueranwälte setzen sogenannte "stock options" für Top-Manager von der Steuer ab und reduzieren damit die Gewinne auf Null. Tatsächlich stiegen die Gewinne aber in den letzten drei Jahren um fast 25 Prozent (!), das versteuerbare Einkommen jedoch nur um sieben Prozent. Die Kosten für die öffentlichen Güter und Dienstleistungen zahlt der Rest der Bürger mit seinen Steuern.

die furche: Wie groß ist der Anteil der multinationalen Unternehmen am Welthandel?

George: Welthandel - das ist wieder so ein "Trickwort": Ein Drittel des Welthandels spielt sich zwischen Tochtergesellschaften ein- und desselben Unternehmens ab: IBM handelt mit IBM, Ford mit Ford - fast die Hälfte der US-Exporte gehen an Tochtergesellschaften ein- und desselben Unternehmens. Ein weiteres Drittel des Welthandels läuft zwischen den verschiedenen Multis.

die furche: Wie schaut die Situation auf den Finanzmärkten aus?

George: Das sind nicht mehr nur Banken, sondern auch Versicherungen, Pensionsfonds, Maklerfirmen. 1995 waren diese Finanz-Unternehmen im Besitz von 21 Trillionen Dollar. Die Handelsbanken haben heute etwa 15 bis 20 Trillionen.

die furche: Wer kontrolliert das Geld?

George: Vielleicht 60 bis 100 Fonds-Manager der größten Fonds. Die "Shareholder-value", das heißt der Preis, der Wert der Aktien muss steigen. 15 Prozent pro Jahr wird derzeit als Ziel angesehen. Um das zu erreichen, muss man immer mehr Arbeitskräfte entlassen und eigene Aktien aufkaufen. Die Fonds-Manager im reichen Norden haben die Macht über die aufkeimenden Märkte des Südens und Ostens ("emerging markets"), die über wenig Kapital verfügen. Wenn sie nur einen Bruchteil ihres Portefeuilles aus dem reichen Norden in eines dieser Länder verschieben, kann oft ein Viertel aller Aktien in den Börsen Asiens betroffen sein, in Lateinamerika sogar zwei Drittel! Dann kommt es zu enormen Finanzkrisen. Alles spekuliert dann plötzlich in Thailand oder Brasilien. Finanzkrisen und Bankrott sind die Folgen, wie in der Ostasienkrise vor zwei Jahren.

die furche: Dann tritt der Internationale Währungsfonds auf den Plan ...

George: Und schreibt vor, die Zinsen anzuheben, alles zu privatisieren, die Staatsausgaben zu senken. Nur dann gibt es wieder Kredite. In Mexiko kam es zum Bankrott von 27.000 Kleinunternehmen. Hunderttausende Menschen sind ohne Arbeit und die Hälfte der Bevölkerung Mexikos lebt unter der Armutsgrenze! Die Hälfte der Welt zählt zu den Verlierern des Systems. Der freie Markt kann einfach nicht allen Vorteile bringen. Geld und Macht geht an jene, die sie bereits haben. Wer keinen Beitrag leisten kann, ob als Konsument oder als Produzent - kann der überhaupt in diesem System überleben? Das ist für mich die zentrale Frage.

die furche: Was kann man unter solchen Umständen konkret unternehmen?

George: Auch wir müssen international tätig werden. Auf internationaler Ebene werden die Entscheidungen getroffen, nur dort können wir erreichen, unsere Rechte zu bewahren, die wir in den letzten 100 Jahren gewonnen haben. Es gilt aber auch, die eigenen Regierungen zu beeinflussen. Aber international müssen wir auf allen Ebenen zusammenarbeiten: Gewerkschaften mit Bauern, Frauenorganisationen mit Nord-Südgruppen und so weiter. Es ist ermutigend, dass dieser Schulterschluss von unterschiedlichen Gruppen auch mit unterschiedlichen Interessen und Zielen heute vor sich geht, geeint gegen diese Art von Globalisierung.

die furche: Am 6. November waren Sie in Wien bei der Gründung von "Attac-Österreich" anwesend ...

George: "Attac" gibt es inzwischen in über zwei Dutzend Ländern und wir stehen erst am Anfang. Begonnen hat alles mit mehreren großen Berichten über die Gefahr der Globalisierung in der Zeitung "Le Monde Diplomatique". Eines der wichtigsten Anliegen von "Attac" ist die Forderung nach Besteuerung der internationalen Finanztransaktionen, also die Einführung der sogenannten Tobin-Steuer, benannt nach dem Ökonomen James Tobin. Selbst bei einem äußerst geringen Steuersatz würde eine solche Steuer bei den heutigen Umsätzen Riesensummen einspielen. Sie könnten für die Bekämpfung der Armut und der Verbreitung unserer Ideen eingesetzt werden könnten.

Das Gespräch führte Peter Schmidt.

Susan George arbeitete zunächst am "Institut für Politische Studien" in Washington mit den Schwerpunkten Welthunger, Über- und Unterentwicklung. Derzeit ist sie Direktorin des "Amsterdamer Transnationalen Institut", einer Filiale des Washingtoner Instituts, und Vizevorsitzende der französischen "Attac-Bewegung. Zahlreiche Publikationen. Ihr letztes Buch trägt den Titel "Der Schuldenbumerang".

Zum Thema: "Attac Österreich" Unter dem Eindruck, der sich weltweit verschärfenden ökologischen Krise, der wachsenden Kluft zwischen armen und reichen Ländern und der Konzentration der Mittel in der Hand weniger "Global players" wurde Anfang November die Initiative "Attac Österreich" gegründet. Sie ist Zweig eines internationalen Netzwerkes, dessen Ziel es ist, die derzeitigen Globalisierungstendenzen nicht schicksalsergeben zur Kenntnis zu nehmen, sondern den Primat der Politik über die Wirtschaft wiederherzustellen. Erster und wichtiger Schritt: "Demokratische Kontrolle der Finanzmärkte und ihre Unterordnung unter das Ziel einer weltwirtschaftlichen Entwicklung, welche die Bedürfnisse aller Menschen befriedigt und den Schutz unserer Lebensumwelt" gewährleistet. Ein Weg dazu: die Tobin-Steuer.

Nähere Information: www.attac.org/austria austria@attac.org Tel 0664/15 10 243

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