Arm und Reich: wachsende Kluft, zum Teil überbrückt

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Eines steht allerdings außer Zweifel: Die Wohlstandskluft zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern wächst und wächst (siehe Seite 15). Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) weist regelmäßig auf die sich öffnende Schere hin: 1960 sei das wohlhabendste Fünftel der Länder etwa 30 Mal reicher als das ärmste gewesen - 1997 hingegen bereits 74 Mal. Da die letzten Jahre für die meisten Industrieländer eine Wachstumsperiode, für viele Länder Schwarz-Afrikas und der ehemaligen Sowjetunion aber eine Phase des wirtschaftlichen Niedergangs war, hat sich weltweit die Kluft zwischen Arm und Reich seither weiter vergrößert.

Bei dieser Entwicklung handelt es sich allerdings nicht um eine gezielt gesteuerte Umverteilung. Es sind die wirtschaftlichen Spielregeln, die zu diesem Auseinanderdriften entscheidend beitragen (Seite 15). Das Gros der Investitionen fließt nun einmal in die Industrieländer. Und die ärmsten 20 Prozent bekommen nur einen Bruchteil dieser Investitionen: weniger als zwei Prozent. Die Entwicklungshilfe kann diese Benachteiligung nicht annähernd ausgleichen.

Ein zweiter Mechanismus wirkt in Richtung Umverteilung: Die Konzentration der Wirtschaftsmacht bei immer größeren Unternehmen. Im letzten Jahrzehnt hat sich da Atemberaubendes getan. Eine Welle von Fusionen und Firmenkäufen stellte alles Bisherige in den Schatten: Allein im Jahr 1999 lag die Zahl der Käufe bei beachtlichen 25.000. Bei diesen Transaktionen wurden 35.700 Milliarden Schilling umgesetzt. Erinnert sei nur an die zwei größten Deals im Vorjahr: Die Telekom-Riesen Vodafone-Mannesmann (2820 Milliarden Schilling) und die Medien-Giganten AOL-Time Warner (2760 Milliarden). Die Hitliste der internationalen Konzernriesen weist eindrucksvolle Zahlen auf: Die sieben größten von ihnen haben einen Umsatz von mehr als 1.500 Milliarden Schilling und beschäftigen zusammen fast drei Millionen Menschen.

Auf Kosten einer Unzahl von kleinen und mittleren Unternehmen dominieren die Großen auf vielen Märkten. Wie das für Österreich aussieht, ist einer Studie der Arbeiterkammer zu entnehmen. Enorme Konzentrationen in vielen Wirtschaftszweigen, besonders im Lebensmittel- und im Möbelhandel (mehr als 50 Prozent Marktanteil der jeweils zwei Größten der Branchen), in der Bauwirtschaft, im Bankensektor oder im Bereich der Medien. In der Bauwirtschaft etwa machte die Nummer eins, die "Bau Holding AG" 1998 elf Mal mehr Umsatz als das zehntgrößte Bau-Unternehmen. Noch deutlicher in der Kfz-Zulieferbranche: Da war die Nummer eins ("Magna Europa AG") sogar 15 Mal umsatzstärker als die Nummer zehn.

Das Schicksal eines Teils der kleinen und mittleren Unternehmen registriert dann die Insolvenzstatistik, die in Österreich über die neunziger Jahre hinweg eine Verdoppelung der Pleiten zu verzeichnen hatte und in der Bauwirtschaft, Lebensmittelhandel und Holz-Möbel führend vertreten sind.

Von diesen Umschichtungsphänomenen zu unterscheiden ist die Umverteilung im engeren Sinn. Sie ist jenes staatliche Handeln, das gezielt einen Ausgleich zwischen Arm und Reich herzustellen versucht: durch höhere Belastung der Wohlhabenden durch Steuern und Abgaben und durch materielle Unterstützung der finanziell schlechter Gestellten (Seite 14.)

Nach mehr als 50 Jahren ununterbrochenen Wirtschaftswachstums stellt sich allerdings die Frage, ob eine solche Umverteilung überhaupt noch sinnvoll ist. Gibt es in Österreich, das zu den reichsten Ländern der Welt zählt, überhaupt noch Arme? Untersuchungen zeigen, dass rund 1,1 Millionen Menschen in Haushalten leben, die als armutsgefährdet anzusehen sind. Etwa 400.000 sind sogar akut von Armut bedroht.

Sie haben große finanzielle Probleme beim Beheizen der Wohnung, Substandard- oder überbelegte Wohnungen, Rückstände beim Zahlen von Mieten und Kreditzinsen, Probleme beim Beschaffen von Kleidern oder Lebensmitteln.

Relativ viele Kinder gibt es in dieser Gruppe. Ihre Eltern sind entweder arbeitslos, zugewandert, alleinerziehend oder in einer Niedriglohnbranche tätig. Die Armutsquote bei kinderreichen Familien liegt bei zehn Prozent.

Dass die untersten zehn Prozent der Einkommenspyramide ohne umverteilende Maßnahmen des Staates um 40 Prozent ärmer wären, lässt die Bedeutung der österreichischen Sozialpolitik erkennen. Nach Schweden und Dänemark liegt Österreich damit an dritter Stelle in der EU, was die "Gleichheit" der Einkommen anbelangt (Seite 14).

Trotz dieses Ausgleichs durch die Sozialpolitik gibt es einkommenseitig Tendenzen, die zur Erweiterung der Kluft zwischen Arm und Reich beitragen. Die Erträge der stark wachsenden Geldvermögen (zwischen 1960 und 1995 rund 3,5 Mal rascher als das BIP) werden nämlich entweder relativ günstig (25 Prozent KEST) oder gar nicht besteuert. Davon profitieren vor allem die Wohlhabenden, da sich dort die Vermögen konzentrieren.

Außerdem ermöglicht das wösterreichische Privatstiftungsrecht großen Vermögen (etwa ab 20 Millionen Schilling), weitgehend steuerfrei zu agieren. Das dürfte 1998 einen Steuerausfall von rund einer Milliarde Schilling produziert haben. Und darüber hinaus verfügen Großunternehmen über eine Palette von Instrumenten, die es ihnen gestatten, ihre Gewinnsteuern auf ein Minimum zu reduzieren. Die AK Wien illustriert das am Beispiel von OMV, Mobil, Wienerberger, Philips Technology, die trotz Gewinnen in Höhe von Hunderten Millionen für diese weniger als ein Prozent an Steuern ablieferten.

Trotz dieser Entwicklungen, die zu einer materiellen Begünstigung der Spitzeneinkommen führen, bekennt man sich in Kontinentaleuropa nach wie vor zu einer Umverteilungspolitik, die einen Ausgleich zwischen Arm und Reich anvisiert. Großbritannien und die USA hingegen haben spätestens seit den achtziger Jahren einen anderen Weg eingeschlagen. Dort wächst die Kluft zwischen Arm und Reich. Es kommt zu einer Vermögensansammlung bei den Superreichen: In den USA etwa verfügte in der ersten Hälfte der neunziger Jahre das oberste eine (!) Prozent der Einkommenspyramide über fast die Hälfte aller Vermögenswerte.

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