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Keine Spur von der sozialeren Welt

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Die Ärmsten wurden relativ ärmer, die Reichsten wieder etwas reicher, die Kluft zwischen den Menschen in den ärmsten und den reichsten Ländern der Welt ist jedenfalls nicht geringer geworden: Das sind die Schlußfolgerungen des soeben erschienen Berichtes der Vereinten Nationen über die soziale Weltsituation, „1978 Report on the World social situa tion“, Department of International Economic and Social Affairs, United Nations, New York, 1979.

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Die Ärmsten wurden relativ ärmer, die Reichsten wieder etwas reicher, die Kluft zwischen den Menschen in den ärmsten und den reichsten Ländern der Welt ist jedenfalls nicht geringer geworden: Das sind die Schlußfolgerungen des soeben erschienen Berichtes der Vereinten Nationen über die soziale Weltsituation, „1978 Report on the World social situa tion“, Department of International Economic and Social Affairs, United Nations, New York, 1979.

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Das Ziel der Verringerung der Ein-kommensunterschiede, das man sich in der Zeit des starken Wirtschaftswachstums gesetzt hatte, wurde auch in den Jahren der Rezession nicht erreicht In der Kaufkraft hat sich die Kluft zwischen den ärmsten und den reichsten Völkern von 1: 22 auf 1: 24 vergrößert, in der Lebenserwartung macht sie 25 Jahre aus, die Kindersterblichkeit ist in den ärmsten Ländern sechsmal so hoch und die Zahl der Studierenden im Verhältnis zu den reichsten Ländern erreicht nur ein Dreiunddreißigstel.

1151 Millionen Menschen oder 48,5 Prozent der Weltbevölkerung lebten 1970 in den ärmsten Ländern mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und Jahr von weniger als 200 Dollar. 710 Millionen Menschen oder 29,9 Prozent der Weltbevölkerung lebten in den reichsten Ländern mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und Jahr von mehr als 1000 Dollar.

Zwischen 1970 und 1975 hat der Privatkonsum pro Kopf in den ärmsten Ländern jährlich nur um 1,2 Prozent zugenommen, in den reichsten

Ländern hingegen, um 2,7. In den ärmsten Ländern erhöhte sich, zu Preisen von 1970, der Privatkonsum in fünf Jahren um ganze fünf Dollar von 80 auf 85, in den reichsten Ländern hingegen um 297 Dollar von 1788 auf 2045.

Aufgeholt haben lediglich di6 Länder mit einem Bruttoinlandsprodukt zwischen 200 und 1000 Dollar, davon mit einer 4,4prozentigen jährlichen Zunahme des Privatkonsums am stärksten jene mit 400 bis 1000 Dollar Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, in deren Kategorie allerdings auch vier erdölexportierende Länder fallen.

Schon der vor vier Jahren erschienene Bericht der Vereinten Nationen zur sozialen Weltsituation mußte das Fehlschlagen der Makro-Wachstumspolitik eingestehen. Auch der jetzige Bericht muß feststehen, daß ungeachtet der Fortschritte in einzelnen Ländern die Lebensbedingungen in verschiedenen Teilen der Welt 1978 ebenso voll von Kontrasten sind, wie sie es am Beginn der siebziger Jahre waren.

Zu diesen Kontrasten gehört die durchschnittliche Lebenserwartung, die in den ärmsten Ländern 44 und in den reichsten 71 Jahre beträgt, die Kindersterblichkeit, die 119 pro 1000 in den ärmsten und nur 19 pro 1000 in den reichsten Ländern beträgt, die ärztliche Versorgung, bei der in den ärmsten Ländern auf einen Arzt 19.000 Menschen entfallen und in den reichsten nur 670. Noch immer sind unter den Erwachsenen der ärmsten Länder81 Prozent Analphabeten und nur 55 Prozent der Kinder erhalten eine Schulbildung.

Die Zahl der Studierenden erreicht in den ärmsten Ländern nur 0,6 Prozent der entsprechenden Altersgruppe, in den reichsten Ländern hingegen 20. Die Zahl der Arbeitslosen in den Entwicklungsländern wird auf 33 Millionen geschätzt, mit einer Arbeitslosenrate von.bis zu 7 Prozent in Asien.

In diesem Zusammenhang mag auch ein historischer Vergleich von Interesse sein. Während in den siebziger Jahren rund die Hälfte der Weltbevölkerung in armen Ländern lebt, wurde in der Pauperismusdiskussion der 1830er Jahre in Europa die Zahl der Armen auf 12,3 Millionen geschätzt, wovon 11,2 Millionen Bedürftige und 1,1 Millionen Bettler waren. Dabei erreichte die Zahl der Armen aber mit einem Sechstel der Bevölkerung in England bereits ihren Höhepunkt.

In der Gegenwart haben auch die reichen Länder mit neuen sozialen Problemen zu kämpfen, zu denen die Zerrüttung der Familien, die Vereinsamung der Alten, Jugendkriminalität und Drogenmißbrauch gehören. Bei den Scheidungsraten pro 1000 der Bevölkerung im Jahre 1975 liegen die USA mit 4,8, Schweden mit 3,33 und die Sowjetunion mit 3,08 an der Spitze.

In der DDR wurden bereits 76 Prozent aller Kinder im Vorschulalter in Tageskindergärten untergebracht, in Kanada erreicht diese Zahl 18,4 der Drei- bis Fünfjährigen. Während in Japan noch 75 Prozent der alten Menschen mit einem erwachsenen Kind leben, lebten in der Sowjetunion 1974 300.000 alte Menschen in staatlichen Altersheimen und in den Armenvierteln von New York City 91 Prozent der alten Menschen allein.

In einem 1975 erschienenen Bericht der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen wurde darauf hingewiesen, daß das Wettrüsten unter Bergen von Massenvernichtungswaffen einen wesentlichen Teil der Ressourcen begräbt, die besser für die Realisierung der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte genützt werden könnten. Die damals auf 200 Milliarden Dollar jährlich geschätzten Militärausgaben der Welt wurden auf zwei Drittel des Volkseinkommens aller Entwicklungsländer geschätzt.

Der 1979 erschienene Bericht über die soziale Weltsituation mußte die Feststellung wiederholen, daß durch die militärischen Aktivitäten zwei Drittel des Bruttonationaiprodukts der armen Hälfte der Weltbevölkerung absorbiert werden. Zu Preisen des Jahres 1973 wurden die jährlichen Ausgaben für militärische Zwecke auf 250 bis 260 Milliarden Dollar geschätzt, das Stockholmer Internationale Friedensforschungsinstitut schätzt diese Ausgaben für 1977 bereits auf 331,6 Milliarden Dollar, wovon 68,8 auf die Entwicklungsländer entfallen.

Für Forschung und Entwicklung im Bereich der Rüstung geben laut UNO-Bericht die sechs größten Militärmächte das Zehnfache dessen aus, was an gesamter wissenschaftlicher und technischer Forschung in den Entwicklungsländern vorhanden ist.

Zu den schärfsten Kontrasten dieser Welt gehört immer noch die Tatsache, daß zehn Millionen vom Hungertod bedrohte und 90 Millionen unterernährte Kinder in den Entwicklungsländern bei den Supermächten ein Atomwaffenarsenal gegenübersteht, welches 1,3 Millionen Hiroshima-Bomben oder 15 Tonnen herkömmlichen Sprengstoffs pro Kopf der Weltbevölkerung entspricht.

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