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Leben ist kauflar

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Auch wenn die Österreicher oft auf Friedhöfe gehen und die Wiener fast so gern wie zum Heurigen: Das Sterben schöbe doch fast ein jeder mit Freuden hinaus. Wer hielte es da nicht mit Euripi-des, der schon vor 2400 Jahren eine seiner Tragödienfiguren verkünden ließ: „Wer es sich leisten könnte, würde einen späten Tod sich kaufen."

Die Zeit ist gekommen, daß wir uns beim Wort des Euri-pides nehmen. Die Menschheit könnte es sich leisten, Millionen spätere Tode zu kaufen. Wenn alle Erdbewohner ein Mindestmaß an Gesundheitsvorsorge im Babyalter erhielten, könnten 15 Millionen Kinder, die heute sterben, am Leben bleiben. Das würde rund zehn Milliarden Dollar jährlich kosten: ein Fünfundzwanzigstel des Betrages, der für Zigaretten weltweit ausgegeben wird.

Die durchschnittliche Lebenserwartung hat seit 1960 in allen Teilen der Erde zugenommen: in hochentwik-kelten Ländern von 70 auf 75, in Entwicklungsstaaten immerhin von 41 auf 50 Jahre. Die moderne Medizin hat es möglich gemacht. Aber sie würde noch viel mehr ermöglichen.

Noch immer bringt allein Durchfall in diesem unseren Jahrzehnt in der Dritten Welt mehr Menschen um, als die Pest im ganzen Mittelalter dahingerafft hat. Gleiches gilt von Lungenentzündung. Die Hälfte aller Geburten in Entwicklungsländern geht ohne Beistand eines Arztes oder einer Hebamme vor sich. Rostige Rasiermesser trennen viele Nabelschnüre.

„Gesundheit für alle/bis zum Jahr 2000" hat sich die Weltgesundheitsorganisation WHO vorgenommen. Um dieses Ziel erreichbar zu machen, müßte jeder Staat durchschnittlich fünf Prozent seines Bruttonational-produkts für Gesundheitsdienste ausgeben. Ungefähr 100 der rund 160 Staaten der Erde halten unter dieser Marke, 76 liegen unter zwei Prozent, wie kürzlich eine Studie des angesehenen Worldwatch Institute in Washington feststellte.

Für mehr als zwei Milliarden Menschen werden jährlich nicht mehr als 40 Schilling für Gesundheitszwecke ausgegeben. Auch internationale Hilfsinstitutionen wie Weltbank oder Internationaler Währungsfonds machen weit mehr Geld für Industrie, Energie- oder Verkehrsprojekte als für Gesundheitszwecke flüssig.

Worldwatch-Forscher William U. Chandler: „Trotzdem haben Millionen Reiche und Arme eins gemeinsam: daß sie unnötig sterben." Denn wir in den Industrieländern bringen uns ja mit Fressen, Saufen und Rauchen um.

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