Armut macht Weltpolitik

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Auch der neue Weltbevölkerungsbericht der UNO zeigt, dass eine globale Friedensordnung ohne Verbesserung der Lebensstandards der Entwicklungsländer nicht zu verwirklichen ist.

Vor kanpp zwei Jahren, am 12. Oktober 1999, zeigte sich die UNO noch begeistert: Medienwirksam präsentierte Generalsekretär Kofi Annan ein Neugeborenes aus Sarajewo und stellte den Kleinen einer gerührten Weltöffentlichkeit als den sechsmilliardsten Erdenbürger vor. Doch die Freude über den Nachwuchs ist längst verflogen und vergangene Woche schlug die UNO wieder demografischen Alarm: "Die Weltbevölkerung wächst zu schnell!" Es müsse prompt gehandelt werden, um den Raubbau an der Natur endlich zu stoppen. Deswegen steht die Umwelt im Mittelpunkt des diesjährigen Weltbevölkerungsberichtes von UNFPA, dem Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen. "Mehr Menschen verbrauchen mehr Ressourcen als zu jedem anderen Zeitpunkt in der Menschheitsgeschichte" heißt es da. Sowohl die (vielen armen) Entwicklungsländer als auch die (wenigen reichen) Wohlstandsnationen hinterlassen immer deutlicher negative Spuren auf unserem Planeten. Vor allem das Verhalten der Reichen, so heißt es weiter, "übersteigt in manchen Fällen die regenerative Kapazität der Erde". Die Bodenschätze, die Wasserressourcen, die Natur überhaupt - sie werden in einem Ausmaß ausgebeutet und zerstört, das bedrohlich ist.

Nach wie vor spielt sich das größte Bevölkerungswachstum in den ärmsten Ländern der Welt ab, also in Regionen, deren Bewohner ohnehin nicht einmal mit einem Mindestmaß an sauberem Wasser, atembarer Luft in den Städten, vitaminreicher Nahrung oder auch nur bescheidenen sanitären Anlagen versorgt werden können. Dort wird sich die Bevölkerung in den nächsten 50 Jahren verdreifachen: von heute 668 Millionenauf 1,86 Milliarden Menschen.

Allerdings bemüht sich der Fonds in seinem Bericht auch um Positives. Da ist von interessanten Entwicklungen in der Landwirtschaft zu lesen, die bessere Ernteerträge ermöglichen sollen. Außerdem ringe man bei internationalen Konferenzen pausenlos um Bildungs- und Sozialprogramme für die Ärmsten. Es gebe auch vielversprechende Pläne, um der Unterdrückung der Frauen endgültig ein Ende zu setzen, vor allem, was die Fremdbestimmung über die Zahl der Geburten betrifft. Denn: "nur ein Rückgang des Bevölkerungswachstums in den ärmeren Ländern würde uns die dringend benötigte Zeit verschaffen, die Landwirtschaft auf nachhaltige Anbaumethoden umzustellen" heißt es.

Das rasante Bevölkerungswachstum ist also immer noch eine brisante Schlüsselfrage für die Zukunft der Menschheit, obwohl eine Dämpfung und Abflachung der Geburtenzahlen auch in den Entwicklungsländern eingesetzt hat. In den frühen achtziger Jahren wuchs dort die Bevölkerung im Schnitt um zwei Prozent pro Jahr, Mitte der neunziger Jahre immer noch um 1,7 Prozent jährlich. Derzeit beträgt die Zuwachsrate 1,3 Prozent pro Jahr. Das ist dennoch beachtlich, wenn man bedenkt, dass sich Bräuche und Sitten in der Regel nicht von einem Tag auf den anderen ändern lassen. Die meisten afrikanischen Länder haben allerdings einen breiten Jugendsockel, in dem ein weiteres Wachstumspotential enthalten ist. Starke Jugendjahrgänge sind 20 Jahre später starke Elternjahrgänge. Selbst ein langsames Absenken von Geburten in Ehen kann daher durch eine größere Anzahl von Ehepaaren aus dem schon geschaffenen Bevölkerungspotential locker wettgemacht werden. Dieser Dynamik können die Planer und Kalkulierer eigentlich nur machtlos zuschauen, sie rollt unaufhaltsam, wie eine Lawine. Was sie allerdings beeinflussen können, ist die "bewusste Elternschaft", die auf die Gesundheit und Erhaltung von Kindern Wert legt, und nicht auf die Zahl die Geburten. Das bedeutet eine auf die jeweilige Kultur abgestimmte und mit ihren Wertungen vertraute Familienplanung.

Für ein ernsthaftes Nachsinnen über die Probleme der Bevölkerungsentwicklung reicht es natürlich nicht, nur die nackten Zahlen zu bejammern, ohne den wirtschafltich-sozialen Kontext zu sehen. Es geht nicht um die Frage, wieviele Menschen die Erde tragen kann. Das vermag ohnehin niemand wirklich einzuschätzen. Es gibt kein absolutes Zuviel oder Zuwenig an Menschen. Die Risken, die eine bestimmte Bevölkerungszahl und deren Wachstumsrate mit sich bringen, hängen von den Ressourcen, von der Infrastruktur sowie der Kompetenz und dem Willen der jeweils Verantwortlichen ab, und natürlich auch von den weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Gerade dabei zeigt sich das Dilemma der Entwicklungsländer besonders zugespitzt: Wie sollen sich die Massen von Menschen im erwerbsfähigen Alter in die Weltwirtschaft eingliedern? Wie sollen sie die wachsenden Bildungssprünge in einer Zeit schaffen, in der die westliche Welt immer höhere technologische (Ausbildungs-)Standards vorgibt. Dabei versucht sie, alle noch rentablen Stücke dieser Welt an sich zu reißen: Rohstoffe, Wissen, billigeArbeitskräfte (und die wunderbaren Antiquitäten der armen Länder).

Noch ist es erstaunlich ruhig auf der südlichen Halbkugel. Ein Aufstand von mehr und mehr chancenlos werdenden Generationen könnte die Welt jedoch in eine neue Katastrophe reissen. Religiöse Fanatismen und ethnisch-nationalistische Bewegungen sind offensichtlich im Kommen und üben eine besondere Anziehungskraft gerade auf jene aus, die sich um ihre Zukunftsperspektiven geprellt sehen. Für sie können Heilsbringer wie Osama Bin Laden mit einfachen, vormodernen Lösungsangeboten gerade recht kommen.

Seitdem die Terrorschläge auf die Gespaltenheit der Welt aufmerksam gemacht haben, reden alle davon, dass es nicht genügt, Terroristen auszuschalten. Es müssen auch die Riesenunterschiede zwischen Armen und Reichen entscheidend verringert werden. Der neue Weltbevölkerungsbericht ist ein weiteres Argument dafür, dass eine globale Friedensordnung ohne Annäherung der Lebensstandards nicht zu verwirklichen ist.

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