Für Politik, die denLand- zum Lebenswirten macht
Die BSE-Krise lässt erkennen, wie problematisch zum Teil die Lebensmittelerzeugung heute ist. Eine Neuausrichtung auch der Agrarpolitik ist überfällig, Kriterien der Nachhaltigkeit müssen umgesetzt werden.
Die BSE-Krise lässt erkennen, wie problematisch zum Teil die Lebensmittelerzeugung heute ist. Eine Neuausrichtung auch der Agrarpolitik ist überfällig, Kriterien der Nachhaltigkeit müssen umgesetzt werden.
Das 20. Jahrhundert war eine Epoche der Ökonomie (Wiederentdeckung der Erbgesetze, agrartechnische Errungenschaften, Bio- und Gentechnologie), das 21. Jahrhundert erfordert einen ökologischen Quantensprung. Das ökonomische Wachstumsmodell mit Konzentration auf den Verbrauch fossiler Brennstoffe ist ebensowenig zukunftsfähig wie die Mentalität der Wegwerf-Gesellschaft. Die Weltwirtschaft kann nicht expandieren, wenn die Ökosysteme zugrunde gehen. Das vorläufige Scheitern des Weltklimagipfels in Den Haag ist eine Schande. Internationale Organisationen (FAO, Worldwatch Institute) fordern eine "neue Politik für die Erde".
Ernst Ulrich von Weizsäcker stellt dazu in seinem Buch "Das Jahrhundert der Umwelt" fest: "Was diskreditiert die Ökonomie? Ganz einfach, die heutige Ökonomie ist strukturell eine Ökonomie des Raubbaus. Für das Bruttosozialprodukt, für das von Politikern fast aller Richtungen intensiv gewollte und geförderte Wachstum, ist die Ausräuberung von Ressourcen primär etwas Positives.
Die Rodung eines Urwaldes bringt wirtschaftlichen Umsatz, die Schonung nicht. Öl, Gas und Kohle zu fördern, bedeutet Wachstum - es im Boden zu lassen, bedeutet Verzicht auf Wachstum und Arbeitsplätze. Der Bau eines Touristenhotels an einem Strand, der seit hunderttausend Jahren von Schildkröten für die Eiablage aufgesucht wird, ist ebenfalls ein Sieg für Ökonomie, Umsatz und Arbeitsplätze."
Weniger Unterernährte Natürlich ist der Ökonomie-Ökologie-Konflikt nicht das einzige Thema, das im 21. Jahrhundert relevant sein wird. Auf der Basis einer "Delphi-Studie" sowie von Aussagen des Worldwatch-Instituts in Washington und der Weltgesundheitsorganisation in Genf hat die Zeitschrift "Bild der Wissenschaft" einen Ausblick auf das nächste Jahrhundert gewagt. Abgesehen von ein paar medizinischen und technischen Mutmaßungen wurden für die nächsten zwei Jahrzehnte hauptsächlich ökologische Prognosen erstellt. Die herausragenden Bedeutung der Umwelt im neuen Jahrhundert ist damit dokumentiert.
Die Politik ist gefordert. Sie hat Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft (Ernährung, Rohstoffe, Kulturlandschaft) zu schaffen. Zentrale Anliegen der Gesellschaft sind: Umwelterhaltung und Lösung des Hungerproblems. Im Jahre 2000 sind rund 826 Millionen Menschen unterernährt: 792 Millionen in den Entwicklungsländern und 34 Millionen in den entwickelten Regionen.
Neue Prognosen für 2015 zeigen, dass die Zahl der unterernährten Menschen in den Entwicklungsländern auf voraussichtlich 580 Millionen zurückgehen wird. Der Anteil der Hungernden an der Bevölkerung könnte bis 2015 halbiert werden, aber nicht die absolute Zahl, die nur um 30 Prozent sinken dürfte, wird von der FAO prognostiziert.
Die Bewältigung des Hungerproblems ist eng mit der Biologie verknüpft. Seit wenigen Jahren ist dieser Wissenschaftssektor in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Täglich kann man in den Medien Aussagen und Kommentare zu Themen wie Gentechnologie, Entschlüsselung des Genoms oder Klonen sehen und hören. Was steckt hinter der Gen-Diskussion? Welche Argumente sind berechtigt, welche vorgeschoben und ideologisch begründet?
Im Buch "Zurück zur Natur?" schreibt Werner Kunze: "Die Biologie wird uns im neuen Jahrhundert noch mehr beschäftigen als im vorangegangenen. Die komplizierten Probleme der Überbevölkerung, Umweltzerstörung und des Zusammenlebens und Regierens von immer mehr Menschen auf dieser Erde lassen sich ohne Kenntnis der biologischen Wurzeln nicht lösen. Aber nicht nur von dieser hohen Warte aus, auch und gerade für das Leben des Einzelnen wird die Bedeutung der Biologie noch erheblich zunehmen."
Zurück zur Natur?
Die Landwirtschaft erwartet heute zu recht Perspektiven für einen vertrauens- und hoffnungserweckenden Weg, der sie aus ihrer unübersehbar äußerst schwierigen Situation herausführen könnte. Diese Erwartungen zu erfüllen, ist vielleicht zu keinem Zeitpunkt so schwierig gewesen wie gegenwärtig.
Die Globalisierung hat inzwischen auch die Agrarmärkte erfasst. Der Handel mit Agrarrohstoffen und vor allem mit Nahrungsmitteln wächst schneller als die Produktion. Multinationale Firmen sowie mittelständische Unternehmen des "Agribusiness" investieren direkt in anderen Ländern oder gehen unterschiedliche Formen der Beteiligung ein. Sinkende Transport- und Kommunikationskosten sowie der Abbau von Hindernissen für den Güter- und Kapitalverkehr haben hierzu ebenso einen wichtigen Beitrag geleistet wie die Existenz anspruchsvoller Konsumenten.
Es stellt sich die Frage, ob die Geschwindigkeit des Anpassungsprozesses nicht wirtschaftspolitisch beeinflusst und der Prozess entsprechend stärker flankiert werden müsste. Gerade im Vorfeld der nächsten WTO-Verhandlungsrunde, die eine weitere Liberalisierung anstrebt und damit der Globalisierung sicherlich einen neuen Schub verleiht, beherrschen solche Grundsatzfragen die wirtschafts- und agrarpolitische Diskussion.
Der Philosoph Günter Rohrmoser befürchtet in seinem Buch "Landwirtschaft in der Ökologie- und Kulturkrise", dass die Bauern bei der Lösung ihrer Probleme allein gelassen werden. Er schreibt: "Ein häufig übersehener Gesichtspunkt ist der, dass die Krise in der Landwirtschaft begleitet ist von einer tiefen Erschütterung des Selbstbewusstseins der Menschen, die heute in der Landwirtschaft tätig sind. Sie sehen oft für sich und ihre Kinder keine Zukunft mehr und zweifeln an dem Sinn, den ihre Tätigkeit unter den bedrohlichen Aspekten hat."
Das Zukunftskonzept lautet: Nachhaltigkeit. Sie wird im weitesten Sinne als Überlebensfähigkeit des Systems "Mensch in seiner Umwelt" begriffen. Entsprechend dieser Interpretation wird Nachhaltigkeit in ihrem sozialen, ökonomischen, technischen und ökologischen Zusammenhang verstanden.
Die grundsätzlichen Fragestellungen sind: Wie können Umweltressourcen (Boden, Landschaft, Wasser, Luft, Artenvielfalt) monetär bewertet werden? Welches sind die Parameter, die eingeführt werden müssen, um eine Preiszuteilung für natürliche Ressourcen vorzunehmen? Ist die heutige Form der Landwirtschaft ressourcenschonend oder zerstört sie ihre eigenen Grundlagen? Welche Leistungen vermag eine moderne Landwirtschaft für eine Volkswirtschaft zu erbringen?
Die gemeinwirtschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft sind in der heutigen Volkswirtschaft unterbewertet. Voranschreitender Bodenverbrauch, andauernde ökologische Verarmung und zunehmende Belastungen der gesamten Biosphäre zeigen, dass ein Ungleichgewicht oder eine Unterbewertung der natürlichen Ressourcen vorliegt. Die ressourcenschonende Landwirtschaft als potentielle Förderin und Erhalterin von natürlichen Umweltressourcen gerät im globalen und sich schnell verändernden Umfeld unter zunehmenden Druck.
Mensch und Tier Für den Agrarsoziologen Franz Kromka ist entscheidend, im Zukunftskonzept "Nachhaltigkeit" das Verhältnis zwischen "Mensch und Tier", wie sein neuestes Buch heißt, zu regeln. Angesichts zunehmender Massentierhaltung und der BSE-Krise, die neuerlich zu schweren Vertrauenseinbrüchen der Gesellschaft gegenüber der Landwirtschaft führte, ist diese Forderung von hoher Aktualität. Millionenfach werden nämlich Nutztiere unter oft äußerst artwidrigen Bedingungen gehalten: Viele Tiere müssen in drangvoller Enge existieren, Verhaltensstörungen sind an der Tagesordnung.
Welche Motive stecken hinter dieser ungleichen Behandlung? Warum rührt uns das trostlose Leben der Nutztiere nicht an? Eine wichtige Ursache dieser Entfremdung ist, meint Franz Kromka, im fehlenden direkten Zugang zum Tier und zu seiner natürlichen Lebensweise zu sehen. Immer weniger Menschen ist es möglich, eine naturnahe bäuerliche Tierhaltung zu erleben.
Das Europäische Agrarmodell (umweltgerecht und sozial verträglich) könnte eine Vision aus der Ökologie- und Kulturkrise des ländlichen Raums sein, wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen: vom Landwirt zum "Lebenswirt".
Der Autor ist Gruppenleiter im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft.