Wer den Schutz der Artenvielfalt als Orchideenthema für Umweltbewegte belächelt, sitzt einem fatalen Trugschluss auf. Denn Biodiversität schützt die Welt und den Menschen existenziell.
Variatio delectat: Die Vielfalt erfreut und - ist lebenswichtig! Die alte Weisheit wird immer noch gerne hochgehalten. Aber wird sie auch gelebt? Die internationale Gemeinschaft hatte es zu einem der Millenniumsziele erhoben, das Artensterben bis 2010 zu verringern. Doch die biologische Vielfalt ging auch im Internationalen Jahr der Biodiversität weiter zurück. Um gegenzusteuern und wirksame Schutzmaßnahmen durchzusetzen, ist jetzt verstärkter Einsatz für den Erhalt des Reichtums der Natur nötig. Denn es steht viel auf dem Spiel - für uns alle!
Während die Bevölkerungszahlen stetig anwachsen, sind zahlreiche Spezies vom Aussterben bedroht oder bereits für immer von diesem Planeten verschwunden. Schätzungen zufolge sterben aktuell 100- bis 1000-mal mehr Arten als in den vergangenen Jahrhunderten aus. Nach Angaben der "International Union for Conservation of Nature" (IUCN) sind knapp ein Viertel der Säugetiere, ein Drittel der Amphibien, mehr als jede achte Vogelart und jede fünfte Pflanzenart von der Ausrottung bedroht. Ähnliches gilt für eine Vielzahl von Ökosystemen.
Zu hoher Ressourcenbedarf
Die Ursachen für diese hohen Verlustraten sind mannigfaltig: die Zerteilung von Lebensräumen, steigende Flächenversiegelung, Schadstoffzunahme, Klimawandel, die Zunahme invasiver Arten (Pflanzen und Tiere, die ein Ökosystem als Einwanderer besiedeln und andere, empfindlichere Arten dadurch verdrängen, Anm.) und die Intensivierung der Landwirtschaft.
Entscheidend ist auch, dass es bis dato nicht gelungen ist, den global steigenden Ressourcenbedarf zu zügeln. Am Beispiel des steigenden Flächenverbrauchs lässt sich das Problem für Österreich gut festmachen: Aktuelle Daten des Umweltbundesamtes belegen, dass täglich rund zwölf Hektar für Siedlungs- und Verkehrstätigkeit versiegelt werden, inklusive Sport- und Abbauflächen sind es sogar 22 Hektar. Durch die notwenige Verlagerung von fossilen auf erneuerbare Energieträger wird die biologische Vielfalt zusätzlich unter Druck kommen."Kann uns egal sein", denken sich da wohl viele insgeheim.
In Summe verursachen diese Verluste aber ein folgenschweres Szenario für Wirtschaft und Gesellschaft. Denn die Natur versorgt uns mit Lebensnotwendigem: Sie liefert Nahrungs- und Arzneimittel, stellt Trinkwasser bereit, liefert Roh- und Baustoffe, bietet natürlichen Hochwasser- und Erosionsschutz, sorgt für Bodenbildung und Befruchtung der Nutzpflanzen, reguliert das Klima und den Wasserhaushalt und ist wertvoller Erholungsraum. Damit die Natur diese Leistungen erbringen kann, braucht es allerdings intakte Ökosysteme, die wiederum auf eine Vielfalt an Arten, Genen und Lebensräumen angewiesen sind.
Biodiversität ist damit die Basis für unser wirtschaftliches und soziales Wohlergehen. Zudem sind Ökosystemleistungen großteils öffentliche Güter, die uns nichts kosten - ohne Tier- und Pflanzenwelt müssten wir sie mit teuren technischen Lösungen erbringen. Der reale monetäre Wert dieser Leistungen der Natur kann deshalb gar nicht hoch genug geschätzt werden, obwohl er schwer zu berechnen ist.
Die Natur als Kapital
Dieser Frage widmete sich eine von der EU-Kommission und den G7-Staaten finanzierte Studie zur Ökonomie von Ökosystemen und der Biodiversität, TEEB (The Economics of Ecosystems and Biodiversity), die das "Kapital" Natur in den Blickpunkt rückt und einen Überblick über den Stand der Forschung liefert, mögliche Folgen des Verlustes an Ökosystemleistungen aufzeigt, die Folgen in monetären Größen darstellt und Argumente für ein frühzeitiges Handeln liefern soll.
Die Studie schätzt den weltweiten Verlust von Ökosystemleistungen auf 50 Milliarden Euro jährlich. Die globale Zerstörung der Wälder wird mit einem Schaden von rund 3,5 Billionen Euro beziffert, der Wert der Bestäubung von Kulturpflanzen durch Bienen und Hummeln weltweit auf 29 bis 74 Milliarden Euro geschätzt. Allein schon daraus wird deutlich, dass die Erhaltung der Biodiversität nicht nur einen hohen ästhetischen und kulturellen, sondern auch einen enormen wirtschaftlichen Wert hat.
Der TEEB-Endbericht, der heuer im Rahmen der Artenschutz-Konferenz in Nagoya vorgestellt wurde, zeigt auf, wie die Schritte einer Wertschätzung ökosystemarer Dienstleistungen aussehen können und Zahlungen für Ökosystemdienstleistungen (PES) zu einer besseren Wahrung des Naturkapitals führen.
Ansporn zur Nachhaltigkeit
Auf globaler Ebene sind vor allem die Entwicklungsländer, auf nationaler die ländliche Bevölkerung die "Netprovider" der Grundversorgung durch intakte Ökosysteme, zu den Profiteuren zählen aber die Industrienationen genau so wie die Stadtbevölkerung. PES sollen die Menschen zu einem nachhaltigeren Umgang mit der Natur anspornen. Während dieses Konzept in Lateinamerika zu greifen beginnt - in Mexiko wurde 2003 ein nationales PES-System eingeführt, was die Entwaldungsrate um 50 Prozent reduziert, Wassereinzugsgebiete und Nebelwälder gesichert und rund 3,2 Millionen Tonnen CO2-Emissionen vermieden hat - wird das Prinzip in Europa ansatzweise in den Agrarumweltprogrammen der gemeinsamen Agrarpolitik verwirklicht. Die TEEB-Studie dokumentiert aber nicht nur die monetäre Bedeutung unserer natürlichen Umwelt für die globale Ökonomie, sondern auch, wie Politikveränderungen und gerechte Marktmechanismen ein neues Denken für die Herausforderungen des globalen Umweltschutzes liefern können.
Die Politik muss gemeinsam handeln. Um die Gefährdung von Biodiversität und Ökosystemleistungen langfristig einzudämmen oder gar zu stoppen, müssen alle politischen Sektoren angesprochen werden, vor allem aber die Bereiche Land-, Forst- und Wasserwirtschaft, Raumordnung, Klima- und Energie, Verkehr und Industrie.
Diese gefährden einerseits Ökosystemleistungen, profitieren andererseits aber von ihnen. Ein erster möglicher Schritt wäre der Abbau umweltschädlicher Subventionen in diesen Bereichen - was auch den öffentlichen Haushalten guttäte.
Die Verantwortung der Erhaltung von Ökosystemleistungen liegt aber nicht nur bei Politik und Unternehmen, sondern auch bei jedem Einzelnen. Über das Konsumverhalten bzw. die Nachfrage nach nachhaltig produzierten Waren kann umweltschonende Produktion gefördert werden. Der Anteil der nachhaltigen an der Gesamtproduktion ist allerdings nach wie vor sehr gering.
Ziel einer zukunftsfähigen Umweltpolitik muss daher die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Umweltdegradation sein. Sie muss einen Rahmen schaffen, in dem es profitabler ist, Biodiversität zu schützen, als sie zu ignorieren oder zu zerstören.
Die unverfälschte Leistungsbilanz
Fazit: Die Ressourcen der Ökosysteme, insbesondere die Artenvielfalt, sind endlich und nach Zerstörung nicht erneuerbar. Eine Menschheit, die sich ungebremst vermehren und ausbreiten sowie unbegrenzt konsumieren möchte, kann Ökosysteme und deren Leistungen nicht erhalten. Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit sind folglich die Voraussetzung dafür, dass Biodiversität eine Zukunft hat. Die Zeit, Biodiversität zu ignorieren und auf konventionellem Denken über Wohlstandsgewinn und -entwicklung zu beharren, ist vorbei!
* Der Autor ist Geschäftsführer Ökosoziales Forum u. Vizepräs. Umweltdachverband