Das stille Sterben in den Ozeanen

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Die Erwärmung der Weltmeere führt zu massiven Störungen des ökologischen Gleichgewichts. Wissenschafter warnen vor CO2-Ausstoß und Überfischung.

Die Dramen des Klimawandels spielen sich in den Tiefen des atlantischen Ozeans ab. Sie haben Mikroorganismen, zu ihren Hauptdarstellern. Pseudo-Calanus beispielsweise ist etwa 1,5 Millimeter lang, sieht unter dem Mikroskop aus wie ein Hundsfloh und ist äußerst wärmeempfindlich. Wenn das Wasser zu warm ist, gibt es Pseudo-Calanus nicht. Genau das passierte in den vergangenen Jahren. Die Atmosphäre erwärmte sich - und die oberen Wasserlagen der Nordsee.

Der Pseudo-Calamus ist nun für Zeitungen nicht besonders interessant - zu klein, zu hässlich. Vielleicht interessiertte sich deshalb die Öffentlichkeit kaum dafür, dass die Fischlarven von Dorsch und Hering den Pseudo-Calanus brauchen wie Säuglinge die Muttermilch. Ohne Pseudo-Calanus keine Heringe und auch keine Dorsche.

So ist der Klimawandel im Ozean. Es gibt keine Unterwasserorkane und keine Tiefseebrände. Er ist unspektakulär. Doch hört man Meeresbiologen zu - dann wird er gewaltig. Ein aktuelles Beispiel: In den ehrwürdigen Hallen der Universität Oxford trafen Mitte Juni 27 Meeres-Biologen zusammen, um Schlussfolgerungen aus den aktuellsten Studien zum Thema zu ziehen. Ergebnis: Die Erderwärmung und der Mensch verursachen ein Massensterben in den Ozeanen.

Was der Leiter der Tagung, der Oxforder Tiefseebiologe Alexander Rogers als "schockierende Ergebnisse“ bezeichnet, lässt sich nüchtern so zusammenfassen: Prozesse, deren Existenz schon seit Jahren bekannt ist, verlaufen wesentlich schneller und haben nachhaltigere Auswirkungen auf das Ökosystem als bisher bekannt.

Zunächst scheint sich zu bestätigen, dass sich die aktuelle Entwicklung der Erd- und Meereserwärmung mit anderen Massensterben der Erdgeschichte in Verbindung bringen lässt, bei denen über die Hälfte der Tierarten ausgelöscht wurden. Bei diesen Katastrophen waren auch immer drei Faktoren beteiligt, die auch heute feststellbar sind. Steigende Übersäuerung der Ozeane, steigende CO2-Konzentration und zunehmende Sauerstoffarmut der Meere. Jelle Bijma vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven nennt dies das "tödliche Trio“.

Wobei die Spezies Mensch laut den Biologen entscheidend zur Stärkung der Schadensfaktoren beiträgt. Vom Menschen erzeugtes CO2 trägt demnach massiv zur Erderwärmung, Übersäuerung und Sauerstoffentzug bei.

Doch nicht nur das: Er erzeugt dazu noch extreme Stressfaktoren durch Überfischung und Verschmutzung mariner Lebensräume. Nach Angaben der FAO sind 80 Prozent der Fischvorräte bereits erschöpft oder an der Grenze zur Überfischung, darunter auch die zehn vom Menschen meistgenutzten Fischarten.

Besonders hart getroffen sind jene Ökosysteme, die den vielfältigsten Lebensraum der Meere bilden - die Korallenriffe. Einerseits beeinträchtigt die durch den CO2-Eintrag verursachte Übersäuerung die Kalkbildung wichtiger Korallenarten massiv. Am großen Barrier-Riff in Australien hat sich das Wachstum der Korallenstöcke seit 1990 um 25 Prozent verlangsamt. Die australische Umweltbehörde rechnet damit, dass bis 2030 nur noch fünf Prozent des Riffs über einen angemessenen Wachstumskreislauf verfügen werden.

Der große Riffschwund

Nach Studien von Ove Hoegh-Guldberg von der Universität Queensland verschwanden in den vergangenen 50 Jahren 40 Prozent der globalen Korallenriffe. "Da geht es nicht nur um die Schönheit des Ökosystems“, sagt Hoegh-Guldberg, "500 Millionen Menschen sichern die Riffe ihren Lebensunterhalt. Riffe liefern ihnen Nahrung und Baumaterial und locken Touristen an.“ Sollten nicht Sofortmaßnahmen gegen die Erwärmung der Weltmeere getroffen werden, sei eine "Eliminierung dieser Ökosysteme wahrscheinlich“. Doch diese Sofortmaßnahmen müssten äußerst drastisch sein, was die Senkung des CO2-Ausstoßes betrifft. Davon ist die Weltpolitik, gemessen an den Rückschritten bei den Klimaverhandlungen, weit entfernt (unten).

In der Zusammenfassung ihrer Ergebnisse warnen die Wissenschafter der Oxforder Konferenz vor den "extrem ernsten Ergebnissen dieser Entwicklung für Menschen auf allen Erdteilen“. Die Natur würde zum Teil tausende Jahre brauchen, um die Schäden wieder zu beheben.

Ein weiterer Punkt der Besorgnis ist die Verschmutzung der Meere durch chemische Abfälle und die Ausbreitung von sogenannten "toten Zonen“ in den Weltmeeren. Bereits 400 solcher toten Zonen zählen die Wissenschafter (siehe Grafik) mehr als doppelt soviele gelten als gefährdet. Dazu tragen gleich mehrere Faktoren bei: die intensive Landwirtschaft, deren Abfälle - Düngemittel und Pestizide - über die Flüsse ins Meer gelangen. Zum anderen aber durch die Erwärmung der Ozeane, die nach manchen (allerdings nur durch Modellrechnungen abgesicherten) Studien zu einer verminderten Durchmischung von warmem Oberflächenwasser mit sauerstoffreichem Tiefseewasser führen könnte.

Dass die Erwärmung des Oberflächenwassers im Atlantik um 0,6 Grad in den vergangenen 50 Jahren massive Veränderungen der Flora und Fauna zur Folge hat, erhellt sich erst nach und nach. Nordsee-Fischarten wie Hering und Kabeljau wandern Richtung Polregion ab, tropische Fischarten und Mikroorganismen rücken nach. Der Meeresspiegel steigt durch die abschmelzenden Polkappen an.

Die 27 Forscher haben ein zehn Punkte umfassendes Forderungspaket verabschiedet, das neben sofortiger CO2-Senkung auch massive Einschnitte in den Fischfang und die Einrichtung einer UNO-Beobachtungs- und Koordinationsstelle zum Schutz der Meere vorsieht. Eine Antwort der UNO haben sie bisher nicht erhalten. Zuletzt noch eine stille Bilanz: Seit 1970 hat die Artenvielfalt der Erde um 30 Prozent abgenommen.

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