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Frieden der Tiefsee vor dem Ende

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Vor etwa 250 Millionen Jahren brach eine Katastrophe über die Lebewesen unserer Erde herein. Fast 96 Prozent der damals im Meer lebenden Arten starben zu Ende des Paläozoikums, des Erdaltertums, innerhalb weniger Jahrmillionen aus. Es war nicht die erste und sollte nicht die letzte jener Katastrophen sein, die über die Lebewesen der Erde mit wahrscheinlich astronomischer Regelmäßigkeit hereinbrachen. Wie Phoenix aus der Asche stieg aber immer wieder eine Artenvielfalt mit neuen, fortschrittlichen Typen empor, die neue Le-bensräume erobern und bisher unbekannte Funktionen ausüben konnten. In der Erdneuzeit (Kä-nozoikum) erreichte die Mannigfaltigkeit der Lebewesen einen neuen Höhepunkt.

Großräumige Klimaänderungen im Zuge der Verschiebung der Kontinente und Schwankungen des Meeresspiegels und möglicherweise gewaltige Meteoreinschläge waren wahrscheinlich für die großen Zusammenbrüche verantwortlich. Das Entstehen besser angepaßter, effizienterer Arten, die ihre Konkurrenten verdrängten oder auch hochspezialisierter Formen, die ihre eigenen Ressourcen zerstörten, sorgten zwischenrden globalen Katastrophen für einen steten, oft unmerklichen Wechsel.

Mit dem Auftauchen des Menschen begann eine nie dagewesene Entwicklung: eine außergewöhnlich konkürrenzstarke Art, die scheinbar aller populationsregu-lierenden Mechanismen entbehrt und der meisten ihrer natürlichen Feinde und Parasiten Herr geworden ist, begann die gesamte Artenvielfalt zu kontrollieren.

Lange schienen die Meere und Ozeane von dieser Entwicklung weitgehend verschont zu bleiben — zu fremd waren dem Landlebewesen Mensch die weiten Wasserflächen, zu unzugänglich die gewaltigen Tiefen. Aber der Mensch hat es fertiggebracht, auch in jene Teüe der Biosphäre vorzustoßen, die seiner körperlichen Ausstattung feindlich sind und überdies den Bereich seiner Einflußnahme weit über den seiner unmittelbaren Präsenz zu erweitern.

Mit Maschinen dringt er in die größten Tiefen vor, seine Abfälle verändern Luft, Boden und Gewässer. Noch ist dies weitgehend ein Problem der Küsten und Binnenmeere. Die Veränderungen der Atmosphäre und die Pläne zur Nutzung von Rohstoffen aus der Tiefsee (Erzschlämme, Manganknollen) lassen den Frieden der ozeanischen Tiefen aber nur mehr für kurze Zeit gesichert erscheinen.

Wir gefährden Lebewesen in ihrem Bestand durch spezifische Verfolgung (Jagd, Fischerei, Bekämpfung), durch Störung und Zerstörung ihrer Biotope und durch globale Veränderung der Umwelt. Die hochtechnisierte Fischerei hat zwar die Zusammensetzung der Fischbestände im Meer stark beeinflußt, die meisten Fische, Kopf füßer und Schaltiere entgehen jedoch der Ausrottung durch den Umstand, daß diese meist kurzlebigen Tiere mit hoher Nachkommenzahl sich auch dann noch ungefährdet fortpflanzen können, wenn ihre Dichte für eine kommerzielle Ausbeutung schon zu gering ist.

Die großen Meeressäugetiere — langlebige Tiere mit später Geschlechtsreife und wenigen Jungen — haben jedoch unter der Jagd, die sich im Meer stets durch eine von keiner waidmännischen Regel gemilderte Brutalität auszeichnete, schwer gelitten. Schon 25 Jahre nachdem Robbenjäger die Stellersche Seekuh 1741 auf den Aleuten entdeckt hatten war dieser friedliche und furchtlose Pflanzenfresser ausgerottet.

Knapp entgingen die größten Tiere der Erde, die Wale, diesem Schicksal. Nur die Unwirtlichkeit der Arktis rettete die langsamen Grönlandwale und Nordkaper, die schon vor 200 Jahren zu selten für die Jagd waren, so daß sich die Walfänger den ergiebigeren Gründen des Pazifiks und der Antarktis zuwandten. Als sich „kultivierte“ Menschen längst mit Empörung vom Hinschlachten der Bisons und dem Protzertum der Großwildjagd in Afrika abgewandt hatten, ging das Gemetzel an den Walen weiter, deren fischartige Gestalt verbirgt, daß es sich um Säugetiere mit hochentwickeltem Gehirn, perfekter Kommunikation und komplexem Sozialverhalten handelt.

Längst sind die Tage des Kräftemessens zwischen Mensch und Leviathan dahin. An die Stelle des ritterlichen Kampfes zwischen Kapitän Ahab und Moby Dick ist das Schlachten der Riesen mit der Sprengkopfharpune von schnellen Booten aus getreten.

Noch schlimmer erging es Robbenarten, die während der Fortpflanzungszeit leicht an Land zu erbeuten sind. Schon im 19. Jahrhundert galten einige Pelzrobben und der Nördliche See-Elefant als ausgerottet. Die Robbenjagd übertrifft die Waljagd noch an Brutalität: wehrlose, bewegungsunfähige Jungtiere mit allen Merkmalen des Kindchenschemas werden an der Seite ihrer Mutter mit Keulen erschlagen und noch zuckend abgehäutet, um das Luxusbedürfnis „kultivierter“ Menschen zu befriedigen. Die Hauptverantwortlichen für die Massaker sind die Träger der Pelze, die weder Unbildung noch finanzielle Notlage als Entschuldigung geltend machen können. Seit 1983 ist die Einfuhr von Robbenfellen in die EG-Staaten verboten.

Neben den Säugern wurden auch einige Schildkröten an den Rand der Ausrottung gebracht, bei denen Fleisch, Panzer und Eier in gleicher Weise geschätzt sind. Unter den Seevögeln wurde der flügellose Riesenalk des Nordatlantik bereits 1844 ausgerottet. Sammlerleidenschaft hat einigen Schnecken einen Platz auf den roten Listen der gefährdeten Arten gesichert.

Die Wirkungen der BiotopzerStörung und der Verschmutzung sind schwerer zu beurteilen, da sie nicht spezifisch gegen bestimmte Opfer gerichtet sind. Wieder sind es Säuger, wie etwa die Mönchsrobbe des Mittelmeeres, die durch Störung ihrer Kinderstuben verschwinden. Die karibische Mönchsrobbe teilt wahrscheinlich schon das Schicksal der Stel-lerschen Seekuh. Die Seehundpö-pulationen der Nord- und besonders der Ostsee schwinden durch Schwermetall- und Pestizidbela-stung, die diese in der Nahrungspyramide hoch oben stehenden Räuber besonders trifft. • Bedrohlich ist auch die schnelle Zunahme von Sauerstoffmangelkatastrophen in küstennahen, abgeschlossenen Meeresgebieten (Ostsee, Kattegat, Chesapeake Bay, Nordadria), die über viele hundert Quadratkilometer ein Massensterben hervorrufen. Nur die weite Verbreitung der meisten Meeresorganismen hat verhindert, daß Arten ausgestorben sind.

Rigorose Schutzmaßnahmen haben im Falle einiger gefährdeter Arten zu unerwarteten Erfolgen geführt. Die als ausgestorben betrachteten Pelzrobben wurden ab 1950 wieder gesichtet, der Nördliche See-Elefant hat sogar ein sensationelles Comeback gefeiert und bevölkert wieder in ständig wachsenden Herden die Küste Kaliforniens. Auch den Seeotter kann man wieder oft in den Riesentangwäldern beobachten. Die Gefahr ist jedoch nicht ausgestanden, die lokalisierten Fortpflanzungsgebiete sind von ölkatastrophen bedroht, und genetische Einheitlichkeit läßt befürchten, daß neu auftretende Krankheiten den Bestand schnell vernichten könnten: Die vielen tausend heute lebenden See-Elefanten stammen wahrscheinlich von nur fünf Männchen der Restkolonie ab.

Auch die Wale scheinen sich dank ihrer weitgehenden Schonung seit 1986 zu erholen. An der Pazifikküste Nordamerikas hat man inzwischen eingesehen, daß sich die Grauwale mit Beobachtungsfahrten für naturliebende Touristen besser nutzen lassen, als wenn man aus ihnen Seife kocht. Die monströsen Pläne zur Nutzung des Krill — der Hauptnahrung vieler B artenwale — könnten sie aber ebenso empfindlich treffen wie die Harpunen der Fangboote.

Der Autor ist Dozent für Meeresökologie an der Wiener Universität.

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