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Wettbewerb im hohen Norden

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Die übliche Form der Weltkarte übermittelt ein völlig falsches, irreführendes Bild der Arktis. Sie erscheint meist als abgelegene Eiswüste am oberen Kaftenrand und ist in Wahrheit das Zentrum unserer Welt und der Mittelpunkt einer höchst bedeutungsvollen Region. Aus dieser Schau begreifen wir erst das große Interesse, das Amerika und die Sowjetunion jetzt jenen Gebieten zuwenden, die man im allgemeinen unter der Bezeichnung „Arktis“ zusammenfaßt. Die sich in letzter Zeit mehrenden Nachrichten über Bahn- und Straßenbauten, Manöverübungen, Kohlen-, öl- und Erzfunde in den polnaher Gebieten von Alaska und Sibirien, werden verständlich, wenn man bei einem Blick auf die Landkarte die überraschend schmale Nahtstelle dieser beiden Kontinente erkennt, die in der Beringstraße aneinandergrenzen. Die Gebiete rund um den Nordpol sind zu einem sehr großen Teil noch nicht genau erforscht: Wir wissen, dank de vielen Polarexpeditionen der letzten zweihundert Jahre, heute zwar genau, daß der Nordpol unserer, Erde nicht auf dem Festland liegt und sich unter dem Eis der Arktis auch kein Polkontinent verbirgt, wie dies in der Antarktis der Fall ist. aber eine genaue Kenntnis der Nordkappe der Erde ist dem Heute noch vorenthalten. Immerhin sind diese Gebiete, wenn auch zum Teil nur theoretisch, bereits seit langem mit Beschlag belegt und unter den Anrainerstaaten aufgeteilt. Diese Aufteilung erfolgte keineswegs, wie zum Beispiel in Afrika, nach dem Prinzip der Eroberung oder Inbesitznahme allein, sondern nach dem Grundsatz der sogenannten „Sektoren“. Die Staaten, die an das Nördliche Eismeer grenzen, haben die dem Verlauf ihrer Grenzen ungefähr entsprechenden Sektoren des graphischen Gradnetzes für sich beansprucht und nach diesem Schema auch das Polargebiet bereits untereinander aufgeteilt. Der weitaus größte Sektor ist der russische, der von der äußersten Spitze Sibiriens an der Beringstraße bis zum Nordpol und von dort, über Franz-Josephs-Länd bis Murmansk reicht. Hält man ihm die amerikanischen und kanadischen Sektoren in ihrer Gesamtheit entgegen, die den Bereich zwischen der Beringstraße, dem Pol und Grönland umfassen, so kann man daraus folgern, daß im Bereich der Arktis die Erde zweigeteilt ist. Die beiden dazwischenliegenden Sektoren Dänemarks (im wesentlichen Grönland und das anschließende Gebiet bis zum Nordpol) und der schmale norwegische Streifen, der vom Nordkap über Spitzbergen zum Pol reicht, sind geringer im Ausmaß, aber als Zonen sich überschneidender Interessen von besonderer Bedeutung.

Wie die kürzlich vorgebrachten russischen Ansprüche auf Spitzbergen beweisen, ist diese „Einteilung“ keineswegs unumstritten. Da es schon vor 200 Jahren Russen auf Svalbard („Spitzbergen“) gegeben hat, sind solche Ansprüche nicht unbegründet und als ein Gegenzug der Sowjetunion um die Stellung in den arktischen Randgebieten zu verstehen, nachdem die USA mit ihren Stützpunkten in den dänischen Sektor eingegriffen haben. Die Installierung der Amerikaner auf der Rieseninsel Grönland scheint ja eine dauernde zu werden. Da es den Deutschen im Verlaufe des Krieges gelungen war, dort unbemerkt Beobachtungsstationen anzulegen, sind die großen Herren der Welt unruhig geworden und keiner will sich Überraschungen aussetzen. Auf Grönland wurden kürzlich Manöveroperationen „Frostbite“ durchgeführt und der Flugzeugträger „Midland“ mußte sogar in die Eisbarrieren der Arktis eindringen. Wirtschaftlich kommt dem fast völlig vergletscherten Grönland und dem anschließender. Inselreich der Arktis, das auch im Sommer von einer fast undurchdringlichen Packeissperre umgeben ist, keine sonderliche Bedeutung zu. Hingegen ist man sowohl diesseits wie auch jenseits der Beringstraße seit Jahren eifrig bemüht, die weiten Landgebiete Nordsibiriens und Alaskas zu erschließen. Die dort vorhandenen Bodenschätze sollen gehoben und die Gebiete einer dichteren Besiedlung zugänglch gemacht werden.

„Alaska“, der Name des nordwestlichsten Teiles des nordamerikanischen Kontinents, der bis zur Beringstraße reicht und auf der einen Seite vom Nördlichen Eismeer, auf der anderen Seite vom Nordpazifik begrenzt wird, bedeutet in der Alaska-Eskimosprache „großes, weites Land“; er ist kennzeichnend für das ganze, riesige und fast menschenleere Gebiet. Politisch ist es ein ' sogenanntes „Territorium“ der USA. Am 18. Oktober 1867 wurde das riesige Gebiet von den bisherigen Besitzern, den Russen, feierlich an die USA übergeben. 12 Jahre hatte man über den Verkauf verhandelt, seit Rußland im Jahre 1855 sein erstes Angebot gemacht hatte. Der schließliche Kaufpreis betrug 7,200.000 Dollar, Präsident Johnson unterzeichnete den Vertrag am 30. März 1867 und am gleichen Tag wurde das Abkommen auch vom amerikanischen Senat ratifiziert.

Im Kongreß bezeichnete ein Redner die Neuerwerbung als „eine scheußliche Masse von Eis und Eisbergen“. Wie seltsam doch bis heute sich diese Einschätzung geänd:rt hat! Die Küsten Alaskas sind durch eine warme, von Japan herüberkommende Meeresströmung temperaturbegünstigt. Selbst im Winter fällt das Thermometer hier fast nie unter null Grad. Im Inneren herrschen verhältnismäßig hohe Sommertemperaturen, aber auch ausgesprochen arktische Winterkälte. Die Gesamteinwohnerzahl des riesigen Territoriums beträgt nur 80 000 Menschen, von denen knapp 40.000 Weiße sind; auf 20 Quadratkilometer entfällt also erst ein Bewohner. Von der riesigen Landfläche von 1,320.000 Quadratkilometer (ein Fünftel der USA, sechzehnmal so groß wie Österreich!) sind nur 147.000 Quadratkilometer Ackerland. Neben den ausgedehnten Wäldern mit ihren riesigen Holzreserven und Wildbeständen, stellt auch die Küsten-und Binnenfischerei einen bedeutenden wirtschaftlichen Faktor dar In den Jahr-n 1891 bis 1902 gelang es, in einem kühnen, jahrelangen Landmarsch eine Renntierherde von etwa 1200 Stück aus Sibirien nach Alaska zu bringen und damit den Eingeborenen eine,bessere Grundlage für ihren Lebensunterhalt zu sichern. Der Bestand an Renntieren ist seither auf nahezu 150.000 gestiegen.

Ein seltsames Land! Über 5000 Meter hoch ragen seine Berge auf, seine nördlichste Stadt, Fairbanks, liegt am Polarkreis. Reißende Flüsse, weite Ödländer und wirkliches Urwaldjrebiet erfüllen sein Inneres. Zuerst durch die Goldfunde, dann durch den Bau der Alaskastraße und einer Ölleitung plötzlich bedeutsam geworden, hat es alle Zwischenphasen der technischen Entwicklung übersprungen und ist vom Hundeschlitten gleich auf das Flugzeug als übliches Verkehrsmittel übergegangen.

In den letzten Jahren hat man sich mit besonderem Eifer um die Erschließung der Bodenschätze in den polarnahen Gebieten Nordamerikas gekümmert. Im Räume des Großen Bärensees, auf kanadischem Boden, sind bedeutende Ölquellen erschlossen worden, von denen eine eigene Ölleitung bis an die Küste gebaut wurde, die sich mit der großen amerikanischen Heerstraße bei Whitehorse kreuzt. In kürzester Zeit wurde während des Krieges in Norman Wells, wo die Hauptschächte Hegen, die tägliche Produktion von 125 auf 32.000 Hektoliter Petroleum gesteigert! Unter unerhörten Schwierigkeiten wurde von Fort Norman bis zur Pazifikküste in kürzester Zeit die 950-Kilometer-Leitung fertiggestellt, die über die Gebirgswasserscheide führt und durch den Umstand ermöglicht wurde, daß das Rohöl von Norman Wells bis — 57 Grad Celsius flüssig bleibt. Unier — 60 Grad fällt aber auch hier das Thermometer nur selten! Auch auf alaskischem Boden findet sich Erdöl. Die direkte Verbindung zwischen Alaska und dem Mutterland kann nur auf dem Seewege hergestellt werden. Bei den guten Beziehungen zwischen den USA und dem britischen Dominion Kanada bereitete jedoch auch der ungehinderte Durchmarsch von Truppen und Material durch kanadisches Gebiet keine Schwierigkeiten.

Während de zweiten Weltkrieges wurde sogar im engen Einvernehmen eine große Militärtransportstraße nach Alaska gebaut, die von dem Hafen Van-couver auf kanadischem Gebiet bis nach Anchorage in Alaska führt. Zwischen Juni und 20 November 1942, also in einer einzigen Arbeitssaison, wurde diese 3000 Kilometer lange Straße durch Sumpf, Tundra und Urwald von fünf Regimentern Militär und 54 Ballgesellschaften gebaut. Ihre Bedeutung erhellt vielleicht am besten aus dem in Whitehorse stehenden Wegweiser, der anzeigt, daß es von dort 5400 Kilometer nach New York und nur 6000 Kilometer nach Tokio sind! Das am 13. Februar 1947 abgeschlossene Militärabkommen zwischen Kanada und den USA hat die enge Bindung zwischen den beiden Partnern des nordamerikanischen Kontinents noch inniger gestaltet. Der Abschluß dieser Konvention, die auch den Austausch von Fachleuten und Offizieren vorsieht, und die Grenzen für alle militärischen Unternehmungen und Vorhaben praktisch beseitigt, hat zu den verschiedensten Vermutungen Anlaß gegeben; mit aller Entschiedenheit hat der kanadische Ministerpräsident festgestellt, die Unternehmungen, deren Durchführung dieses Abkommen sichern will, dienen in erster Linie fri'edsamen Zielen, der Bewohnbarkeit dieser Gebiete.

Auch auf der anderen Seite des Eismeeres, in Sibirien, ist man ja ununterbrochen am Werke, durch weiteres Vorverlegen der nördlichen Kulturgrenzen für verschiedene Nutzpflanzen, den Wohn- und Nutzraum über den Polarkreis hinauszuschieben. Hier hat vor allem die moderne Pflanzenzüch-tung wertvolle Hilfe geleistet. Für die heutigen wirtschaftlichen und strategischen Bestrebungen in diesem Räume sind aber das Erdöl und vor allem die Vorkommen radioaktiver Mineralien von größerer Wichtigkeit, als selbst die Goldfunde. Man kann annehmen, daß neben den ergiebigen Lagern der „Atom“-Rohstoffe am Großen Bärensee, die mit allen Mitteln neuzeitlicher Technik abgebaut werden, auch andere Fundstätten bereits bekannt sind.

Für militärische Operationen bildet die Arktis wenig Anreiz. Die USA-Truppen und kanadischen Verbände, die in den Manövern des „Unternehmens Frigid“ in Alaska und der Operation „Moschusochse“ im nördlichen Kanada eingesetzt waren, hatten wenig gute Ergebnisse zu verzeichnen. Bei 40 Grad unter Null versagten nicht nur die der Ölung bedürfenden Waffen und die Motoren der Fahrzeuge, sondern auch mitunter die Menschen! Es ist, als ob die Natur hier vor ihren gefährlichen Schätzen Warnzeichen aufgestellt hätte. Werden sie die- Menschen beachten?

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