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Weltmacht Erdöl

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Aus der lange schwelenden Glut ist eine jähe Stichflamme hochgeschossen. Das iranische Parlament hat nach den letzten dramatischen Geschehnissen in Teheran die Verstaatlichung der Anglo-Iranian Oil Company beschlossen, deren Konzessionsgebiet die gesamten südpersischen Erdölvorkommen umfaßt. Im nahen Irak zittert der Boden unter einer Bewegung, welche die sofortige Nationalisierung der Erdölgewinnung von Kirkuk und Mossul fordert. Fügt man hinzu, daß zu gleicher Zeit der Generalstabschef von Pakistan, der stärksten mohammedani-

sehen Macht, die den Schlüssel zu Indien in Händen hält, wegen einer weitzielenden prokommunistischen Verschwörung verhaftet wurde, so werden Zusammenhänge deutlich. Der Schatten Moskaus fällt auf den Nahen Osten — aus dem vorderasiatischen ölkonzern ausgeschlossen, präsentiert es auf dem Wege über Teheran und Bagdad seine Rechnung.

Das Objekt, um das hier seit Jahren mit Minen und Gegenminen gekämpft wird, ist lohnend und verlockend genug. Dem wirksamen Schutze ihrer jetzigen Nutznießer entrückt, der formalen Hoheit von Schattenstaaten unterstellt, ruht im vorderasiatischen Wüstenboden einer der strategisch und wirtschaftlich bedeutungsvollsten Schätze der Welt: vom Kaukasus bis zum arabischen Meer zieht sich eine Kette von Olfeldern hin, von denen man annimmt, daß sie ein einziges unterirdisches System bilden. Die Erdölvorräte dieses Raumes weiden auf fünf Milliarden Tonnen oder 42 Prozent der Weltreserven geschätzt. Diese an sich schon imposante Ziffer erhält durch zwei Umstände eine noch wesentlich erhöhte Bedeutung: durch das sprunghafte Ansteigen des Weltölbedarfs und durch die drohende Erschöpfung der nordamerikanischen Erdölvorkommen. Schon im ersten Weltkrieg, der die Motorisierung ungeheuer vorwärtstrieb, war nach einem Worte Clemenceaus ein Tropfen Ol so wertvoll wie ein Tropfen Blut. Und Präsident Wilson erklärte wenig später, die Weltgeltung einer Nation werde in Zukunft von ihren Erdölschätzen bestimmt werden, überall stellten sich Industrie und Verkehr auf den Verbrauch von Erdöl um.

War die „Steinkohlenzeit“ eine Epoche britischen Wirtschaftsglanzes, so war die .Erdölära“ eine Manifestation der ungeheuren Bodenschätze der USA. Sprunghaft wie der Verbrauch stieg die Gewinnung. Unerschöpflich schienen damals die Erdölhorizonte von Texas. Aber Zehntausende von Flugzeug- und Automoto-ren, die Umstellung der Weltkriegs- und Handelsflotten auf Dieselantrieb ziehen täglich fast eine Million Tonnen Rohöl aus dem Boden der Vereinigten Staaten (1948: 320 Millionen, 1949: 292 Millionen Tonnen). Der nordamerikanische öl-bedarf übersteigt heute den gesamten Weltkonsum des Jahres 1938 und beträgt das 14fache des britischen. Diesem Raubbau sind die ölgebiete der USA nicht mehr gewachsen. Nur ein Fünftel der neuen Bohrungen wird „fündig“, obzwar man die Bohrtürme bereits 12 Kilometer weit in den Golf von Mexiko vortreibt. In wenigen Jahrzehnten werden die Ölvorkommen der Vereinigten Staaten erschöpft sein.

So wandte sich die Aufmerksamkeit dieses größten Weltölkonsumenten dem Nahen Osten zu, in dem sich das ganz auf ölimporte angewiesene England inzwischen wichtige Stellungen, zunächst die Ausbeute der mesopotamischen Ölquellen, gesichert hatte. Obwohl sie mit einer Ausbeute von etwa acht Millionen Tonnen von anderen Gebieten Vorderasiens weit überflügelt sind, floß durch die erste große asiatische Pipeline, genug Erdöl von Kirkuk nach Haifa, dem Zentrum britischer Wirtschaftsmacht im östlichen Mittelmeer, um dort' die modernsten Erdölraffinerien der Welt zu speisen. Seit den Konflikten um Israel ist der öl-zufluß versiegt, da der Irak lieber auf die hohen Benützungstaxen für die Pipeline — die in seinem Budget an erster Stelle standen — verzichtet, als daß es dem feindlichen Israel billigen Treibstoff zukommen ließe. England versuchte, Rohöl aus Südpersien nach Haifa zu dirigieren, aber Ägypten hat den Suezkanal für die Durchfahrt von öltankern nach Israel gesperrt — wohl auch um Großbritannien seinen Wünschen nach Aufsaugung des Sudan gefügiger zu machen. England muß jetzt für 50 Millionen Dollar jährlich Benzin aus dem Dollarbereich einführen.

Immerhin war für England der Ausfall der irakischen Erdölzufuhren ins Mittelmeer weniger beängstigend, solange die südpersischen Bohrtürme der Anglo-Iranian nicht bedroht waren, deren Ausbeute sich auf 32 Millionen Tonnen (1949) beläuft.

Die Anglo-Iranian Company verfügt über 13 Raftinerien, deren bedeutendste in Abadan mit 60.000 Arbeitern der größte Industriebetrieb des Mittleren Ostens ist. Sie besitzt eine Flotte von 140 Tankern mit 2,5 Millionen Bruttoregistertonnen. Ihre Abgaben finanzieren den iranischen „Sieben-Jahres-Plan“, und erst vor kurzem hat sie sich bereit erklärt, unter Nachzahlung, von 45 Millionen Pfund, ihre Taxen von 4 auf 6 englische Schillinge je Tonne zu erhöhen. Das Technikum, das die Anglo-Iranian für einheimische Studenten unterhält, zählt gegenwärtig 1200 Frequentanten. Der Verlust der Anglo-Iranian, deren Aktienmehrheit einst Winston Churchill für den britischen Staat erworben hatte, würde einen Ausfall von mehreren hundert Millionen Pfund in de* jährlichen Zahlungsbilanz des Commonwealth bedeuten.

Die Brücke von hier zur Einflußsphäre der USA bildet geographisch und wirtschaftlich das Sultanat El Kuwait, an dessen Rohölgewinnung von jährlich 17 Millionen Tonnen zur Hälfte die Anglo-Iranian, zur Hälfte amerikanische Firmen teilhaben. Der eigentliche Bereich der letzteren, in dem amerikanische Technik und amerikanischer Unternehmungsgeist Außerordentliches gewirkt haben, ist das Königreich Saudi-Arabien, für dessen wirtschaftliche und politische Existenz A r a m c o (Arabian-American Oil Company) noch weit mehr bedeutet als die Anglo - Iranian für Persien. Ihre Konzessionen umfassen beiläufig 500.000 Quadratkilometer. Obzwar dieses Gebiet erst zur Hälfte durchforscht ist, beläuft sich die Ausbeute bereits auf 27 Millionen Tonnen im Jahr. Die Aramco zahlt Saudi-Arabien rund 100.000 Dollar täglich an Abgaben. Diese Zahlungen erlauben dem früheren armen Nomadenkönigreich den Bau von Bewässerungsanlagen, Elektrizitätswerken und Straßen. Die Gesamtinvestitionen der Aramco übersteigen bereits 300 Millionen Dollar. In ihren Betrieben wird der Freitag, der mohammedanische Ruhetag, auch von den amerikanischen Angestellten gehalten. Sie gewährt den islamitischen Mitarbeitern für eine Pilgerfahrt nach Mekka einen bezahlten Urlaub von sechs Wochen, errichtet für sie Gebetstätten und Wohnungen, sorgt für unentgeltliche ärztliche Behandlung wie für Fortbildungsschulen. So wird das Land sie auch nach Ablauf der Konzession (im Jahre 2005) nicht entbehren wollen. Die größte Leistung der Aramco war der Bau einer 1700 Kilometer langen Rohrleitung von Abu Hadrya am Persischen Golf nach Sidon am Mittelmeer. Das Material für dieses gigantische Unternehmen wurde durch eine eigene Flotte von 15 Frachtern fast 10.000 Kilometer weit zum Persischen Golf gebracht. Dort mußte, in Ermangelung eines Hafens, zweieinhalb englische Meilen von der seichten Küste entfernt, eine künstliche Insel errichtet werden — 150 Kilometer vom nächsten festen Gebäude weit. Von dort schwang dann eine Seilbahn einen Strom von Ladungen an das Festland — das Material für die Rohrleitung selbst, aber auch Kantinen und Küchenwagen, Wäschereien, Schlafwagen und Krankenstationen, Friseurwagen, Kühlautos und Lebensbedarf im weitesten Sinn für 2000 amerikanische und 8000 einheimische Arbeiter. Schließlich Baustoff für die mit Schulen, Moscheen und allem sanitären Bedarf ausgestatteten fünf Pumpstationen — kleine Städte — Oasen in der sich ringsum weithin dehnenden Wüste.

Die Sowjetunion nimmt wohl in der Kaspischen Senke an dem Erdölreichtum Vorderasiens teil. Ihr Jahresbedarf von 60 Millionen Tonnen Rohöl wird aber nur etwa zur Hälfte aus der eigenen Produktion gedeckt, die zudem in ihrem wesentlichsten Teil (bei Baku) so exponiert gelegen ist, daß zum Beispiel eine Atombombe die russische Erdölgewinnung — einen kriegsentscheidenden Faktor — lahmlegen könnte. Die Sowjetunion hat daher zur Zeit der Besetzung Nordpersiens mit der iranischen Regierung ein Abkommen geschlossen, das die Ausbeutung der ölgebiete rund um das Kaspische .Meer einer gemischten Gesellschaft zusprach, an der die Räteunion mit 51, Persien mit 49 Prozent beteiligt sein sollte. Das iranische Parlament hat dieses Abkommen nach Abzug der Besatzungskräfte nicht ratifiziert und seither ist Persien und mit ihm Vorderasien Gegenstand und Schauplatz schwerwiegender, wenn auch oft unsichtbarer Machtkämpfe. Nun stößt ihr Ausbruch in eine Weltlage, die mit außerordentlichen Spannungen geladen ist.

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