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Pufferstaat oder Bastion?

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Wie in Europa Flandern, die oberitalienische und die ungarische Tiefebene klassischer Boden kriegerischer Auseinandersetzungen sind,. so ist Persien infolge seiner geographischen Lage einer der ständigen Kriegsschauplätze Kleinasiens. Die Verbindung Irans mit Europa war im Zuge der Jahrhunderte stets so stark, daß jede Veränderung auch auf den alten Kontinent ausstrahlte. Flächenmäßig könnte das Land heute noch eine Großmacht sein — es umfaßt das dreieinhalbfache Areal des Deutschlands vom Jahre 1937. Aber seine Stellung als beherrschender Staat im vorderasiatischen Raum ist seit langem verloren gegangen. Das Reich Darius des Großen, das vom Jasprtes bis tief nach Europa hereinreichte, das Land der Sassaniden, das bis Jerusalem und Ägypter, vorgetragen wurde, der Staat des Kronräubers Nadir Schah, der bis Delhi reichte, sie sind verschwunden. Zurückgeblieben ist ein bedeutender Pufferstaat im kleinasiatischen Cordon sanitaire zwischen dem englisch-amerikanischen und russischen Interessengebiet. Zurückgeblieben sind Regierungen und Parteien, die vom Kräftespiel der Großmächte abhängig sind und die wahre Freiheit der Gesinnung niemals gekannt haben.

Das Ende des zweiten Weltkrieges hat scharfe Demarkationslinien zwischen Ost

und West gezogen. Gerade für Staaten, deren weiterbestehende Unabhängigkeit dem Zwecke diente, zu nahe Berührungspunkte zwischen den Großmächten zu verhindern, ist durch militärische Notwendigkeit schwere Gefahr erwachsen. Ja es schaut so aus, als ob das Prinzip des Pufferstaates in das der vorgeschobenen Bastion der einen oder anderen Kräftegruppe verwandelt werden soll, Persien ist dafür ein bezeichnendes Beispiel. Bis 1917 hatte Rußland drei Fünftel des persischen Außenhandels bestritten und der Anschluß an das transkaukasische Bahnnetz brachte die eigentlichen günstigen Verbindungslinien in Nordpersien. Für England ist der Iran ein wichtiges Verbindungsglied zwischen dem Mutterlande und Indien. Dazu kommen noch die ausgedehnten ölfelder und die strategisch wichtige Lage der Barayn-Inseln, die den Persischen Golf beherrschen. Vielleicht war es aus dem Bewußtsein heraus, diese heikle Frage unangetastet zu lassen, daß noch während der Kampfhandlungen die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien und die Sowjetunion am 1. Dezember 1943 sich feierlich verpflichteten, sobald es die strategischen Umstände erlaubten, Persien ,zu räumen. Der Krieg ist seither zu Ende gegangen. Aber die machtpolitischen Interessen iri diesem Teil der Erde sind so groß, daß die Räumung immer wieder verschoben wurde. Die Einflußnahme der Großmächte hatte natürlich eine innerpolitische Krise zur Folge. Während die von englischen und amerikanischen Truppen besetzt gewesenen Teile wieder der persischen Souveränität unterstellt wurden, hört die Macht der Regierung praktisch 35 Kilometer nördlich

von Teheran auf. Rußland unterstützt die Unabhängigkeitsbestrebungen des Asser-beidjan und verwaltet die von ihm besetzten Provinzen von Täbris aus. Es schaut nicht so aus, als ob es gewillt sei, die errungene Position wieder aufzugeben. Teheran ist weiterhin der Sitz der Regierung und des Parlaments. Premierminister Hakami wurde gestürzt, da er kein Kompromiß schließen konnte. Sein“ Nachfolger versuchte in Moskau eine Lösung zu erzielen — und kam unverrichteter Dinge zurück. Noch ist es ein Nervenkrieg, noch beharrt die persische Regierung auf ihrem Standpunkt. Aber die Demonstrationen der Tudehs um das persische Parlament zeig| deutlich, daß der Schwerpunkt der Kris aus dem Norden nach der Hauptstadt vcs.* legt wurde.

Sicher ist Persien kein sehr fortschrittlich regiertes Land und eine Kritik an den innerpolitischen Zuständen mag berechtigt sein. Daher auch die Besetzung, die einer schwachen Regierung die Auseinandersetzung mit den sehr zahlreich auftretenden Agenten der Achse abnahm. Heute aber ist dieser Staat ein Mitglied der UNO. Ein freier, unbesiegter Staat mit Sitz und Stimme im Rat der Völker. Aus dem Streitfall wurde eine Krise und aus der Krise entwickelte sich ein Prüfstein für die Vereinten Nationen. Man muß die Tagung des Sicherheitsrates am 25. März abwarten, um klar zu sehen. Eines aber steht fest. Der Gedanke des Sicherheitsgürtels aus kleinen und mittleren Staaten zwischen Osten und Westen war gut. Diese Staaten sind aber jetzt in der Gefahr, einem starken Druck entweder nachgeben zu müssen oder zerrieben zu werden.

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