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Grundpfeiler des Empires

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Großbritannien hat im Verlauf seiner mehrhundertjährigen Machtausbreitung im Osten — also östlich von Suez bis tief in den pazifischen Raum hinein — allmählich eine Fülle von Machtpositionen aufgebaut, die zu einem Großteil heute noch durch ihre wirtschaftliche und politisch - strategische Bedeutung für Großbritannien und auch das ganze britische Empire wichtig sind und seine östlichen Grundpfeiler bilden.

Die jahrhundertelange Entwicklung dieser britischen Machtausbreitung brachte eine interessante Wandlung ihrer Erscheinungsformen mit sich. Zuerst waren es — wie bei allen anderen europäischen Seefahrernationen — einzelne britische Kaufleute, die auf ihren Reisen in ferne Gebiete, die sie auf eigenes Risiko, später mehr und mehr im Auftrag verschiedener Wirtschaftsorganisationen im Mutterland, unternahmen, geschäftliche Verbindungen mit den Eingeborenen anknüpften und allmählich diese Geschäftspartner und dann deren Länder in ein immer festeres, zunächst wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis brachten und dieses dann im Laufe der Zeit in ein Untertänigkeitsverhältnis überführen konnten. Verhältnismäßig spät trat dann der britische Staat selbst in den Vordergrund und wandelte diese sozusagen noch privaten Bindungen in die staatsrechtliche Form einer Kolonie um oder er gründete selbst neue Kolonien. Langsam hat sich auch dieses System kolonialer Betätigung überlebt, und in der neuesten Zeit sind es wieder einzelne große private Wirt- schaftskörper, die in offiziell mehr oder weniger politisch unabhängigen Ländern so wichtige wirtschaftliche Betätigungen fanden, daß für deren ständigen Schutz das britische Mutterland einzuspringen gewillt ist und dafür auch das betreffende Gastland in ein mehr oder weniger großes Abhängigkeitsverhältnis bringen muß.

Wenn wir die wichtigeren dieser britischen Machtpositionen im Osten, die sich im Wandel der Zeiten oft zu solchen des ganzen Empires oder auch zu vollwertigen Mitgliedern desselben mit Dominion- status entwickelt haben, betrachten, ergibt sich folgendes Bild:

Der Kernpunkt aller britischen Machtentfaltung, der von allen anderen Nationen unerreichte Höhepunkt kolonisatorischer Betätigung des Abendlandes im Osten, war und blieb bis heute das große Indien, jahrhundertelang Endziel abendländischer Femsehnsucht. Seit Beginn des 17. Jahrhunderts bauten sich dort die Briten im Verlauf dreier Jahrhunderte allmählich ein ungeheures koloniales Bollwerk auf, das seine Krönung in der Errichtung des Kaisertums Indien unter dem Zepter des britischen Herrscherhauses im Jahre 1876 erfuhr. Mit seinen über viereinhalb Millionen Quadratkilometern und weit über 400 Millionen Einwohnern — inklusive Burma, das in der Zeit von 1886 bis 1937 administrativ Indien angeschlossen war — bildete es vor dem zweiten Weltkrieg das mächtigste Kolonialreich dieser Erde.

Aber schon vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges begann die Wende. Im Jahre 1937 war London gezwungen, Burma administrativ wieder von Indien zu trennen und dem Lande eine weitgehende Selbstverwaltung zu geben. Zehn Jaįre später erkannte dann Großbritannien im Vertrag von London 1947 die völlige Unabhängigkeit Burmas an, das damit auch gänzlich aus dem britischen Commonwealth ausschied. Im gleichen Jahr erhielt Indien unter gleichzeitiger Teilung in zwei voneinander unabhängige Staaten, Indien und P a- k i s t a n, den langersehnten Dominionstatus. Die vorherige britische Kronkolonie C ė y 1 o n wurde wenige Monate später ebenfalls zum Dominion erhoben.

Wenn auch damit die direkte Herrschaft Londons in diesen Ländern ein Ende genommen hat, die jahrhundertelange politische Bindung und wirtschaft- liche Verflechtung mit Großbritannien wird sich vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet trotz aller gegenteiligen Bestrebungen noch lange Zeit hindurch aus- wirken; die Wirtschaft eines ganzen Subkontinents läßt sich nicht durch eine einfache legislative Weichenumstellung von einem Tag zum anderen neu orientieren! Politisch liegt es am taktisch richtigen Verhalten Londons, ob und wie lange es diese drei „farbige Dominions im Rahmen des Empires wird halten können oder ob diese den Weg Burmas gehen werden. Hier ist es besonders die Republik India der offizielle Name kennzeichnet schon das Programm! —, die mit ihrer Stellungnahme im Koreakonflikt und der Nichtunterzeichnung des japani-, sehen Friedensvertrages auf Selbständigkeitstendenzen hindeutet, die sich eines Tages vielleicht nicht mehr im Rahmen des Empires verwirklichen lassen werden. Doch sind diese drei Dominions durch ihre wichtigen Rohstoffe — Indien auch durch den riesigen Absatzmarkt — für das ganze Empire so wichtig, daß man wohl alles aufbieten wird, um sie dem Empire zu erhalten!

Während die Briten am früheren Seeweg nach Indien um die Südspitze Afrikas herum ihre dortigen Stützpunkte allmählich unter Verdrängung und Besiegung des holländischen Elements zu einer großen Flächenkolonie, der nadi- herigen Südafrikanis cHi e n Union, ausbauen konnten, haben sie hingegen an der neuen Verbindungslinie über Suez nur eine Reihe allerdings stärkster Stützpunkte aufgebaut: Gibraltar — Malta — Zypern — Aden. Der gleiche Versuch in Ägypten mißlang allerdings vollständig! die Nachwehen davon spüren die Briten heute noch bei der Verteidigung der empfindlichsten Strecke ihrer Seeverbindung nach dem Osten, des eigentlichen Suezkanals, der bekanntlich auf ägyptischem Hoheitsgebiet liegt. Die Briten haben es leider versäumt, sich — analog den USA beim Panamakanal — die politische Oberhoheit über die eigentliche Kanalzone zu sichern, als es dazu vielleicht noch Zeit gewesen wäre!

Dagegen haben sich mit den großen Ölfunden im asiatischen Orient auf der uralten Landbrücke nach Indien neuerlich Zentren eminentesten britischen Interesses gebildet, die zwar zum Großteil in offiziell unabhängigen Staaten liegen, sie aber durch den Goldregen der großen Ölgesellschaften de facto in ein Abhängigkeitsverhältnis bringen. Sie bergen aber bei der Mentalität der dortigen Bevölkerung — siehe Persien! — einen großen Unsicherheitsfaktor für die zukünftigen britischen Pläne.

Stützen im Pazifik

Ist auch mit Indien das größte Bollwerk direkter britischer Herrschaft im Osten gefallen und sind die dort entstandenen „farbigen Dominions in der Vertretung der Interessen des Empires mit den weißen Dominions nicht gleichzuwerten, so bleiben im Osten noch genügend weitere britische Interessen politischer oder wirtschaftlicher Art zu wahren, die meist auch den Interessenkreis des ganzen Empires zumindest tangieren. Dazu liegen im Pazifik die beiden als Rohstofflieferanten — Nahrungsmittel und Schafwolle — besondere für das britische Mutterland wichtigen weißen Dominions Australien und Neuseeland, die Ihrerseits zusätzliche gleichgerichtete Interessen im Pazifik vertreten. Die Währung auch dieser Interessen muß sich - das Empire angelegen sein lassen, wenn es nicht will, daß diese beiden Dominions, mehr als für die Empireinteressen zuträglich, nach Washington nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch gravitieren — und dies kann bei aller Freundschaft mit den USA nicht im Sinne Londons gelegen sein. Sollte einmal ein Schutz dieser beiden Dominions gegen irgendeine Aggression im Pazifik notwendig werden, wird daher Großbritannien ihr erster Verteidiger sein müssen, und nicht zuletzt diesem Zweck dienen die heutigen strategischen Positionen Großbritanniens im Fernen Osten.

Im Norden liegt, noch aus der Zeit eines anders gearteten Machtkonzepts stammend, die seinerzeit auch als wirtschaftliches Einfallstor nach Südchina gedachte britische Kronkolonie Hongk o n g. Der südchinesisdien Millionenstadt Kanton vorgelagert, ist šie heute, knapp vor dem Eisernen Vorhang, ein weit vorgeschobener Außenposten für Großbritannien geworden, der in einem Konfliktsfall kaum lange zu halten sein dürfte und daher keiner größeren strategischen Investitionen wert erachtet werden kann) die rasche Eroberung durch die Japaner im zweiten Weltkrieg hat es ja auch bewiesen. Bei einer Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen zu China wird Hongkong auch weiterhin eine sehr gewichtige Rolle für den Empirehandel im Fernen Osten spielen. Der frühere Vorposten in Nordchina, Weihe i w e i, ist ja inzwischen schon seit 1930 aufgegeben worden.

Als Zentrum der britischen Verteidigungsstellung im Femen Osten bleibt aber nach wie vor trotz des Debakels von 1942 das stark ausgebaute Singapore auf der Südspitze der Halbinsel Malakka bestehen. In seinem Vorfeld ziehen sich auf der genannten Halbinsel die unter britischer Oberhoheit stehenden malaiischen Eingeborenenstaaten hin, die nach dem letzten Weltkrieg administrativ ip der Malaiischen Föderation zusammengefaßt worden sind. Mit ihrem Zinn-, Gummi- und Kopra- reichtum sind sie eines der wirtschaftlich wertvollsten Gebiete des ganzen Empires. Von Singapore aus werden auch der britische Besitz in Nordbomeo und verschiedene kleinere Inseln in Oberaufsicht verwaltet, bisher ist aber nur Nordborneo mit seiner Erdölproduktion von größerer wirtschaftlicher Bedeutung.

Im eigentlichen pazifischen Raum befindet sich eine Unzahl von Inseln und Inselgruppen in britischem Besitz) weitere stehen unter australischer oder neuseeländischer Oberhoheit oder wurden von ihnen als ehemaliges Mandatsgebiet des Völkerbundes in Treuhandverwaltung für die UN genommen. Alle diese vielen Inseln sind bis auf die ehemalige deutsche Naüruinsel mit ihren mächtigen Phosphatlagern von keiner überdurchschnittlich wirtschaftlichen Bedeutung) das- will aber nicht sagen, daß dies auch in Zukunft so bleiben wird, ist doch die genaue Bodenerforschung der pazifischen Inselwelt noch immer nicht über die ersten Anfänge hinausgekommen) in ihrer Gesamtheit stellen sie übrigens heute schon mit ihren auf manchen Eilanden sehr hoch entwickelten Plantagenwirtschaften und einigen intensiven Eingeborenenkulturen — Kopra — einen nicht zu vernachlässigenden Faktor in der Empirewirtschaft dar. Diese vielen Inseln, die von Großbritannien im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte zunächst wohl mit dem primären Zweck in Besitz genommen wurden, um sie keiner anderen nachfolgenden Großmacht in die Hände fallen zu lassen, sind auch militärstrategisch im einzelnen kaum von überragender Wichtigkeit, aber alle zusammen bilden mit ihren unzähligen Schlupfwinkeln und versteckten Versorgungspunkten für Hotte und Luftwaffe ein ungeheuer ausgedehntes militärisches Vorfeld vor den beiden pazifischen Dominions, durch das sich ein angreifender Gegner zur Sicherung seiner Verbindungslinie in zeitraubenden militärischen Aktionen erst hindui ihkämpfen muß. Die wichtigsten stratec lischen Stützpunkte scheinen sich hier in den Bergen Ostneuguineas zu befinden) dort war es auch, wo die militärische Angriffswelle Japans im zweiten Weltkrieg zum Stehen gebracht wurde, bevor sie noch das nordaustralische Festland erreichen konnte. Neuguinea ist ja auch das Land, das durch seinen Reichtum an Bodenschätzen vielfacher Art einer wirtschaftlichen Erschließung die beste Zukunftsperspektive bietet.

So sehen wir, daß Großbritannien und mit ihm das Empire im Osten trotz mancher erlittener Einbußen und notwendig gewordener Abbuchungen noch immer gewaltige Gebiete von größter wirtschaftlicher Bedeutung für die ganze Welt besitzt, die es London dafürstehen lassen, für seinen Osten mit aller Macht zu sorgen. Die friedliche Abgrenzung mit den pazifischen Interessen der USA ist durchgeführt, der deutsche Spätkommer in diesem Raum ausradiert, Frankreich dort saturiert und die japanische Expansionswelle für geraume Zeit zurückgeschlagen. Ob das gewaltige China nach einer allfälligen Konsolidierung seiner inneren Verhältnisse einmal das Erbe Japans als Aggressor in diesem Raum antreten wird, bleibt abzuwarten. Eine Bedrohung von seiten der Sowjetunion ist in absehbarer Zeit nicht zu befürchten, ihre ideologische Aggressivkraft auf die Bewohner der pazifischen Empiregebiete sehr gering. Das könnte sich in der Zukunft allerdings mit dem Tag ändern, an dem ihr die derzeit unabhängigen Staaten, wie Indonesien oder die Philippinen, unterliegen sollten. So weit ist es aber nicht, und das Empire wird die Zeit zu nützen verstehen.

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