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Europa oder Asien

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Die Vorstellung von der europäischen Vorherrschaft auf der Erde ist im europäischen Denken, besonders dem der großen westeuropäischen Kolonialmächte, auch heute nach dem zweiten Weltkrieg teilweise noch so tief eingewurzelt, daß man die außereuropäischen Vqrgänge immer noch weitgehend unter dem kolonialpolitischen Gesichtswinkel des vergangenen Jahrhunderts betrachtet. Seit dem ersten Weltkrieg aber hat sich als Folge der Politik der westlichen Alliierten, die außereuropäischen Mächte und kolonialen Kräfte in den innereuropäischen Konflikt als Bündnispartner auf ihrer Seite miteinzubeziehen, der rnilitärische und machtpolitische Schwerpunkt der Erde aus dem europäischen in den amerikanischen und asiatischen Raum ver-

lagert. Europa ist an die dritte Stelle zurückgerückt, ist abhängig geworden von den USA. Die Waage der amerikanischen Weltpolitik aber pendelt zwischen Europa und Ostasien, und Europa bangt vor der Gefahr, daß der Pendel der machtpolitischen Waage der USA nach Ostasien ausschlagen könne.

Die Handelsbeziehungen der USA zu Ostasien sind alt. Die erste aktive politische Einflußnahme der Amerikaner auf Ostasien aber jährte sich am 14. Juli 1953 zum hundertsten Male; es ist die gewaltsame Durchbrechung der japanischen Isolation durch die Expedition Admiral Perrys im Jahre 1853.

1852 wurde Commodore Matthew Cal-braith Perry vom Präsidenten Fillmore mit der Sendung nach Japan betraut, um diplo-

matisclie und Handelsbeziehungen zu eröffnen. Japan hatte sich seit langer Zeit hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen und lediglich mit den Holländern Beziehungen aufrechterhalten unter der Bedingung, daß diese auf jede christliche Missionierung verzichteten.

Die USA hatten schon früher verschiedene Versuche gemacht, mit Japan in Fühlung zu kommen, so in den Jahren 1832, 1844 und 1846, die aber alle gescheitert waren. Die Beziehungen des jungen nordamerikanischen Gemeinwesens zu Ostasien sind aber noch wesentlich älter als die Versuche, mit Japan ins Gespräch zu kommen. Sie sind so alt wie die USA, denn bereits im Jahre 1784, ein Jahr nach erfolgreicher Beendigung des Unabhängigkeitskrieges, segelte das erste amerikanische Schiff, die Empress of China, von New York nach Kanton. Den entscheidenden Antrieb zu diesen frühen Beziehungen gaben Handelsinteressen privater Unternehmer. Die private Initiative von Kaufleuten und Reedern gab nicht bloß den Anstoß zum Ostasienhandel, sie blieb auch, der Eigenart der angelsächsischen Zivilisation entsprechend, bis ins zwanzigste Jahrhundert die ausschlaggebende Triebfeder für die überseeischen Beziehungen, die vom Staat zeitweise, nicht immer, gefördert wurden,

Die amerikanische Außenpolitik entwickelte von Anfang an drei Grundlinien, die im wesentlichen bis zum ersten Weltkrieg Geltung behielten:

1. Isolation gegen Europa;

2. Monroe-Doktrin für den amerikanischen Kontinent;

3. Ausdehnung im pazifischen Raum und Ostasien.

Der Handel mit China entfaltete sich rasch über die Häfen New York, Boston, Provi-dence, Baltimore und Norfolk, begünstigt durch die Kongreßakte von 1789/91. Eine besondere Rolle spicke der Walfang im Pazifik. Durch die Initiative des Präsidenten Andrew Jackson wurden im Jahre 1832 die ersten Handelsverträge mit südostasiatischen Staaten (Siam, Sultanat Muscat) abgeschlossen.

Am schwierigsten war es, mit Japan ins Gespräch zu kommen. Nachdem die bereits erwähnten Versuche fehlgeschlagen waren, wurde nun auf Perrys Initiative hin ein neuer Vorstoß unternommen. Die Instruktionen für den Leiter der Expedition, die Perry bezeichnenderweise selbst entworfen hatte, geben Aufschluß über die allgemeinen Beweggründe des Unternehmens; dort heißt es u. a.: Neue Ereignisse, die ozeanische Dampfschiffahrt, die Erwerbung und rasche Besiedlung eines riesigen Gebiets an der pazifischen Küste, die Bahnverbindung quer über den Isthmus von Panama, all das brachte die Länder des Ostens unserem Land näher. Obgleich die Folgen dieser Ereignisse noch kaum spürbar sind, kann ihre Bedeutung für die Zukunft nicht überschätzt werden.

Aus diesen Aeußerungen erkennt man den weitschauenden Blick Perrys für die raumüberwindende Macht der neuzeitlichen Verkehrstechnik. In der Auswertung dieser Erkenntnis war er aber wesentlich glücklicher als seine kongenialen deutschen Partner Friedrich List und Carl Freiherr von Bruck. Der praktische Sinn der Amerikaner, unbelastet von den Schranken der Tradition,

setzte solche Erkenntnisse ohne Hemmungen | sofort in die Tat um. Als junger Seeoffizier hatte Perry entscheidenden Anteil an der Einführung der Dampfschiffahrt in der amerikanischen Kriegsmarine. Nachdem Robert Fulton, der amerikanische Erbauer des ersten Dampfbootes, bei Napoleon mit seiner Erfindung keinen Anklang gefunden hatte (1803), wurde elf Jahre später (1814), auf Perrys Initiative hin, das erste mit Dampfkraft betriebene Kriegsschiff erprobt und in den Dienst der amerikanischen Kriegsmarine gestellt. Genau fünfzig Jahre später, nachdem Napoleon Fultons Erfindung zurückgewiesen hatte (1803), erschien Commodore Perry auf seinem Dampfschiff in Japan (1853), dessen Bevölkerung starr vor Bewunderung und Entsetzen das amerikanische Flaggschiff in die Bucht von Yedo dampfen sah. Perry war im November 1852 vom atlantischen Hafen Norfolk nach Japan abgefahren, kam nach einem Zwischenaufenthalt in Kanton im Sommer 1853 in Japan an und überreichte am 14. Juli 1853 in Kurihama den Vertretern des Shoguns sein Beglaubigungsschreiben und den Brief des Präsidenten Fillmore an den japanischen Kaiser, mit der Erklärung, daß er im nächsten Frühjahr die Antwort des Kaisers abholen werde. Perry begab sich inzwischen nach Hongkong und erschien am 11. Februar 1854 wieder in Japan. Ohne Rücksicht auf die japanischen Proteste ging er gegenüber dem heutigen Yokohama, in etwa zehn Meilen Entfernung von Tokio, vor Anker. Nach langwierigen Verhandlungen konnte er im Namen der USA den ersten Vertrag mit Japan am 31. März 1854 abschließen, Japan öffnete dem amerikanischen Handel zwei Häfen und sicherte der USA Meistbegünstigung zu.

Der Vertrag selbst war nicht von Bedeutung, dagegen aber seine weltpolitischen Nah- und vor allem Fernwirkungen. Japans Selbstisolierung war von Perry endgültig durchbrochen worden. Noch im gleichen Jahre folgte ein Vertrag Japans mit England, ein Jahr später ein Vertragsabschluß mit Rußland.

Zunächst erkannte man freilich nicht die Wichtigkeit der Expedition Perrys. Andere Ereignisse hielten in diesen Jahren die Welt in Atem. Die europäische Vorherrschaft über den Erdball erreichte gerade den Zenit, die britische Flagge war unbestrittene Herrin über alle Meere und Ozeane. Damals, im Jahre 1853, waren die USA keine Weltmacht, nicht einmal eine Großmacht. Die Kräfte des jungen Gemeinwesens waren nach innen gewandt und völlig ausgelastet mit den Aufgaben, die ein neu eroberter Raum von kontinentalen Ausmaßen und bisher geschichts-losem, jungfräulichem Dasein durch Erschließung, Ausbeutung und Kolonisierung den Eroberern auf Generationen stellte. Die werdende amerikanische Nation war bis zur Jahrhundertwende von den inneren Problemen in Anspruch genommen. In den Jahren zwischen 1845 und 1850 waren neue, riesige Gebiete durch die USA von Mexiko erworben worden. Jetzt erst, im Jahre 1850, waren die USA durch den Erwerb Kaliforniens an die pazifische Küste vorgestoßen. Es ist bedeutsam, daß Amerikas ostasiatischer Handel von den atlantischen Häfen ausgegangen war und noch geraume Zeit seinen

ausschließlichen Schwerpunkt an der atlantischen Küste hatte. Auch Pcrry brach von der atlantischen Küste nach Japan auf.

In der großen Weltpolitik spielten damals England, Frankreich und Rußland den ersten Part, Oesterreich und Preußen waren rein kontinentaleuropäische Binnenmächte. England und Frankreich geboten im Jahre 1853 dem russischen Vordringen gegen das türkische Reich durch den Krimkrieg Einhalt (1853—1856). Um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts dehnten die westeuropäischen Kolonialmächte, vor allem England, die europäische Herrschaft endgültig über den Erdball aus. In den Jahren zwischen dem Opiumkrieg (1840—1842) und dem Chinakrieg (1856—1860) wurden Indien — durch die Niederwerfung des Sepoyaufstandes — und China (Frieden von Peking 1860) durch England der weißen Herrschaft endgültig gefügig gemacht.

Im Rahmen dieser großen weltpolitischen Geschehnisse wurde Perrys Unternehmen wenig beachtet. Die Forderung des weitblickenden Mannes, amerikanische Flottenstützpunkte auf den Bonininseln und auf Formosa zu errichten, stieß auf die Ablehnung des Präsidenten. Und doch haben Geist und Tat dieser bedeutenden Persönlichkeit für ihr Vaterland zukunftweisend gewirkt. Pcrry wurde der Bahnbrecher der o s t a s i a t i s ch e n Politik der USA und ist gleichzeitig ein Pionier in der Ausnützung der neuzeitlichen Mittel der Technik.

Von den großen Weltmächten, die Räume kontinentalen Ausmaßes erobert hatten, dankte keine in dem Maße ihre Entstehung und Entfaltung der Maschinentechnik wie die USA. England und Rußland hatten ihre großen Gebiete noch weitgehend mit den alten Mitteln der Raumbezwingung — Segelschiff, Pferd, Wagen und Kamel — gewonnen. Die USA ist die erste Welt-

macht, die auf den Flügeln der Maschinentechnik einen Kontinent eroberte und den Ozean durchdrang. Der Amerikaner Robert Fulton hatte das erste Dampfboot erbaut und Admiral Perry erschien auf einem Dampfschiff in Japan. Der erste brauchbare Telegraph, der im Jahre 1844 in Betrieb gesetzt wurde, stammte von dem Amerikaner Samuel Morse, und fand zwischen Washington und Baltimore erstmals Verwendung. Bei den Weltmächten England und Rußland hatte die neue Verkehrs- und Nachrichtentechnik ihre Bedeutung weniger mehr für die Raumeroberung als für die Erschließung, Durchdringung und Behauptung. Hier zeigte sich eine neue Seite der Technik: ihre konservierende Wirkung bei großen Weltreichen, die sonst nach dem Tode der Erobererpersönlichkeiten rasch zu zerfallen pflegten.

Japan selbst? wurde durch Perrys Unternehmen der Welt geöffnet und der westlichen Zivilisation erschlossen. Zu den Vertragsbedingungen von 1854 gehörte die Veranstaltung einer Ausstellung amerikanischer Waren und der neuesten technischen Errungenschaften: Dampfmaschine, Eisenbahn, Telegraph. Dreizehn Jahre später, im Jahre 1867, bestieg Kaiser Meiji den Thron; er führte sein Land entschlossen auf den Weg eines westlichen Industriestaates.

Die Japaner wußten die Bedeutung von Perrys Unternehmen richtig einzuschätzen. Sie errichteten dem amerikanischen Admiral in Kurihama an dem Platze, an dem er die ersten Verhandlungen mit den Vertretern des Shoguns geführt hatte, in einem Park, der ihm zu Ehren „Perry-Park“ genannt wurde, ein Denkmal. Am 14. Juli 1901 fand die feierliche Einweihung des Denkmals statt, in Anwesenheit einer amerikanischen Abordnung, die von einem Enkel Perrys, Konteradmiral Rodgers, geführt wurde.

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