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Ein Friedensschluß vor hundert Jahren

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Für die Europäer ist da, Jahr 1848 das Jahr der Revolution. Verständlich genug: brachte es doch im Westen, in der Mitte und im Süden des Kontinents für eine Reihe von Völkern und Staaten tiefste Erschütterung ihrer politischen und sozialen Existenz, brachte es auch den ersten großen Durchbruch von Ideen, die in der zweiten Hälfte des 19. und im 20. Jahrhunderts schicksalhaft werden sollten, des Nationalismus und Sozialismus. Dennoch liegt in dieser Auffassung eine gewisse Enge des Blicks, eine Beschränkung auf europäische Verhältnisse, die in unserer Zeit, wo die Menschheit zum erstenmal wirklich Weltgeschichte erlebt, überwunden werden muß. Drei Wochen, bevor in Paris das Bürgerkönigtum stürzte und damit das Signal zu der europäischen Umwälzung gegeben wurde, schlossen die Vereinigten Staaten Amerikas und Mexiko am 2. Februar 1848 den Frieden von Guadalupe-Hidalgo, der für die Neue Welt einen tiefen historischen Einschnitt bildet.

Es war keine glückliche Lage, in der sich die dreizehn Staaten am Ostrand Nordamerikas befanden, als sie 1783 vom Mutterland die Unterschrift unter ihre Selbständigkeit erreichten, sie waren ein loser Staatenbund in schwerer wirtschaftlicher Bedrängnis, harte Inflation als Folge des Krieges suchte das Land heim. Aber eine unendliche Aufgabe lag vor dem nun freien amerikanischen Volk. Schon den ersten Kolonisten hat als großes Ziel die Erfüllung der ungeheuren Räume vom Atlantischen Ozean bis zum Pazifischen vorgeschwebt, angelsächsische Zähigkeit, puritanischen Auserwähltheitsglauben, der sich später als Berufung auf eine Manifest destiny zur Rechtfertigung der Ausdehnungspolitik ausprägen sollte, hat das Schicksal den Bürgern des neuen Staates mitgegeben. Vereinigte Staaten von Amerika und nicht, wie anfänglich geplant, von Nordamerika nannte sich das junge Gebilde.

Den großen Gegner Frankreich, der vom Westen und Norden die Kolonisten hätte entscheidend bedrohen können, hatte noch das Mutterland vom amerikanischen Boden vertrieben. Im Norden, in Kanada, blieb England als europäischer Rivale, im Süden die spanische Macht, nur episodenhaft spielte Rußland in Alaska eine Rolle.

Soweit aber in den Jugendjahren der Union noch der Weg über den Atlantischen Ozean war, die europäischen Ereignisse sind für ihr Wachstum von entscheidender Bedeutung geworden. Der Gegensatz zu England zwang Napoleon, seine Pläne, Frankreich wieder zur amerikanischen Macht zu machen, aufzugeben, 1803 konnten die Vereinigten Staaten den ersten ihrer großen Landkäufe tätigen und Louisiana erwerben. Und als im Gefolge der napoleonischen Besetzung Spaniens die spanische Herrschaft in Amerika ihr Ende fand, war das wieder ganz großer Gewinn für Washington. Mittel- und Südamerika waren jetzt von einer Reihe von Staaten erfüllt, die sich nicht mit der großen Republik im Norden irgendwie messen konnten. Aus dieser Neuordnung und der Stellung der Alten Welt zu ihr konnte Monroes großes Programm, Amerika den Amerikanern, verkündet werden, ein Programm zunächst, das aber in steigendem Maß Wirklichkeit werden wird. Unmittelbar auf nordamerikanischem Boden trat nun als Nachbar der Vereinigten Staaten Mexiko an die Stelle Spaniens, trotz und auch wegen seiner inneren Gegensätze und Zerrissenheit, ein sehr viel bequemerer Nachbar als selbst das niedergehende Spanien es gewesen war. Mit dem Gebiet von Texas grenzte der mexikanische Freistaat unmittelbar an Louisiana. Mexikos Regierung stellte sich dem Zug amerikanischer Auswanderer, die zum Teil auch mit Sklaven nach Texas kamen, anfänglich nicht ablehnend entgegen. 1830 gab es schon drei große Landgesellschaften für Texas in New York. Diese Einwanderer aber waren doch Pioniere auch einer staatlichen Expansion der Vereinigten Staaten, die nun schon erste Versuche machten, Mexiko Land bis zum Pazifischen Ozean abzukaufen. In Samuel Houston fand sich die geeignete Grenzerpersönlichkeit, die Loslösung Texas’ von Mexiko zu betreiben. Bereits spielt die Sklavereifrage schicksalhaft herein, Mexiko war unter dem Einfluß Englands in die Reihe jener Staaten getreten, die die Sklaverei bekämpften, das aber störte die Kreise Sklaven besitzender amerikanischer Siedler in Texas. Und in den Vereinigten Staaten gab es zu jener Zeit schon das Bestreben, ein Gleichgewicht zwischen Sklaven haltenden und Sklaven befreienden Staaten zu bewahren und unter diesem Gesichtspunkt sahen die Staaten des Südens im Raum von Texas Ausdehnungsmöglichkeit und Stärkung für ihre Wirtschaftsformen. Doch waren es. wie in der jüngeren amerikanischen Geschichtsschreibung betont wird, nicht nur Sklavereiinteressen, die zur Ausdehnung nach Texas drängten, wirtschaftliche und patriotische Momente machten sich für sie auch im Norden geltend. Zu spät suchte Mexiko die amerikanische Einwanderung abzudämmen, 1836 erklärte sich Texas unabhängig; als der mexikanische Präsident Santa Anna das Land mit Gewalt zur Botmäßigkeit zwingen wollte, da wurde er von den aus der Union unterstützten Texanern geschlagen und selbst gefangen. Ein selbständiges Texas mit einem Stern im Banner entstand — es wurde ein Problem auch europäischer Mächte. Wie man in Europa in Mexiko ein Gegengewicht gegen die Vereinigten Staaten — wie noch viel später — sah, so waren England und das mit ihm hier in Verbindung stehende Frankreich politisch und wirtschaftlich interessiert auch an der Erhaltung der Selbständigkeit Mexikos gegenüber der Union. Auch aus Deutschland lenkten sich Blicke dorthin, der Mainzer Adelsverein wünschte die deutsche Auswanderung nach Texas zu leiten. Gerade aber die englische Einmischung in den Fragenkomplex verstärkte den Willen Washingtons zur Erwerbung des Gebiets, unter Präsident Tyler vollzog sich trotz des Widerstandes des Senats die Vereinigung der beiden Staaten. Die Neuerwerbung war noch etwas größer als das Gebiet des alten Österreich-Ungarn.

Es scheint ein Gesetz der Machtausdehnung zu sein, daß Wachstum zu neuem Wachstum drängt. Die Grenze von Texas war de facto am Nuecesfluß gelaufen, die Ansprüche gingen weiter westlich zum Rio Grande del Norte und die Vereinigten Staaten übernahmen sie. Der Raum zwischen den beiden Flüssen war beträchtlich, er bildet einen wesentlichen Teil des heutigen Neu-Mexiko.

Bei der hohen Machtstellung, die der Präsident in den Vereinigten Staaten innehat, ist seine Persönlichkeit auch schicksalhaft für die auswärtige Politik. So war es von hoher Bedeutung, daß 1845 James Polk ins Weiße Haus einzog. Freundlos, ohne Anziehungskraft wird er geschildert, niemand hätte seine Wahl erwartet, aber er ist einer der größten Ausweiter seines Staates geworden.

Noch ins 18. Jahrhundert reichen die ersten Versuche der Nordamerikaner, wirtschaftliche Beziehungen über den Stillen Ozean hinaus anzuknüpfen. Das Jahr 1820 brachte schon erste amtliche Beziehungen zu Hawai. Aber auch in diesen Sphären zeigte sich die englische und französische Konkurrenz und es war naheliegend, daß die Union nun wünschte, an der pazifischen Küste Fuß zu fassen. Seit langem gab es da, wo heute die Grenze gegen Kanada im Westen läuft, lebhafte Auseinandersetzungen wegen der Abgrenzung im Oregongebiete. Noch einmal, so schien es unter Polk zeitweilig beinahe, würden die beiden Staaten die Waffen kreuzen. Innere Ver-

hältnisse des einstigen Mutterlandes kamen den Amerikanern diesmal zu Hilfe, England stand eben in den Kämpfen um die Aufhebung der Kornzölle und war bedrängt wegen der Sorge um die irische Hungersnot des Jahres 1845. Polk aber war in der mexikanischen Frage verklammert, er sah daher John Bull nicht ganz so fest in die Augen, als er es angekündigt hatte. Es kam zum englisch-amerikanischen Kompromiß von 1846.

Über die strittigen Grenzen von Texas hinaus ging es schon um Kalifornien. Man hat von Polk gesagt, er habe seinen Krieg erzwungen „with as sure a touch as was ever shown by Cavour or Bismarck“. Und selbst nach dem Erfolg hat Abraham Lincoln gesprochen von einem Krieg, den der Präsident unnötigerweise und unkonstitutionell begonnen habe. Die Mexikaner gaben sich in Siegeshoffnungen schweren Täuschungen hin Sie übersahen das Mißverhältnis der Kräfte, acht Millionen waren sie doch gegen zwanzig. Auch die Hoffnung auf England trog, dessen Regierung gab nach dem Oregonabkommen der Union freie Hand, nicht ohne von Disraeli den Vorwurf zu hören, sie habe dadurch das Gleichgewicht in Amerika gestört. Der militärische Enderfolg blieb, trotzdem die Mexikaner nicht unrühmlich fochten und die politischen Gegensätze im Innern der Vereinigten Staaten auch in die Heerführung reichten, doch bei der stärkeren Macht. Von Vera Cruz drangen auf den Wegen, die mehr als drei Jahrhunderte früher Ferdinand Cortez gezogen war, amerikanische Soldaten bis in die mexikanische Hauptstadt, bis in die Hallen Montezumas.

Die Ziele des Friedens wurden bei den Siegern nicht einheitlich beurteilt. Neben Gegnern des ganzen Unternehmens überhaupt, neben Antiannexionisten meldeten sich andere zum Wort, die ganz Mexiko zu behalten wünschten. Der Unterhändler des Friedens in Mexiko, der Unterstaatssekretär Trist, traf die Entscheidung in eigentümlicher Weise. Obwohl man ihn von Washington abberufen hatte, blieb er in Mexiko und schloß auf eigene Faust den Frieden unter den Bedingungen seiner ursprünglichen Instruktion. Nicht nur die erstrebte Grenze von Texas, auch Neu- Mexiko und Oberkalifornien brachte Guadalupe der Union, mehr als eineinhalb Millionen Quadratkilometer, fünf neue Staaten erwuchsen auf dem erbeuteten Gebiet und unmittelbar auf den Abschluß des Friedens folgten doch schon die ersten Goldfunde in Kalifornien. Mexiko erhielt für den Verlust fast der Hälfte seines Gebietes 15 Millionen Dollar. Trist hat seinem Vaterland viel heimgebracht und nicht das letzte seiner Verdienste liegt darin, daß er ihm die Annexion des so heterogenen Mexiko erspart hat. Er selbst aber hat wegen seiner Eigenmächtigkeit lange Jahre im Schatten stehen müssen.

Breit standen nun die Vereinigten Staaten an der westlichen Küste, über San Franzisko wehte das Sternenbanner, der große Weg von Meer zu Meer war durchlaufen. Fünf Jahre später wird Commodore Matthew C. Perry seine Landung in Japan vollziehen und damit den schicksalhaften Anfang zur Erschließung dieses Inselreiches machen.

Für die Ausdehnungspolitik der Vereinigten Staaten über den nordamerikanischen Kontinent hinaus in die Welt waren die räumlichen Voraussetzungen geschaffen. Das ist der Sinn von Guadalupe-Hidalgo.

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