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Flammenzeichen am Euphrat

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Bei Herodot ist zu lesen, daß kein Land zu seiner Zeit so reich an Getreide war wie Baby-lonien. „Das gewöhnliche Erträgnis“, so berichtet er, „ist das Zweihundertfache, in besonders, „guten,ly-en „das Dreihundertfache, der. Aussaat.... Die Aehren des Weizens und .ide. Gerste sind oft vier Finger breit. Und was Hirse und Sesam anbelangt, so will ich gar nicht sagen, wie hoch diese Pflanzen wachsen, denn ich weiß wohl, daß das, was ich über die Fruchtbarkeit Babyloniens bereits geschrieben habe, jenen unglaubhaft erscheinen mag, die das Land nie besucht haben.“

Was der „Vater der Geschichtsschreibung“ vor etwa 2400 Jahren aufgezeichnet hat, waren freilich schon damals längst keine neuen Tatsachen mehr. In sumerischer Zeit, wenn nicht noch früher, entstand das grandiose Irrigationssystem, welches, in der Folge immer wieder erweitert und ergänzt, den Wohlstand des Landes zwischen den zwei Strömen zur höchsten Entfaltung brachte. Schon viele Jahrhunderte vor Herodots Lebenszeit stand der 50 Kilometer lange Sperrdamm, der Niederungen zwischen Euphrat und Tigris zu einem gewaltigen Reservoir gestaltete; arbeiteten die Pumpwerke zur Bewässerung der Hängenden Gärten von Babylon; war der Habanniyah-See bei Bagdad zu einem regulierbaren Auffarig-becken für Flutwasser geworden. Cyrus der Große, Alexander der Große und die Dynastie der Sassaniden trugen mit großzügigen Anlagen weiter dazu bei, Mesopotamien zur Kornkammer der damaligen Welt zu entwickeln. Das Ende kam mit der Katastrophe von 629, einer LIeberschwemmung unvorstellbaren Ausmaßes, die das lebenswichtige Bewässerungs- und Hochwasserschutzsystem so gut wie völlig zerstörte. Von diesem Schlag hatte sich das Land auch in späteren Jahrhunderten, nach der Eroberung durch die Araber und als es das Zentrum des islamischen Weltreiches geworden war, noch nicht erholt, als mit den mongolischen Invasionen ein neuerlicher Verfall einsetzte, dem auch unter der 1627 einsetzenden osmanischen Herrschaft nicht mehr entgegengetreten wurde.

Es war daher ein schwieriges Erbe, welches die Regierung des nach dem ersten Weltkrieg aus der osmanischen Konkursmasse herausgeschnittenen und 1921 unabhängig erklärten Königreiches Irak zu übernehmen hatte. Infolge der Weigerung Frankreichs, seinen geschichtlich vielleicht nicht ganz unbegründeten Anspruch auf die Ausübung eines Protektorats über Syrien und Libanon aufzugeben und der Vereinigung dieser Gebiete mit Mesopotamien unter einer „großsyrischen“ Krone zuzustimmen, war das neue Staatswesen durch willkürlich gezogene Grenzen seiner natürlichen Verbindung mit dem Mittelmeer beraubt und im wesentlichen auf die drei früher türkischen Wilajets Bagdad, Basrah und Mossul beschränkt worden; und was sich da vorfand, konnte kaum als eine genügende Basis staatlicher Selbständigkeit betrachtet werden: weit mehr Wüste als fruchtbarer Boden, und auch der nur aufs kümmerlichste bearbeitet; ein großteils nomadisierendes „Staatsvolk“, eine Hauptstadt, Bagdad, die auf die Hälfte ihres historischen Umfangs zusammengeschrumpft war, und kaum mehr darstellte, als ein großes Araberdorf; keinerlei Industrie, und nur wenige sonstige Erwerbszweige, von denen irgendwie nennenswerte Beiträge zur Bestreitung eines Staatshaushaltes zu erwarten waren; und das praktisch gänzliche Fehlen einer Schichte, die für den raschen Aufbau eines modernen, wenn auch noch so bescheidenen Verwaltungsapparates verfügbar war. Letzteres war bei dem Stand des Unterrichtswesens, den das osmanische Regime hinterlassen hatte, allerdings nicht verwunderlich. Auf einem Gebiet von 43 5.000 Quadratkilometer, also etwa drei Viertel der Ausdehnung Frankreichs, und bei einer Bevölkerungszahl zwischen vier und fünf Millionen, gab es ganze 88 Volksschulen, die von rund 8000 Kindern besucht wurden; je eine Bildungsanstalt für ein paar Dutzend männliche beziehungsweise weibliche Lehrkräfte; drei Mittelschulen mit zusammen 110 Schülern; und eine Rechtsschule untergeordneten Ranges. Im übrigen gab es für die drei genannten Wilajets zusammen ein einziges Spital.

Wenn es trotz solchen trostlosen Zuständen binnen kurzer Frist gelang, die Fundamente eines Staates zu legen, dessen weitere Entwicklung allen übrigen im nahöstlichen Raum als Beispiel hätte dienen können, so war das, nebst der anfänglichen britischen Hilfe im Wege von Ratgebern und relativ bescheidener finanzieller Sub-sidien, dem glücklichen Umstand zu danken, daß sich die Iraki in der Person des Emirs Faisal, Sohn des als Türkenfeind bei den arabischen Nationalisten berühmt gewordenen Scherifs von Mekka, einen Mann als ihren ersten König erwählt hatten, der wie wohl kein anderer geeignet war, die ihm gestellten Aufgaben zu lösen.

Faisal I. brachte mehr mit für sein schweres Amt als den Nimbus eines Angehörigen des altangesehenen Fürstengeschlechtes der Hasche-miten und — was in einem zu 94 Prozent gläubig-islamitischen Land besonders ins Gewicht fiel — einer in direkter Linie durch 37 Generationen zu Fatima, der Tochter des Propheten, zurückgeführten Stammreihe. Er war hochgebildet, klug, energisch und erfahren in der Behandlung namentlich eines sehr schwierigen Bevölkerungselementes, der Beduinen, deren Mentalität er als Führer arabischer Freischärler gegen die Türken in der letzten Phase des ersten Weltkrieges gründlich kennengelernt hatte. So gelang es ihm, Volk und Parlament für das Ziel zu gewinnen, das ihm als erstes und wichtigstes auf dem Herzen lag. Irak war von Natur aus ein Agrarland, und nur der Agrarwirtschaft hatte es einstmals seinen Reichtum verdankt; vor allem also mußten die verschütteten Quellen des früheren Wohlstandes freigelegt und jedes durch Bewässerung wiedereroberte Stück fruchtbarer Erde zur Seßhaftmachung der Nomaden verwendet werden. Alle nur irgend verfügbaren Mittel wurden diesem Zweck zugeführt, und als der König 193 3 starb, war die erste Etappe auf dem Weg, den er sich vorgezeichnet hatte, erfolgreich zurückgelegt. An der von ihm eingeschlagenen Richtung änderte sich mit seinem Tode nichts: die Devise „Wohlstand durch Irrigation“ blieb die gleiche unter König Ghazi und der ihm folgenden Regentschaft wie unter dem seit 1953 regierenden Enkel Faisals, dem zweiten dieses Namens. Aber der Weg wurde allmählich breiter und weniger steil. Je mehr sich der allgemeine Wohlstand durch Erweiterung der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen und Verbesserung der Produktionsmethoden hob, desto mehr erübrigte sich für andere wirtschaftliche oder kulturelle Zwecke, und eben wieder für den weiteren . Ausbau des Bewässerungssystems. Vom Prinzip des unbedingten Primats der Landwirtschaft wurde auch dann nicht abgegangen, als die in den letzten Jahren rapid zunehmende Ergiebigkeit der irakischen Oelquellen — die Förderung begann 1930 mit 0,1 Millionen Tonnen, stieg 1950 auf 6,4 Millionen und war für heuer mit nahezu 40 Millionen Tonnen veranschlagt — ein Experimentieren mit anderen Wirtschaftszweigen hätte nahelegen können. Man schuf eine sogenannte Entwicklungskörperschaft, die gesetzlich für sämtliche Investitionspläne verantwortlich war und zu deren Durchführung über 70 Prozent der aus der Oelproduktion einlaufenden Erträgnisse zu verfügen hatte. In dem 195 5 in Angriff genommenen Fünfjahrplan, der Aufwendungen in der Höhe von 48 8 Millionen Pfund Sterling vorsah, standen wiederum Irri-gations-, Kraftwerks- und Wohnungsbauten im Vordergrund.

So war dem Königreich Irak bis in aller-jüngste Zeit unter allen arabischen Staaten die beste Chance für eine friedliche Entwicklung .fbei 'Stetig ste'igetidem'iWöhlstafJ'lzuaispiheTftä■ .es scfrfe'h'rda's Lafld MäPs'ein, tfWche's'WbSftHf Voraussetzungen dafür besaß, der Zersetzung seiner Stabilität durch den panarabischen Bazillus erfolgreichen Widerstand zu leisten. Aber wieder einmal hat es sich gezeigt, daß ein nationalistisches Schlagwort über alle rationalen Erwägungen den Sieg davontragen kann.

Mit der panarabischen Bewegung ist es eine eigene Sache. Bis zum zweiten Weltkrieg hielt sich jeder „bessere“ Aegypter für einen Nachkommen der Pharaonen und betrachtete die Araber drüben auf der Halbinsel samt und sonders als Beduinen, mit denen man eigentlich nicht viel zu tun haben wollte. Und als im März 1945 die Konferenz in Kairo zusammentrat, die dann mit dem Pakt der Arabischen Liga ihren Abschluß fand, mußte man als Verhandlungssprache das Türkische wählen, da dieses den ägyptischen Herren mundgerechter war als das Arabische. Inzwischen ist die Liga so gut wie gestorben, aber Aegypten hat sein unverfälschtes Arabertum entdeckt und sich, unwidersprochen, als zur Führung aller arabischen Völker und ihrer Befreiung vom fremden Joch berufen erklärt. Was eine solche Befreiung, Marke Nasser, in der Praxis bedeutet, davon haben die Syrier in den wenigen Monaten seit ihrem „Anschluß“ an Aegypten schon einiges zu spüren bekommen. Das hat aber in den übrigen arabischen Ländern keineswegs abschreckend gewirkt, im Gegenteil.

Und nun hat die Entschlußlosigkeit der Westmächte angesichts der Ereignisse im Libanon, ihr Zögern oder, wie es die arabischen Augen sehen, ihr offenbares Unvermögen, den Untergang dieses westlich orientierten und vom Westen in seiner Selbständigkeit „garantierten“ Staates durch eine militärische Intervention zu verhindern, auch im Irak eine Entscheidung im Sinne des neuägyptischen Imperialismus herbeigeführt. Die Ausdehnung der Vereinigten Arabischen Republik, richtiger gesagt, des Herrschaftsbereiches des ägyptischen Diktators, über den gesamten arabischen Raum ist ins unmittelbare Blickfeld gerückt. Aber auch in allen übrigen islamischen Ländern und weit darüber hinaus wird sich die Wirkung des tödlichen Schlages zeigen, den das Ansehen und der Einfluß des Westens, nicht ohne Schuld seiner führenden Mächte, durch das jüngste Geschehen erlitten haben.

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