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Kann Seife die Taufe ab waschen?

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Es war am 20. Februar 1953. Mehr als 100.000 Menschen waren auf dem glühendheißen Platz vor der Hauptmoschee von Om- durman zusammengeströmt, um die Unterzeichnung des anglo-ägyptischen Abkommens über die Unabhängigkeit des Sudans zu feiern. Mehr als 100.000 Menschen — es war die größte Volksversammlung in der Geschichte des Landes. Führer der rivalisierenden Parteien bestiegen das große Podium, von dem immer wieder Backsteine herunterfielen. Alte Feinde umarmten einander. Man trommelte, klatschte und schrie vor Freude. 150 Jahre Fremdherrschaft waren vergessen.

Die Engländer (Aegypten hatte nie viel zu sagen im ehemaligen „Kondominium“) gingen. Und šie gingen als Gentlemen. „Hoffentlich werden sie damit fertig!", meinten sie zum Abschied. Für viele von ihnen war es das Ende ihres Lebenswerkes.

Neue Männer nahmen nun die Geschicke des Landes in die Hand. Eine dreijährige Uebergangsperiode war geplant. Dann sollte das Volk selbst entscheiden: Anschluß an Aegypten oder Selbständigkeit. Das Parlament hat ihm diese Entscheidung abgenommen. Am 1. Jänner 1956 entschied es sich für Selbstän- digkeit. „Hoffentlich werden sie damit fertig.“ Die alten Kolonialbeamten hatten sicher nicht zu schwarz gesehen. Das zeigt schon der Umschwung vom November, der die Armee an die Macht brächte. Aber die- Krise Hegt nicht in derrfsfoa der " fetteten heifi‘4ttSfhtaälleifl fylita ifwä&erfUnd’ufeftp'auch nicht am Säbelrasseln Nassers. Sie liegt im Lande selbst, wie die Briten es voraussahen. Im Sudan stehen sich nämlich zwei völlig verschiedene Volksgruppen gegenüber. Rasse, Religion, Sprache, Kultur! Diese 'Unterschiede lassen sich nicht einfach verwischen.

Die Grenze verläuft zwischen Norden und Süden. Die Nordländer (8 Millionen) sprechen meist arabisch, sind vom Islam und seiner Kultur geprägt und stehen stark unter ägyptischem Einfluß. Sie gehören, grob genommen, zur europäischen und levantinischen Welt. Die 3 Millionen Neger im Süden dagegen leben immer noch in einer nahezu atavistischen Furcht vor den Räubern aus dem Norden, die ihre Väter und Mütter auf die Sklavenmärkte schleppten und heute noch glauben, daß das ganze Gebiet unter Militärherrschaft gestellt werden sollte, um „denen da unten etwas Zivilisation beizubringen".

Die Zukunft des Südens war daher auch das Haupthindernis bei den Verhandlungen über das Abkommen von 1953. Die Engländer zögerten, so primitive Völker wie die Dinkas (die heute noch völlig unbekleidet auf dem Markt von Juba ihre Holzkohlen anbieten), ausschließlich sudanesischer Herrschaft auszuliefern. Sie meinten, der Süden solle Zeit bekommen, über seine Zukunft selbst zu entscheiden. Vor allem suchten sie die Bekehrung der heidnischen Südländer zum Islam zu verhindern, um ein Gegengewicht gegen den mohammedanischen Norden zu schaffen. Es ist ihnen nicht gelungen. Die Kluft aber blieb und führt immer wieder zu Spannungen auf wirtschaftlichem und vor allem religiös-politischem Gebiet, denn Politik und Religion sind in islamischen Staaten nur schwer zu trennen.

Der Sudan soll arabisiert werden. Was das für eine christliche Minderheit bedeutet, weiß jeder, der auch nur einen kleinen Einblick in einen mohammedanischen Staat hat. Im Apostolischen Vikariat Khartum (Norden) zum Beispiel stehen den 8 Millionen Mohammedanern nur zirka 6000 Christen gegenüber. Oesterreicher haben im letzten Jahrhundert diese Mission gegründet. Kajser Franz Josef hat sie unter sein persönliches Protektorat gestellt. Doch haben' die Mahdi-Aufstände die Arbeit fast vernichtet. Heute sind die Katholiken eine verschwindende Minderheit.

Anders im Süden. In den fünf Apostolischen

Vikariaten und Präfekturen leben 300.000 Christen (50 Prozent davon Katholiken). Zahlenmäßig auch nichts anderes als eine Minderheit gegenüber drei Millionen Heiden. Doch stellten diese 300.000 Christen durch ihre Schulen und ihre Ausbildung eine geistige Macht dar, die den Muslims gefährlich zu werden schien.

So waren im Süden Unruhen ausgebrochen. Südsudanesische Truppen meuterten gegen ihre nordsudanesischen Offiziere. Gewisse Zeitungen schoben den Christen die Schuld in die Schuhe, und am 13. Februar 1957 verkündete der Erziehungsminister — völlig überraschend — den Beschluß, sämtliche Missionsschulen im Süden des Landes zu verstaatlichen. Die meisten Schulen wurden auf Grund eines Pachtvertrages mit der Regierung erbaut, der auf 99 Jahre befristet war. Sie stellten einen Wert von 75 Millionen Schilling dar. .. Der vorwiegend katholische Lehrkörper wurde vorläufig in den Schulen belassen, doch kann das Unterrichtsministerium Direktoren und Lehrer jederzeit durch muslimisches Personal ersetzen. Vorerst wurden den Direktoren „Assistenten“ beigegeben, die die Regierung ernannt hatte. Der Religionsunterricht darf jedoch in der Regel nur mehr von Laien, nicht von den Missionären selbst erteilt werden. Das Ziel dieser Entwicklung machte ein neu eingesetzter Schuldirektor in Abyei seinen Schülern folgendermaßen klar: Von .ReHgionsumerscIiieden kąnne„.Hüter ..jdeu Sudanesen -keine. Rędg mehr sein; eines, Jage , würden a Šūdąpeąep mųslipjr ,-?ąin,

wie die Regierung. Ein anderer gab vier Kindern, die kurz vorher, getauft worden waren, ein Stück Seife, um sich im Fluß die Taufe abzuwaschen

Offiziell allerdings heißt es, daß nur durch diese Methode ein einheitliches Erziehungssystem für das ganze Land gewährleistet werden könne, und nur so die arabische Sprache sich als Landessprache durchsetzen könne. Dabei sprechen nur zirka 51 Prozent der Bevölkerung arabisch, und nur 35 Prozent sind wirkliche Araber. Inzwischen scheint sich die Situation wieder etwas beruhigt zu haben. Doch befürchtet man, daß bestimmte muslimische Kreise Unruhen provozieren werden, um auf diese Weise rigorose Maßnahmen gegen die Christen und Heiden zu rechtfertigen. So beschuldigte die Tageszeitung „Al-Ayam“ (am 29. 4. 57) Msgr. Baroni, den Apostolischen Vikar von Khartum, die Häuptlinge im Süden zur Erhebung gegen die Regierung aufgefordert zu haben. Diese Notiz nahm A. Baldo, der Gouverneur der Provinz Aequatoria, zum Anlaß, auch Bischof Mazzoldi und Msgr. Gerrara Schreiben zu übermitteln, in denen es wörtlich heißt: „Unruhen in den Schulen oder in der Oeffentlichkeit würden der Anstiftung des katholischen Klerus zugeschrieben werden, da das jüngste SchreiHbn ihres .Hauptquartiers1 (gemeint ist Msgr. Baroni von Karthum) eine solche Absicht klar erkennen läßt.“ Italienische Missionare werden beschuldigt, den Imperialismus des Duce Wiederaufleben zu lassen. All diese Vorfälle — an sich Bagatellen — zeigen, daß die Regierung bei der Nationalisierung der Schulen nicht stehenbleiben wird.

Um so bedauerlicher ist es, daß die Christen sich bei den letzten Wahlen im Februar 1958 nicht einigen konnten. In zahlreichen Distrikten standen sich sogar katholische Kandidaten gegenüber. Dennoch scheinen sie unter den Liberalen und Unabhängigen vorherrschend zu sein, die zusammen von 173 Sitzen im Parlament 32 belegen konnten; unter ihnen auch zwei katholische Priester und zwei katholische Theologiestudenten. Führer dieses „Liberalen Blocks“, der nichts mit unseren Liberalen zu tun hat, ist der katholische Priester Saturnin Lahure, der schon längere Zeit dem Verfassungsgebenden Komitee des Sudans angehört.

Dieses Ergebnis kann als Erfolg gewertet werden, während die Kandidatur des katholischen Abgeordneten Stanislaus Pasajama für das Amt des Ministerpräsidenten eine überraschende Episode blieb. Der Schritt war vielleicht sogar sehr gewagt. Er hat die mohammedanische Mehrheit aufhorchen lassen. Das neue Parlament wird ja schließlich auch über die Verfassung zu entscheiden haben., Der Verfassungsentwurf sieht aber immer noch — trotz aller Proteste — den Islam als Staatsreligion vor! Die Arabisierung, selbst wenn sie sich von religiösen Tendenzen freihalten will, muß zwangsweise auch zur Islamisierung führen; denn der Staat ist muslimisch und wird daher nicht etwa ein christliches oder areligiöses Arabertum verbreiten. Freilich, die Christen im Parlament werden protestieren, aber wird' ihre

Freiheit mehr sein als eben bloß — Redefreiheit?

Und hier zeigt sich das Problem in seiner vollen Schärfe. Eine machtlose ethnisch-religiöse Minderheit in einer konfessionell und kulturell einheitlichen Umgebung ist an sich ja schon das geeignetste Objekt aller Unterdrückungsmaßnahmen. Nun ist für jeden gläubigen Muslim die Verdrängung des Unglaubens noch dazu ein „verdienstlich Werk“ (trotz der Duldung, die der Prophet selbst den Christen gewährte). Eine solche Minderheit kann daher nur existieren, wenn sie sich irgendwie nützlich machen oder loskaufen kann. Wie lange wird ihr das noch gelingen gegenüber dem Islam, der sich stolz als „die Religion der Schwarzen“ bezeichnet, der kraftvoll die Bollwerke des westlichen Imperialismus“ geschleift habe und sich zur Heimholung des ganzen schwarzen Kontinents anschickt? So äußerte sich Nasser bei einem Treffen in Mekka: „Ich hoffe, die Westmächte werden gegen unseren Missionsfeldzug zur Rettung Afrikas nichts unternehmen, weil die Herrschaft des Islams in Afrika ein Wall gegen den Kommunismus sein wird.“ Große Worte und Forderungen gehören zwar zur orientalischen Politik und sind dementsprechend zu werten. Dennoch sind die Aeußerungen Nassers ernst zu nehmen. Die islamische Mission in Afrika und ein (durchaus möglicher) Anschluß des Sudans an Aegypten werden die Zukunft des Christentums in diesem Land der Gegensätze genau so in Frage stellen, wie in den Staaten des Nahen Ostens selbst.

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