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Das neue Gesicht Afrikas

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Die dramatischen Spannungen, die Asien vom Mittelmeer bis zu den japanischen Inseln durchzittern, ziehen die Aufmerksamkeit der Welt so sehr in ihren Bannkreis, daß nur ein stärkeres Hervortreten der pan- islamitischen Bewegung das Interesse auf Afrika lenkt. Obwohl naturgegebenes wirtschaftliches Ergänzungsgebiet Europas, steht der „dunkle Erdteil” damit gleichsam im Schatten und tiefgreifende soziale, religiöse und wirtschaftliche Umschichtungen, die in ihren Ergebnissen nicht weniger bedeutungsvoll als die weithin hallenden Ereignisse in Asien sind, bleiben vielfach verborgen.

Die großen Wandlungen seiner inneren Struktur hat Afrika durch den zweiten Weltkrieg erfahren. Durch diesen Kontinent liefen die wichtigsten Verbindungswege der Alliierten. Auf den mächtigen neuen Straßen quer durch den Erdteil rollten Panzer und Material aller Art für Rußland und den Nahen Osten. Es war die einzige unangefochtene Rochadelinie der Verbündeten. Das Einfluten europäischer und amerikanischer Menschen und Ideen brachte im Inneren Afrikas gewaltige Veränderungen. Dakar, heute Schnittpunkt der Fluglinien zwischen Europa und Südamerika, zählt gegenwärtig 200.000 Einwohner gegenüber 25.0 vor einem Vierteljahrhundert und man rechnet mit. einer künftigen Gesamtbevölkerungszahl von zwei Millionen. Diese sprunghafte Entwicklung bot den Eingeborenen reiche Verdiensrmöglichkeiten. Ihr Wohlstand wuchs, aber weite Schichten wurden der Bodenbewirtschaftung und Viehzucht und damit dem eigenen Volkstum und vielfach auch dem religiösen Denken entfremdet. Die Verstaatlichung vieler Unternehmen ist bereits Tagesproblem geworden, weil sich die schwarzen Arbeiter davon eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen erwarten und die Kolonialregierungen diesem Zug Folge leistend, die Eingeborenen zielbewußt der inneren und äußeren Selbständigkeit zuzuführen bestrebt sind.

Diese Tatsachen greifen revolutionierend in die geistige Lage des afrikanischen Kontinents ein. Eine solche Situation berührt auch die Missionsarbeit entscheidend. Der schon im ersten Weltkrieg angebahnte Kulturumbruch, der die einheimischen Lebensformen und mit ihnen den weltanschaulichen Nährboden zertrümmerte, verlangte nicht nur eine geistige und sittliche Neuorientierung des Afrikaners in seinem Leben, sondern auch eine weitgehende Umstellung der Missionsmethode. Bezeichnend war die von nationalsozialistischen Kolonialkreisen im Falle eines deutschen Sieges geplante koloniale Kulturpolitik. Wie die umfangreiche Kolonialliteratur dieser Zeit zeigt, dachte man daran, die religiösen U r- instinkte des afrikanischen Menschen von außen her zu einer neuen Negerreligion zu entwickeln und dadurch jede christliche Missionstätigkeit grundsätzlich auszuschalten.

Die Kriegsschicksale haben direkt nur die nordafrikanischen Missionen und Abessinien berührt. Im Jahre 1942 wurden in Abessinien sämtliche Missionäre ausgewiesen. Auf Wunsch des Papstes schickten 1943 die Weißen Väter bereits wieder fünfzig Missionäre in dieses Land. Der Negus zeigte nach seiner Rückkehr der katholischen Kirche wieder sein früheres Wohlwollen. Er bat um Missionäre für den Wiederaufbau des Schulwesens. Kanadische Jesuiten stellten sich zur Verfügung, die zunächst Lehrerseminare errichteten. An der Spitze des Obersten Gerichtshofes steht der katholische Engländer Dr. L R. Müllen. Die italienischen und deutschen Missionäre wurden im übrigen Afrika während des Krieges zum Teile interniert, konnten aber dank der Intervention des apostolischen Delegaten bald ihre Tätigkeit fortsetzen.

Die Entwicklung der katholischen Mission in Afrika konnte der zweite Weltkrieg in keiner Weise au fh alten. Am Ende des ersten Weltkrieges zählte man in ganz Afrika noch keine zwei Millionen Katholiken, 1939 dagegen elf Millionen, unter ihnen 7,290.385 Neger. Der Jahreszuwachs stieg bis auf 500.000. Hinzuzurechnen sind (1939) zweiein viertel Millionen Taufwerber. Das Eindringen des Christentums in das afrikanische Heidentum geschah mehr durch Erwachsenentaufen als durch natürlichen Zuwachs. Diese gewaltige Arbeit wird von rund 5800 Priestern sowie etwa 17.000 geistlichen Brüdern und Schwestern geleistet, denen aber 90.000 einheimische Katechisten und Lehrer zur Seite stehen. In der afrikanischen Hierarchie haben der 40jährige Bantupriester Dr. Josef Kiwanuka; apostolischer Vikar von Masaka, und der madagassische Weltpriester Ramarosandra- tana, apostolischer Vikar von Miarinarivo, die Bischofswürde erlangt. Die apostolische Präfektur von Ziguinchor wurde dem 34jährigen Senegalneger P. Josef Faye anvertraut, der als einziger Negerpriester seines Gebietes dessen Oberhirte ist.

Es ist nicht möglich, die glanzvolle Entwicklung des afrikanischen Katholikentums ohne Vergleichsziffem zu schildern. In Belgisch-Kongo zählte man 1921 380.000 Katholiken, 1945 waren es rund drei Millionen und etwa 800.000 Katechumenen. Ein Viertel der Bevölkerung des belgischen Kongo ist somit katholisch. Noch steiler ist der Aufstieg in den ehemals deutschostafrikanischen Gebieten von Ruanda und Urundi. Erst vor 40 Jahren wurde dort die katholische Mission eröffnet — heute zählt sie mehr als 900.000 Katholiken, wiewohl eine vierjährige Taufvorbereitung gefordert wird. Als 1916 die deutschen Pallotiner aus Kamerun ausgewiesen wurden, zählte man 28.0 Katholiken, 1945 waren sie auf 450.0 angestiegen.

Südafrika galt für die katholische Mission als unfruchtbares Gebiet. Während es 1920 nur rund 180.000 Katholiken hatte, verzeichnet die Statistik für 1945 gegen 640.000. Allein im I asutoland bilden die Katholiken 28 Prozent der Bevölkerung. Dieser Erfolg war durch ein systematisch aufgebautes Schulwesen bedingt, das 1945 mit der Eröffnung der „Katholischen Universität Pius XII.” mit fünf Fakultäten ihre Krönung fand.

Diese gewaltigen Erfolge haben jedoch in bedenklicher Weise die Kräfte der Missionen in der Schule und Seelsorge überspannt. Eine ernste Krise beginnt sich hier abzuzeichnen. Der zweite Weltkrieg brachte den Missionen, besonders im belgischen Kongo, eine wirtschaftlich günstige Lage. Ohne Hilfe der Heimat konnten die meisten Stationen sich selbst erhalten und mehrere hundert neue große Kirchen wurden gebaut. Doch die Überlastung der Priester wurde so groß, daß die Zahl der Erwachsenentaufen anteilmäßig im Fallen begriffen isü. Dazu nimmt die vermehrte Zahl der Hospitäler und Schulen so viele Kräfte in Anspruch, daß aller Eifer die zu geringe Zahl nicht wettzumachen vermag. So mußten in letzter Zeit in Belgisch-Kongo 1748 Buscbkapellen und 1161 Schulen geschlossen, 1849 eingeborene Lehrkräfte entlassen und sogar Sprengel aufgegeben werden. Oft betreuen drei bis vier Priester Pfarrbezirke von der Größe österreichischer Diözesen. Der gleiche Vorgang ist im Schulwesen bemerkbar. Seine Verbreiterung droht die geistigen Kräfte der Mission zu übersteigen und der wachsende Bildungshunger zwingt den Staat, sich einzuschalten. Schon jetzt tritt in Westafrika und in den industrialisierten Gebieten Mittelafrikas die religiöse und christliche Erziehung allmählich in den Hintergrund. Die beiden neugegründeten Eingeborenenuniversitäten in Lovedale (Südafrika) und Makerere (Uganda) haben die Angliederung einer theologischen Fakultät abgelehnt. Belgien zeigt gegenüber den Missionsschulen durch eine finanzielle Unterstützung das weiteste Entgegenkommen, am wenigsten Frankreich,’ das heute noch auf dem Prinzip der kolonialen Laienschule beharrt, obwohl es anerkennt, daß die Schulfrage nur mit Hilfe der Missionen gelöst werden kann.

Eine gewisse Zurückhaltung hängt auch mit dem Erstarken der mohammedanischen Welt zusammen. Dazu wird die Errichtung des Kalifats als rein religiöse Institution von den indischen Moslims wieder propagiert. Eine neue missionarische Tätigkeit scheint von der El-Azhar-Universität inKairo auszugehen, die mit ihren Schwesteranstalten 12.000 bis 15.000 Studenten zählt. Sie bildet die führenden Ulemas und Propagandisten aus und beginnt wieder die geistige Kraft des Islams zu erneuern. So hat die ägyptische Regierung der Aussendung mohammedanischer Missionare in den südlichen Sudan zugestimmt, der bisher außerhalb der islamitischen Interessen lag. Nach den jüngsten Mitteilungen zählt der Islam in Afrika etwa 59 /2 Millionen Anhänger, hievon 97,8 Prozent, das sind 63,4 Prozent der Gesamtbevölkerung im Norden des Kontinents, während dort der Anteil der Katholiken nur 3 Prozent ausmacht. In Zentralafrika sind 2,8 Prozent mohammedanisch und 17,4 Prozent katholisch, in Südafrika ergibt die Zählung 2,8 und 9,5 Prozent. Die Mission unter den Mohammedanern zeigt besonders in Süd- nigerien erfreuliche Ansätze. Einen merklichen Auftrieb erfuhr die Mohammedanermission in Nordafrika durch die Gründung des „Institut des Beiles Lettres Arabes” in Tunis (1936), das sich der wissenschaftlichen Vorbereitung islamitischer Missionare widmet. Eine hochstehende Quartalschrift „Ibla” ist das wissenschaftliche Organ dieses Instituts. Diesen Kräften versuchen die vom Apostel der Sahara, Charles de Foucauld, inaugurierten „Kleinen Brüder vom heiligsten Herzen Jesu” im Verein mit den „Kleinen Schwestern von Jesus” entgegenzuwirken.

Die fortschreitende Industrialisierung des afrikanischen Kontinents verlangt gebieterisch eine verstärkte Tätigkeit auf sozialem Gebiet. Um die Eingeborenen der Bodenbewirtschaftung zu erhalten, bestreben sich die Missionare, die landwirtschaftliche Schulung intensiv zu gestalten. Allein im Kongo unterhält die katholische Universität Löwen drei bedeutende, höhere landwirtschaftliche Schulen. Fast mit jeder Mission sind Ackerbau und Handwerksschulen verbunden. Die 1927 gegründete „Catholic African Union” (CAU) hat für ganz Zentral- und Westafrika große Bedeutung. Auf dem sozialen Sektor führt der Mariannhiller Missionar P. Bernhard Huß. Er gründete den katholischen Bauernbund, Sparvereine mit Sparkassen, die Volksbank von Ma- riannhiü, Arbeitsnachweisstelle’n, den Käufer- und Verkäuferbund in Basutoland und Einkaufsgenossenschaften. Vor allem streben diese Organisationen die menschliche Persönlichkeit zu erfassen. Sie bilden einen Wall gegen die radikalen, freien Gewerkschaften. Katholiken sind auch in einer Gewerkschaft der Ackerbauer und Handeltreibenden in Ostafrika führend tätig, die sich, gegen die Ausbeutung durch die indischen Firmen zur Wehr setzen, wie auch der letzte Aufstand in Madagaskar seine Wurzel in der ungerechten Ausbeutung der Eingeborenen hatte. Die Tätigkeit der christlichen Gewerkschaften und Syndikate hat manche vergiftete Atmosphäre gebessert, so daß sogar Helden beim Wiederaufbau der sehr zahlreich zerstörten katholischen Kirchen auf Madagaskar mithalfen. Die verstärkte Tätigkeit radikaler, revolutionärer Aufwiegler in Mittel-, Süd- und Ostafrika zeigt, daß auch die antichristliche Bewegung die entscheidende Stunde Afrikas erkannt hat.

Nach dem ersten Weltkrieg hatte der Negerpädagoge Kweyer Aggrey auf che friedliche Gestaltung des Verhältnisses zwischen Schwarz und Weiß bestimmenden Einfluß genommen. Er forderte ihr harmonisches Zusammenwirken und erkannte die Bedeutung des Christentums und vor allem der Person Christi. Die heute führenden Neger denken anders. Einer davon, Nnwa- for Orizu, hat seine Ideen 1944 in einem Buch, „Die westlichen Nationen im Nach- kriegsafrika”, niedergelegt. Dieser Häuptlingssohn aus Nigeria ist ganz beseelt von der amerikanischen Demokratie. Nur in der Gleichberechtigung mit dem Europäer sieht er die Möglichkeit einer Zusammenarbeit. Das Christentum bewertet er nach seinem sozialen und geistigen Nutzen für Afrika und sieht es nur als ein Mittel zur Erneuerung der schwarzen Völker an. Wenn die

Mission mitgeholfen hat, Afrika zu eigenem Selbstbewußtsein zu erziehen und damit seine Existenz gesichert hat, hat sie ihre Aufgabe erfüllt. Scheitert sie an dieser Aufgabe, wird nichts ihren Anspruch recht- fertigen, anderen Religionen vorgezogen zu werden. Orizu verlangt von Afrika ein moralisches Erwachen, geistige Dynamik und politische Freiheit. Er ruft nach einem Diktator eines freien Volkes.

Das ist die Stimme des Nachkriegsafrika. Sie verkündet das Ende der Kolonialära und wird zur Feuerprobe der katholischen Mission.

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