6538314-1946_27_06.jpg
Digital In Arbeit

Der Arzt als christlicher Pionier

Werbung
Werbung
Werbung

Die meisten Menschen haben ganz vage, oft falsche Vorstellungen von dem, was das Wort „Missionsarzt“ besagen will. Es ist nicht zu verwundern; denn die systematische Ausgestaltung dieses Berufes ist eine verhältnismäßig junge Errungenschaft. Wohl war die geordnete Pflege und Sorge für die Kranken von den ersten Anfängen des Christentums eine der vornehmsten Pflichten der jungen Kirche, die sie von ihrem Stifter als heiliges Erbe übernommen hat, von dem es heißt: „Surdos fecit audire, caecos videre, mutos logni“ — die Tauben macht er hörend, die Blinden sehend, die Stummen redend.

Der neuesten Zeit blieb es vorbehalten, die seit urchristlichen Zeiten geübte karitative Betätigung zu einer organisierten ärztlichen Mission auszubauen. Zunächst griffen diesen Gedanken die Protestanten auf, deren erste Versuche ins 18. Jahrhundert zurückgehen. Bis ins 19 Jahrhundert hinein blieb es bei Einzelversuchen, denen Enttäuschungen nicht erspart waren. Erst mit dem Aufschwung der modernen Medizin kam auch die ärztliche Mission in Schwung, in der die amerikanischen Protestanten lange führend waren. Dr. Parker gründete das erste Missionsspital in China. Seinen Bemühungen ist 1841 die erste missionsärztliche Gesellschaft zu danken. Sie nannte sich: „Edinburgh Medical Missionary Society“. Der große Entdecker Dr. David Li-vingstone ist einer ihrer berühmtesten Pioniere, der in Südafrika wirkte.

Auch Frauen sahen wir schon sich diesem Berut zuwenden gegen Ende des 19. Jahrhunderts, die in Indien ihr erstes Arbeitsfeld fanden. Von da an kommt es in rascher Folge zur Errichtung von Instituten zur Heranbildung von missionsärztlich geschultem Personal vornehmlich in England und Amerika. Auch in der Mission selbst — wie in China die 1886 gegründete „China Medical Missionary Association“ — bildeten sich solche Gesellschaften. Gegen Anfang des ersten Weltkrieges gab es fast 1000 protestantische Missionsärzte, darunter ein Drittel Frauen. Außer obenerwähnten Nationen sind daran Holländer, Franzosen, Schweden und Deutsche beteiligt. Parallel damit ging die Gründung von Missionsspitälern, Polikliniken, medizinischen Schulen, Krankenpflegeschulen in Missionsländern.

Von katholischer Seite wurde der Gedanke, ärztliche Kunst und Wissenschaft in den Dienst der Ausbreitung des Glaubens zu stellen, nur zögernd aufgegriffen. Eine der ersten Ärztinnen, die in diesem Sinn arbeiteten, war Dr. Agnes Mc. Laren, eine Konvertitin, die 1909/10 ein katholisches Krankenhaus in Rawalpindi in Indien gründete; ihr folgte Dr. Anna Dengel, eine Tirolerin, die 1925 in Washington eine religiöse Genossenschaft für Ärztinnen und Krankenpflegerinnen, die sich der Missics-arbeit widmen, ins Leben rief. Ihr Arbeitsgebiet ist Indien. Später bekam diese Gesellschaft auch ein Haus in London.

Wenn wir den Gründen des abwartenden, vielfach ablehnenden Verhaltens der auf katholischer Seite in Frage kommenden Kreise nachgehen, kann man sie schwerlich als überzeugend erkennen. P. H. Linckens nennt in der Zeitschrift für Missionswissert-schaft 1912/13 folgende: finanzielle Belastung der Mission, Gefahr der Behinderung des Missionswerkes durch den Missionsarzt; schließlich gab er der Auffassung Raum, Anstellung von Ärzten sei eine Sache des Staates, nicht der Mission. Es zeigt deutlich, daß man sich nicht klar war über Aufgaben und Wesen des Missionsarztes.

Prof. Dr. Preston Maxwell stellte auf der Jahresversammlung des missionsärztlichen Verbandes in London 1934 folgende Grundsätze für den Missionsarzt auf:

1. Er muß Christus und seine Auferstehung kennen. Das will besagen, er muß lebendigen Glaubensgeist haben und das Verlangen, auch andere Menschen zu Christus zu führen.

2. Er muß Meister in seinem Fach sein. Als Glaubens- und Kulturträger sind gerade die bestgeschulten Kräfte gut genug.

3. Er muß sich einordnen, gegebenenfalb auch unterordnen können bei der Zusammenarbeit mit Kollegen auch andersnationaler Herkunft.

4. Er muß eine gute Kenntnis der Sprache jenes Landes haben, in dem er tätig ist.

5. Überdies ist eine gute Allgemeinbildung, ein gewisser Universalismus des Wissens und Könnens auch auf nicht streng medizinischen Gebieten sehr erwünscht. Er wird oft Arbeiten übernehmen, beziehungsweise Ratschläge erteilen müssen in Dingen, die bei ausgebilderter Gesundheitspflege Sache eigener Behörden und Ämter sind

Aus diesen sehr kurz wiedergegebenen Grundsätzen geht doch soviel hervor, daß die Gewinnung irgend eines Arztes, der zufällig im Missionsgebiet arbeitet, für die Erledigung der ärztlichen Arbeit in der Missionsstation etwas ganz anderes und vom Beruf eines Missionsarztes absolut Verschiedenes ist.

Schlechte Erfahrungen hat man ohne Zweifel mit einzelnen Missionsärzten gemacht. Aber kommt das nicht auch bei anderem Missionspensonal vor? Jeder Beruf — und sei es der heiligste — wird allzeit auch untaugliche Vertreter in seinen Reihen haben, solange sich diese Reihen aus schwachen Menschen bilden. Aber unter der verhältnismäßig großen Zahl von Missionspersonal verschwinden die paar Versager, während unter der geringen Zahl von Missionsärzten zwei bis drei untaugliche Vertreter Aufsehen machen. Von der nicht geringen Zahl von Angehörigen dieses hingen Zweiges der katholischen Missionsarbeit, die in vorbildlicher Weise dem Berufsideal nachstreben, spricht man viel seltener.

Ich nenne da den 1933 verstorbenen Dr. Johannes Pattis, der in Südafrika erfolgreich und vorbildlich arbeitete, ganz im Sinne der oben für seinen Beruf gegebenen Richtlinien. Durch Energie und großes Können als Arzt wie durch edles, zutiefst religiöses Menschentum zeichnete sich die 1931 in China verstorbene Misisionsärztin Dr. Anna Roggen aus. Sie verwirklichte in ihrem Leben das Programm, das sie sich in ihrem Bewerbungsschreiben um die Aufnahme als Missionsärztin, stellte: „Ich will meine ganze Kraft, mein ganzes Können in den Dienst der ärztlichen Mission stellen. Daß ich diese Arbeit ganz von der idealen Seite auffasse und keinen irdischen Lohn erwarte, ist mir selbstverständlich. Ebenso liegt es mir außerhalb jeden Zweifels, daß ich immer im Dienst der Mission bleibe.“ Ihr erstes Arbeitsfeld lag am Amazonas in Nordbrasilien. Dann folgte sie dem Ruf in die Franziskanermission in Tsinanfu, China, wo sie sich in kurzer Zeit das Vertrauen und die Liebe aller erwarb.

Man könnte die Namensliste von Missionsärzten, auf die die katholische Kirche stolz sein kann, leicht fortsetzen.

Was für die protestantische Mission tragbar ist, muß auch für das katholische Missionswesen in irgendeiner Form möglich sein. Welches die beste und allseits befriedigendste ist, dies zu erörtern überschreitet den Rahmen dieses Aufsatzes, der bloß Orientierung geben will. Daß auch dieses Problem an manchen Stellen bereits zu annehmbaren Lösungen geführt hat, zeigt das Aufblühen des katholischen ärztlichen Missionswesens in Frankreich, Belgien, Holland. Freilich — was davon aus den großen Umwälzungen, die sich in den letzten Jahren überall vollzogen haben, sich erhalten konnte, beziehungsweise ausbaufähig ist,entzieht sich einstweilen noch unserer Kenntnis.

Sicher wird sich die ärztliche Mission • genau so wie alle anderen Missionszweige vor Augen halten müssen, daß die Heranbildung des einheimischen Missionsarztes das Idealziel ist. Sie wird nicht allzuschnell überflüssig werden. Es gibt leider zu viele Länder, deren Einwohner, von Ausnahmen abgesehen, in ihrer Kultur noch zu sehr in den Anfängen stecken, so daß diese als Grundlage für die Ausbildung im ärztlichen Beruf gar nicht in Frage kommen; und es gibt höherstehende Kulturen, deren bildungtragende Kreise dem christlichen Gedankengut zu ferne stehen. Selbst in Ländern, in denen beides — Kultur und Aufgeschlossensein — für das Christentum sich findet, wie zum Beispiel in China, wird die Zahl der brauchbaren einheimischen Missionsärzte lange nicht so groß sein, um den Bedarf der weiten Länderstrecken zu decken.

Mir scheint China das Land zu sein, in dem das Ideal aller Missionsbestrebungen, die Hinführung des Eingeborenen zum Christentum durch den Eingeborenen der Verwirklichung am nächsten steht. Ich erinnere hier an die Aurora-Universität bei Shanghai (1902 von Jesuiten gegründet), der ein großes Missionsspital angeschlossen ist. Diese Universität bildet keine eigentlichen Missionsärzte heran, doch gehen aus ihr viele katholische oder wenigstens der Mission wohlwollend gesinnte Ärzte hervor. Vielleicht wird noch einige Zeit die medizinische Lehrtätigkeit zum größeren Teil Missionskräften zufallen müssen. Freilich wäre es zu begrüßen, wenn sich die Meinungen guter Kenner ärztlicher chinesischer Mission, wie es P. Hall S. V. D. und der Missionsarzt Dr. Hermann sind, bewahrheiten würden, daß in China die nächste Generation den ausländischen Missionsarzt im Lehrfach überflüssig machen werde.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung