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Ostervision

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1500 Jahre sind es, seit 451 v. Chr. Attilas Hunnenheer auf den katalauni-schen Gefilden vor Paris entscheidend geschlagen wurde. Der erste Sieg der abendländischen Kultur über die barbarische Unkultur. Ein erstes gemeinsames Sichstemmen der römisch-germanischen Völkergemeinschaft — des neuen Europa — gegen eine fremde Menschenmasse, die aus den innerasiatischen Steppen sich herangewälzt hatte. 1500 Jahre, wahrhaftig ein Jubiläum, zu dem sich die Völker Europas die Hände reichen und beglückwünschen sollten, über alle noch unausgetragenen Zwiste hinweg. Ein Jubiläum der europäischen Menschlichkeit, Freiheit und Kultur. Was dann zwischen dem 5. und 10. Jahrhundert in den von den Hunnen verschonten Ländern noch an Blut und Tränen geflossen, an Gehöften verbrannt ist, geschändet und hingemordet wurde, das hält uns vor, daß wir damals erst anfingen, christlich zu denken. Die Kulturgeschichte der Welt vermerkt, daß starke Päpste viermal Rom vor dem Morden und Brennen der Barbaren zu verteidigen hatten und mit rein geistiger Macht zu retten vermochten. Vergessen sei auch nicht, welche Riesenlegionen von Mönchen und Scholaren und großen Frauen nötig waren, um Europa allmählich umzugestalten — von Nero über Attila, von Karl dem Großen bis Innozenz III., bis die westliche Welt geistig erobert und zu einem Kulturgebilde umgestaltet war, mit dem das Christentum endlich verschmolzen erschien.

Denkt man an die Zukunft, an das, was dem Christentum und der Menschheit noch zu vollbringen obliegt, so ist es ein tröstlicher Gedanke, wie das christliche Abendland, wenn auch in mehr als tausendjährigem Ringen, gewonnen werden konnte. Und wie wird Asien gewonnen werden, das gigantische Völkerbecken, in dem unerhörte Kräfte und Möglichkeiten schlummern?

Als die römisch-christliche Kultur von Süden nach Nordeuropa über die Alpen stieg, mußte sie Bergpässe und Schluchten überqueren, die ihr das schwere Vordringen erleichterten: Die natürlichen guten Anlagen in den nordeuropäischen Völkern, die Bereitschaft der Germanen im Gefühl des Mangels einer Vollkultur, waren, die von der Natur bereiteten Marschstraßen. Der Zugang nach Asien ist anders. Hier treten uns mehrtausendjährige Kulturen, eine vielleicht im Vergehen begriffene -in, Indien, eine noch stolz bewußte in China und eine modernste Zivilisation in Japan entgegen, hier begegnen uns Kultürzufriedenheit, zum Teil Kulturüberlegenheit. Für eine wirklich große Sendung im Sinne der Christianisierung Europas während des ersten christlichen Jahrtausends sind erst noch die Bergpässe und Talwege zu ermitteln, die ganz ins Innere der asiatischen Menschheit führen. Hinüber gelangt sind erst einige Pioniere. Jeder weiß, daß sich die Situation mit der damaligen in Europa nicht vergleichen läßt. Der Hunne Attila schweißte uns Europäer durch seinen Angriff zusammen, und dann begann die Vorsehung uns zu schmieden, zu ziselieren, zu stechen und zu polieren. Ob Rußland, um konkret zu sprechen, nicht die vorübergehende Aufgabe hat, in einem schmerzlich wilden Schmelztiegel Ostasien zu vereinigen — unter ganz anderen Mottos — und zu einem Werkmaterial der Christianisierung vorzubereiten? Und welche Aufgabe hier darin das andere Rußland haben wird, wenn es wieder zu seiner christlichen Seele zurückgefunden haben wird? Das Patriarchalische, jetzt freilich wieder Despotische, der russischen Kultur und Rasse 6teht dem asiatischen Menschen zweifellos näher als das „demokratisierte“ Völkerleben Europas.

Der heutige Versuch, China und Japan demokratisch zu organisieren, wird noch lange auf seinen Erfolg warten lassen. Der Asiate denkt familienhaft, und da steht der Russe wieder eigenartig in der Mitte. In der russisch-orthodoxen Kathedrale in Schanghai sah ich Tausende von Heiligenbildern an den Wänden hängen, und jeder Beter besucht hier während der unwichtigeren Teile des Gottesdienstes sein Lieblingsbild, zündet vor seinem Heiligen sein Kerzchen an und betet sein persönliches Anliegen dort aus. Gewissermaßen ein unbekümmerter Subjektivismus in einer bewußten Familiengemeinschaft. Denn die Heiligen auf den Bildern, die Wände entlang, sind alle 6eine Ahnen. Ein christliches Rußland wird einmal eine große Zukunft in Ostasien haben. Wie diese dann zu harmonisieren sein wird mit der Tatsache, daß Rom die Weltzentrale der Weltmission ist, und einen nie aufhörenden Auftrag zu erfüllen hat, kann man noch nicht überschauen. Was Rom unter höchster Begnadung in diesem Jahrhundert alles 6chon getan hat zur Wiedergewinnung der nahöstlichen Kirche, wird sich einmal für die Gewinnung, für die Christianisierung des femöstlichen Asiens als wertvollste Vorbereitung erweisen. Wie zwischen dem Ende Attilas und Karl dem Großen 400 Jahre liegen, so wird auch zwischen Stalin und dem ersten großen Großkhan chinesisch-christlicher Nation ein langer Zeitraum liegen. Jahrhunderte hindurch wird es wohl auch dauern, bis die westeuropäischen Philosophen und Theologen in sich eine reine Synthese hergestellt haben zwischen der scholastisch geformten christlichen Theologie und dem asiatischen Gedankengut, zu dem Indien, China und Japan in ganz verschiedener Weise beigesteuert haben. Vielleicht wird dem kontemplativen und intuitiven Zwischen - Ost- und Westmenschen, dem Russen, diese Verschmelzung rascher und vollkommener gelingen. Daß die Russen die ersten waren, die mit einer politischen Gesandtschaft und einer Kirchengründung in China zugelassen wurden und nie zu weichen brauchten, als anderen Nationen Todeshaß erklärt wurde, geht auf dieselben seelische Wurzeln zurück. Und wieder, daß die Russen die ersten waren, die sich freiwillig mit ihrer Militärmacht von China zurückzogen, als 1911 bei der konstitutionellen Reform China von den europäischen Mächten vergeblich Rückgabe aller Besitznahmen forderte, ist in China nicht vergessen.

Ohne politische Seitenblicke soll diese Erinnerung zeigen, wo das kirchen- und kulturgeschichtliche Problem der Zukunft,die Mission im Osten, gespürt und angefaßt werden müßte. Daß die ersten Glaubensboten aus dem Westen zum Osten auf Schiffen kamen, die mit Kaufleuten und Soldaten angepfropft waren, wird Asien nie, nie vergessen.

Was wir an Schutt und Geröll vorfinden, wenn wir die hohen asiatischen Kulturgebirge glücklich überschritten haben, ist kaum zu ermessen. Was gebildete Inder und Chinesen und Japaner in heimatlichen und Weltsprachen an Vorwürfen gegen die bisherige Missionskultivierung von Seiten der westlichen Missionäre verschiedener Herkunft geschrieben haben, kann Entsetzen wecken, Wenn man es zu einem Buch zusammengefaßt sieht. Van Straelen hat dieses Buch geschrieben. Keine Kritik, sondern Lob für die Opfer der Sendboten des christlichen Glaubens, die sich bisher den Formen des primitiveren asiatischen Lebensstils unterworfen haben. Aber die Verschiedenheiten der Geistesart kann man nicht durch persönliche Opfer überbrücken, dazu bedarf es einer Geistestat, die wissenschaftlich, nicht aszetisch vorgeht. Ein Wort, das mir einige Wochen vor seinem Tode ein Großer in der Wissenschaft und in der Religion, Pater Damian Kreichgauer, schrieb, sprach es klar aus: „Es muß ein neuer Bonifatius für Asien erstehen.“ Was Bonifatius an hunnischen -und barbarischen und heidnischen Resten weggeräumt, und wie er die Synthese gefunden hat, zwischen dem christlichen Rom, dem Rom der Päpste und dem germanischen Urelement, das ist die Leistung, die hier im Osten noch auf das große Genie und auf den ganz Mutigen wartet. Sie wird die Stunde der Auferstehung in Asien bedeuten, das Ostern, das in die L'rheimat des Menschengeschlechts und ihrer Völkermassen heimkehrt.

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