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Kirche und Meinungsforschung

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Ungefähr von der Jahrhundertwende an sind in den Vereinigten Staaten von Nordamerika Journalisten darangegangen, die Meinung ihrer Leserschaft über bestimmte Fragen mit Hilfe von Fragebögen zu erforschen. Daraus entwickelte sich die moderne Meinungsforschung, die besonders -in ihrem Ursprungsland blüht, aber auch in Europa heimisch geworden ist. Nicht nur in Amerika gibt es qualifizierte Institute, die dieses Verfahren durchführen, etwa das bekannte Gallup-Institut; auch die europäischen Länder haben eine größere Zahl ähnlicher An-' stalten aufzuweisen.

Mit Hilfe der Meinungsforschung will man die Vorstellungen, Einstellungen, Bewertungen, Wünsche und Absichten einer größeren Allgemeinheit feststellen, aus der nicht jeder einzelne befragt werden kann. So wendet man sich an eine Reihe von Vertretern dieser Allgemeinheit. Die Vertreter können auf verschiedene Art ausgewählt werden: Man läßt den Zufall walten und greift aus einer Gesamtzahl jeden x-ten heraus (Zufallsverfahren oder Wahrscheinlichkeitsauswahl), oder man wählt die zu Befragenden aus verschiedenen Gruppen in einem Verhältnis, das der Stärke dieser Gruppen in der Gesamtzahl entspricht (Repräsentativbefragung nach der Quotenauswahl). Die Zuverlässigkeit des Ergebnisses hängt nicht nur von der angewandten Auswahlmethode, sondern auch vom Wortlaut und von der Reihenfolge der Fragen sowie vom Verhalten der Frager und der Befragten ab.

Der Meinungsforschung bedienen sich im politischen Leben wahlwerbende Gruppen zur Feststellung und Beeinflussung ihrer Erfolgsaussichten, Wirtschaftsfachleute, die die Wünsche der Verbraucher und damit die eigenen besten Gewinnmöglichkeiten herauslinden wollen, Soziologen und Sozial-psychplogen, die auf diese Art Material zur Erhebung allgemeiner Regelmäßigkeiten des Soziallebens gewinnen wollen, und manche andere. Auch die moderne Seelsorge kann auf dieses Hilfsmittel nicht verzichten. Wenn sie ihrer Aufgabe in der gegebenen Wirklichkeit möglichst gut gerecht werden will, muß sie um die für sie wichtigen Vorstellungen und Haltungen in der Bevölkerung wissen. So wurden wiederholt kirchliche Meinungsforschungen in kleinerem Rahmen, zum Beispiel in Pfarreien, durchgeführt. Der gesamtkirchlichen Arbeit wollte eine Rundfrage dienen, die die Zeitschrift „Wort und Wahrheit“ unter dem Titel „Was erwarten Sie vom Konzil?“ an verschiedene deutschsprachige katholische Persönlichkeiten richtete und deren Ergebnis sie in ihrem Oktoberheft (auch als Sonderdruck in Buchform) veröffentlichte. In Frankreich ließ die Zeitschrift „Vie Catholique Illustree“ durch das französische Institut für Meinungsforschung (IFOP)

einem repräsentativen Querschnitt des französischen Volkes fünfzig Fragen über die Kirche vorlegen. Das Ergebnis übernahm zusammenfassend „Der christliche Sonntag“ (Verlag Herder,

Freiburg) vom 4. Februar 1962. Nach Prozentsätzen gegliedert werden darin die Auffassungen der Befragten über das Wesentliche an der Kirche, über den Beruf und die Aufgabe des Priesters, über die Kirche in der modernen Welt berichtet. Wie zu erwarten, bewegen sich die Antworten von einem Extrem bis zum anderen, vom richtigen Erfassen des Gegebenen bis zur Verzerrung und zum Irrtum, von der willigen Bejahung bis zur leidenschaftlichen Ablehnung.

Welchen Wert haben solche Erhebungen? Ganz allgemein darf man sich von der Meinungsforschung nur ein wahrscheinlich richtiges Ergebnis erwarten, ja man muß auch auf Fehldiagnosen gefaßt sein. Berühmt geworden sind zwei falsche Wahlvorhersagen in den Vereinigten Staaten, die auf Grund von Meinungsforschungsverfahren gemacht wurden: 1936 sagte die Zeitschrift „Literary Digest“, gestützt auf zehn Millionen ausgegebener Fragebögen, eine Niederlage Roose-velts voraus, während Institute, die sich nur auf je 2000 Befragungen beriefen, seinen Sieg ankündigten und

recht behielten; einen ähnlichen Versager gab es bei der Präsidentenwahl 1948. Der Fehlerquellen sind ja allzu viele: Die Frage kann unverständlich, ungenau, zweideutig oder einseitig

formuliert sein; der Befragte kann sie mißverstehen oder über die erfragte Sache irren oder absichtlich eine falsche Antwort geben; die Reihenfolge der Fragen kann eine bestimmte Antwort herbeilocken und so weiter.

Mit diesen Fehlerquellen muß man rechnen, wenn man eine Befragung unter seelsorglichem Gesichtspunkt

Befragten bekannt, und trotzdem war es nicht richtig. Im besonderen muß man darauf achten, daß auf dem Gebiet des Religiösen und des Sittlichen über die Richtigkeit einer Anschauung nicht der Prozentsatz derer entscheidet, die sich zu ihr bekennen. Die Kirche wird auf die Ergebnisse der Befragungen in solchen Dingen selbstverständlich aufmerksam sein

müssen, um zu erkennen, welche Wahrheiten sie klarer herausstellen und welche Irrtümer sie bereinigen muß. Eine Teilaufgabe des kommenden Konzils werden solche Klarstellungen sein. Andere Gebiete im kirchlichen Leben gibt e,s,- auf denen die Meinung eines Durchschnitts oder einer Mehrheit sich durchsetzen kann: dort, wo

fasten im Wachen

„Hoc anno de St. Thoma nihil fit.“ So heißt es mit nüchterner Strenge in den liturgischen Rubriken vom 7. März. Das Fest des heiligen 1 Bornas von A a u i n fällt heuer auf den Ascherhüttwoch. Dieser Tag läßt ob seines für die gesamte Kirche verpflichtenden Charakters nicht einmal ein Heiligengcdenkeu zu. (Es sei denn in der dominikanischen Ordensgemeinschaft, für die der „engelgleiche“ Lehrer ja zu den Patronen zählt.) Für die Christenheit steht der Aquinate heuer am Beginn der vierzigtägigen Fasten. Züge werden an seinem BiM sichtbar, die mau sonst kaum zu sehen gc.ohnt ist. Man bewundert gern die humanistische Harmonie seines Wesens, die vornehme, weltzugewandte Art seines Denkens. Da und dort zitiert man die berühmten Sätze über das „Bad“ als Mittel gegen die Traurigkeit. Wer sein Werk auch nur im Überblick oder in der vortrefflichen Einführung Piepers kennt, weiß, daß es nicht nur eine Kathedrale der Gedanken darstellt, sondern auch Gärten und Seen umfaßt, die zum freundlichen Verweilen einladen. Und wer etwas vom Leben und Sterben dieses Heiligen erfahren hat, der weiß auch von jener letzten Beichte, nach der der ergriffene Beichtvater die kindliche Reinheit des Sterbenden bescheinigte, weiß vom Gottesdienst der Mönche für den eben Verschiedenen, der nicht in der schwarzen Bußfarbe, sondern bereits in den weißen Gewändern der Heiligkeit gefeiert wurde.

Und doch ist dieses Leben kein Zeugnis des. sonnigen Epikuräertums, sondern ein Dokument der ständigen Buße und Umkehr. Mau muß Buße nur nicht im spätmittelalterlichen Sinn verstehen, als gefühlsmäßigen Gewaltakt des Todesschalters und Sündenekels, als leib- und weltfeindliche Reaktion auf zügellose Ausschweifung. In der Keuschheit des „Engel-gleichen“ lag noch der Wortstamm des „conscius-wissend“ beschlossen. Für ihn hing Buße nicht mit aufgewühltem Süu-denelend, sondern mit ruhiger, straffer Sammlung zusammen. Sein von den Chronisten überliefertes Fasten stand ebenso wie das Gebet vor seiner geistigen Arbeit. Es war weder Katzenjammer noch Yogapraxis, es war das zuchtvolle Bereitsein des kreatürlicheu Menschen für die Stimme und Weisung Gottes. Sein Gegürtetsein trug nicht den Charakter der selbstquälerischen Härte. Er trug den Gürtel wie ein stets Wachender, ein stets Reisebereiter. Sein die Jahrhunderte überragender Intellekt führte ihn nicht zur autonomen, selbstgerechten Denkspiegelei, sondern zum dienenden Nachvollzug geistiger Wirklichkeiten. Auch das Denken kann zur sündhaften Ichbezogenheit führen, wenn es seinen Ursprung im Hören und Schauen vergißt. Das Leben des Thomas war ein stetes Wachsein. Und „Wachen“ gehört zu den uralten Fastenübuugeu. die unsere Zeit nur noch dem rätselhaften Namen nach kennt.

durchführt. Immerhin wird das Wahr-scheinlichtkeitsergebnis für alle Interessierten und Verantwortlichen wichtig genug sein.

Vor einer Auffassung muß man sich freilich hüten (und dies muß um so nachdrücklicher betont werden, je ausgiebiger sich Meinungsbefragungen über religiöse Auffassungen und Haltungen einbürgern): Niemals ist etwas schon deshalb richtig, weil sich der Durchschnitt oder die Mehrheit der Befragten dazu bekennt. Das gilt allgemein. Zum alten Weltbild, das die Sonne um die Erde kreisen ließ, hätten sich vor etlichen Jahrhunderten alle

es um die Gottesdienstgestaltung oder um änderungsfähige rechtliche Normen geht. Eine Umfrage könnte mehrheitliche Erwartungen von Katholiken, zum Beispiel über den Gebrauch der Volkssprache beim Gottesdienst oder über die Gestaltung von Trauungen und Begräbnissen, erkennen lassen, und sie könnte dazu führen, daß diese Erwartungen von den zuständigen Stellen klug geprüft und nach Möglichkeit erfüllt werden.

Meinungsforschung kann wertvolle Dienste leisten, auch im kirchlichen Bereich, nur muß man sich ihrer Grenzen bewußt bleiben.

Jedes Wort wiegt

Papst Johannes XXIII. habe in seiner Apostolischen Konstitution „Humanae salutis“ über die Einberufung des 2. Vatikanischen Konzils am 25. Dezember nicht den Wunsch ausgesprochen, daß den von Rom getrennten Christen „der Weg zur Rückkehr geebnet werde“. Gegen diese bis zur Stunde von katholischer Seite in Deutschland verbreitete (Ibersetzung des lateinischen Originaltextes der Konstitution wandte sich der Kieler evangelische Theologe Prof. Peter Meinhold auf einer öffentlichen Kundgebung des Evangelischen Bundes in Hamburg.

Meinhold gab seinem lebhaften Bedauern darüber Ausdruck, daß diese unzutreffende Ubersetzung bisher unberichtigt geblieben ist. Der lateinische Text der Apostolischen Konstitution, der im „Osservatorc Romano“ in seiner Ausgabe vom 26.127. Dezember 1961 veröffentlicht wurde, biete für die in Deutschland verbreitete Textfassung in diesem Punkt keinerlei Grundlage. Offenbar handle es sich nicht um einen Übersetzungsfehler, erklärte Professor Meinhold, sondern um eine Deutung des lateinischen Textes aus der herkömmlichen Vorstellungswclt heraus, als seien die römisch-katholische Kirche des 16. Jahrhunderts und die des 20. Jahrhunderts schlechthin identisch. Von einer „Rückkehr“ der evangelischen Christen in die römische Kirche zu sprechen sei übrigens ein für allemal dadurch verwehrt, daß Rom selbst in den vergangenen 400 Jahren gemeinsamer Geschichte (ich nicht gleichgeblieben sei.

Bereits Anfang Jänner hatte der katholische Publizist Dr. Otto Roegele im „Rheinischen Merkur“ kritisch darauf hingewiesen, daß im lateinischen Text der päpstlichen Bulle nirgendwo von „Rückkehr“ der Nichtkatholikcn die Rede sei. Dr. Roegele gab den fraglichen Passus in folgender eigener Ubersetzung wieder: „In einem Augenblick großherziger und wachsender Anstrengungen, die von verschiedenen Seiten unternommen werden zu dem Zweck, jene sichtbare Einheit aller Christen wiederherzustellen, die den Wünschen des göttlichen Erlösers entspricht, ist es auch weiterhin natürlich, daß das Konzil jene Abschnitte der Lehre besser erhellen und jene Beweise brüderlicher Liebe darbieten soll, durch welche die von diesem Apostolischen Stuhl getrennten Christen zu dieser Einheit angeeifert und die Wege zu ihr ausgebaut werden.“ In der zwar nichtamtlichen, bisher aber in Deutschland allein verbreiteten Ubersetzung lautet die zweite Hälfte dieses Satzes wie folgt: „In einer solchen Situation scheint es angebracht, die fundamentalen Wahrheiten des Glaubens besser zu verdeutlichen und die Voraussetzungen gegenseitiger Liebe zu schaffen, damit bei den vom Apostolischen Stuhl getrennten Christen der Wunsch nach Einheit lebendiger und ihnen dadurch der Weg zur Rückkehr geebnet werde.“

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