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Papsttum heute und morgen

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Charakteristisch für das vorliegende Ergebnis einer Umfrage zu obigem Thema, für die Person des Herausgebers und die Tendenz des ganzen Unternemens ist wohl der Beitrag eines altkatholischen Priesters. Zumal dieser auch den Beruf eines Psychotherapeuten ausübt. Er schreibt unter dem Titel „Einheit der Christen mit dem Papst“, viel alarmierender als die wegen und gegen das Papsttum geführten Polemiken sei der rapide Schwund innerkirchlicher Autori t ä t. Es wirke auf einen nichtrömischen Priester schmerzlich befremdend, wie zynisch man gerade in Kreisen der für die Kirche engagierten römisch-katholischen Christen über die Meinung des Papstes urteile und zur Tagesordnung übergehe.

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Charakteristisch für das vorliegende Ergebnis einer Umfrage zu obigem Thema, für die Person des Herausgebers und die Tendenz des ganzen Unternemens ist wohl der Beitrag eines altkatholischen Priesters. Zumal dieser auch den Beruf eines Psychotherapeuten ausübt. Er schreibt unter dem Titel „Einheit der Christen mit dem Papst“, viel alarmierender als die wegen und gegen das Papsttum geführten Polemiken sei der rapide Schwund innerkirchlicher Autori t ä t. Es wirke auf einen nichtrömischen Priester schmerzlich befremdend, wie zynisch man gerade in Kreisen der für die Kirche engagierten römisch-katholischen Christen über die Meinung des Papstes urteile und zur Tagesordnung übergehe.

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Nach allem, was wir in Österreich in dieser Hinsicht zum Beispiel von dem Priester und Theologen Hans Holl, von dem Publizisten Friedrich Heer und dem neubekehrten Journalisten Günther Nenning hörten und lasen, ist diesem Beileid von altkatholischer Seite nichts mehr hinzuzufügen als: Und diesen Zynismus, diese Diffamierungen und diese zur Schau getragene Interesselosigkeit mußte sich die Masse der „noch für die Kirche engagierten römischkatholischen Christen“ in Österreich, zuweilen verlassen von ihren Bischöfen und Theologen, jahrelang gefallen lassen?

Herkunft und Anschauung des Herausgebers Georg Denzler sagen fast alles über die Anlage und den Zweck des Druckwerkes. Denzler, von Beruf katholischer Geistlicher, Kirchenhistoriker und Lehrer an einer theologischen Lehranstalt, hängte eines Tages, ohne erst viel zu fragen, seinen Beruf an den Nagel, heiratete seine Häusnerin und bekam einen Sohn. Seine Arbeit an einer auf 100 Bände berechneten Geschichte des Papsttums geriet angesichts solcher Wandlungen in seinem Leben ins Stocken, Bereits nach Abschluß des fünften Bandes seines Lebenswerkes fing Denzler an, sich weniger mit der Geschichte des Papsttums zu beschäftigen als vielmehr mit der „lebensgefährlichen Krise“, in der jetzt diese „fast zweitausendjährige Institution steckt“. Seine für das jetzige Sammelwerk gewählte Aufgabenstellung ist nicht eben neu oder originell; ist sie doch fast zweitausend Jahre alt. Indessen findet der vorliegende Band in Kreisen von Anhängern eines traditionellen Antiklerikalismus und eines deklarierten Atheismus, also zumal in liiberalistischen und sozialistischen Kreisen, verständlioherweise Beifall. Das Magazin „Der Spiegel“, derzeit Organ des Antiklerikalismus im Stil der Großväterzeit, nennt das Druckwerk ein Kompendium, eine fundamentale Kritik des Papstes und der Kurie, die ihresgleichen suche. Dabei wäre jeder einigermaßen gebildete Freidenker durchaus in der Lage gewesen, dem fraglichen Magazin bedeutend bessere einschlägige Kompendien an die Hand zu geben.

Der Herausgeber hat rund 150 Bischöfe und Theologen, Freunde und Gegner des Papsttums, konservative wie progressive, katholische und nichtkatholische, um Antworten auf zwei von ihm gewählte Fragen ersucht:

• Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Stellung des Papsttums in Kirche und Gesellschaft?

• Wie sollte sich das Papsttum in der nächsten Zukunft nach innen und nach außen verhalten?

Insgesamt 57 Befragte antworteten. Die katholischen Bischöfe Deutschlands, Österreichs und der Schweiz sowie die vier eingeladenen Bischöfe aus der DDR nahmen an der Befragung nicht teil. Von den Politikern ließ sich nur einer, ein Hansdampf in allen Gassen, zu einer Antwort hinreißen. Um so eilfertiger ergriffen einige der in den Massenmedien tätigen Meinungskneter das Wort, die anerkanntermaßen zu allem und jedem viel reden und nichts zu sagen wissen.

Absoluter Tiefpunkt des Ganzen ist der Beitrag des gewesenen Professors an der Wiener katholischtheologischen Fakultät Hubertus Mynarik. Er teilt mit dem Herausgeber das Lebensschicksal eines abgefallenen Priesters, indessen offenbart sein Beitrag eine Niveaulosig-keit, die eine Frage offen läßt: Welche Geister sind es wohl gewesen, die Mynarik einmal an die Wiener Fakultät geholt haben? Wer alles von sich geworfen hat wie Mynarik, kann auf jeden Versuch einer Wissenschaftlichkeit verzichten. Für ihn ist das Papsttum im Bezugsrahmen des christlichen Glaubens einfach ein Fremdkörper. Nur das Ende des Papsttums könne eine echte Hoffnung auf die Zukunft bringen. Denn das Ende des Papsttums sei eine wesentliche Bedingung für eine Zukunft des christlichen Humanismus in der Gesellschaft von morgen. Einer solchen Brutalität im Zuschnitt Helmuth Qualtingers gegenüber, bekommen die Auslassungen Friedrich Heers geradezu journalistisches Format. Nach Heer ist der Heilige Geist nicht der Babysitter der Romkirche. Wohl aber besorge der Heilige Geist derlei vielfach außerhalb der Kirche, wo sich Katholizität selbst außerhalb des Christentums bilde. Im übrigen klagt der Historiker Heer weiterhin das Versagen des heutigen Papsttums gegenüber Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft an. Die Zeit-geschichtlerin Eriko Weinzierl (Salzburg) teilt zunächst nicht die von Heer angenommene allgemeine Verurteilung des Papsttums. Auch sei dieses jetzt weniger angefeindet und mehr angesehen als zur Zeit der Hochblüte des Liberalismus. Sie nimmt den Papst gegen Verdächtigungen gewisser Konservativer in Schutz, mit denen diese den Papst des Verrats am alten Glauben bezichtigen. Solchen unbelehrbaren Konservativen gegenüber müsse man eben zur Kenntnis nehmen, daß sich der „von Pius XII. geprägte Nachfolger Johannes' XXIII.“, also Paul VI., einen „nicht mehr rückgängig zu machenden Pluralismus in der katholischen Theologie“ ausgesetzt sehe. Und in der Tat, der Undefinierte und in tausend Versionen interpretierte Pluralismus ist das einzige Halteseil derer, die sich inmitten des Schlammeeres der von ihnen angerissenen Fragwürdig-kei-ten die gültige Antwort vom Konsens des Kirchenvolks erwarten; in dem offenbar an Stelle des oben erwähnten Babysitters eine Art von Mythos der Demokratisierung zu wehen beginnen soll. Ferdinand Klostermann, dessen Berufung an die Wiener katholisch-theologische Fakultät mir Gott einmal verzeihen möge, bringt wenigstens eine intellektuelle Schwerpunktlinie in das Vieleck des katholisierenden Pro-gressismus in Österreich. Was einmal Adolf Holl mit unbekümmerter Brutalität gegen Paul VI. eingewendet hat, das kleidet Klostermann in Postulate, die er den Ergebnissen der Alterspsychologie entnimmt. Indessen: Die bisherigen Ergebnisse der Gerontopsychologie, also der Beschäftigung mit der allgemeinen Problematik alternder Menschen, hat bisher in einem verwirrenden Pluralismus der Ansichten gerade das nicht bestätigt, was Klostermann zwecks Einführung einer Altersgrenze für die päpstliche Amtszeit heranziehen möchte. Denn das Altern kann, muß aber nicht die geistige Leistung mindern. Spätleistungen von Dichtern, Schriftstellern, Künstlern und Gelehrten sind demnach nicht ungewöhnlich. Die laufenden siebziger Jahre haben zudem bestätigt, daß die Jungen aus den sechziger Jahren nur zu viel an jenem Europa zerstört haben, das die großen alten Männer der vierziger und fünfziger Jahre (Churchill, Adenauer, de Gasperi, Raab und andere) über Trümmern und chaotischen Hinterlassenschaften einer seinerzeit ebenfalls als jung gepriesenen Generation der vierziger Jahre aufgerichtet haben.

Für die liberalistische und sozialistische Tagespublizistik sind natürlich die Auslassungen, die sich amtierende Theologieprofessoren in dem vorliegenden Buch leisten, wahre Gustostückerln. So nimmt sich in den Augen des Neutestamentiers der katholisch-theologischen Fakultät in Saarbrücken die kuriale Regierung geradezu gespenstisch aus. Ein weiteres Mitglied besagter Fakultät meint, das Papsttum gehöre nicht zum Wesen der Kirche. Und ebenfalls aus Saarbrücken erreicht uns die Stimme eines Professors für katholische Theologie und Religionspädagogik an der dortigen Pädagogischen Hochschule, derzufolge Rom zunehmend uninteressant geworden sei und Reformen erzwungen werden müßten.

Am Erscheinungsort des Sammelbandes (erschienen 1975 bei Friedrich Pustet in Regensburg) verlautet ein dortiger Professor für katholische Soziallehre, das Papsttum sei eine Umkehrung, eine Art von Anti-evangelium. Man dürfe bei derlei Beurteilungen auch Johannes XXIII. nicht als Alibi für gegenteilige Behauptungen ansehen. Im übrigen sei die weitere Funktion des Papstes als Generalsekretär der Nationalkirchen denkbar. Zweifellos eine Formulierung, der fürs erste auch Adolf Hitler bei seinen anfänglichen Bestrebungen zur Schaffung von Nationalkirchen in Deutschland zugestimmt hätte. Nach solchen und ähnlichen Äußerungen beamteter Hochschulprofessoren bleibt dem Katholiken nur um so mehr Ehrfurcht vor der Kraft, die sich trotzdem bei der Berufung junger Menschen zum Priester und in der Selbstbehauptung der oft von allen guten Geistern im Stich gelassenen priesterlichen Existenzen offenbart.

*

Wie oft in diesen Tagen, kommt auch in diesem merkwürdigen (sie) Sachbuch Orientierung und Zu-spruoh selten von Katholiken, wohl aber von jenen, die das österreichische Staatskirchenrecht einmal Akatholiken zu nennen sich angemaßt hat. Ein Emeritus, der in Basel und Paris lehrte, vermerkt, es sei bei aller Hochschätzung der demokratischen Regeln zu erwägen, daß auf dem Gebiet des Glaubens das Mehrheitsprinzip nicht unbedingt Garantie für Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit ist. Aus München meldet sich ein evangelischer Schriftsteller und wünscht sich, sehr zum Unterschied von den meisten katholischen Beitragsleistenden, es möge auch in Zukunft zu einer so glaubwürdigen Darstellung des Papsttums kommen, wie sie etwa im Wirken Pauls VI. für die Dritte Welt ihren Ausdruck findet. Der Chefredakteur der „Lutherischen Monatshefte“ (Hannover) ruft angesichts der Provokation der amerikanischen gemischten Theologenkommissionen dazu auf, freundlich vom Papsttum zu reden. Derlei Provokationen machten das Papsttum zu einer Sache, die einer bislang ausgebliebenen Antwort der Lutheraner wert sei. Was Katholiken derzeit oft ungern hören, deutet dieser Lutheraner mit der noblen Diskretion eines sogenannten Akatholiken an, daß nämlich die Kirche nicht aufgehe in den Kategorien weltlicher Gesellschaften. Fügen wir dem hinzu: Wäre dem so bisher gewesen, die Kirche wäre bereits mit einem halben Dutzend „herrschender Gesellschaftsformen“ von gestern zusammen untergegangen.

Aus Erlangen meldet sich eine aufmunternde Stimme: „Als Protestant weiß ich um das ,Risiko der Freiheit'. Indessen möge auf der im Vaticanum II begonnenen Linie mutig fortgeschritten werden.“ Die Einheit der Christen mit dem Papst streicht der altkatholische Pfarrer aus Rosenheim heraus. Denn: Es wird keine Einheit der Christen ohne den Papst in Rom geben. Aus der DDR rät die Stimme eines evangelischen Oberkirchenrats und Hochschuldozenten: Das Papsttum möge auf weitere „Darstellung“ nach innen und nach außen in nächster Zukunft verzichten, da das Erste und das Zweite Vatikanische Konzil profilbildend, ausführlich und verbindlich gesprochen haben. Eine verbale Zurücknahme des dort dogmatisch Festgelegten wäre nach dem Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche nicht möglich. Der evangelische Sprecher schließt mit einer Verwahrung: Man möge in seinen Thesen nicht etwa das Papsttum als Hauptziel beziehungsweise als Objekt der Wegprofilierung schlechthin zu erkennen meinen. Wer solches täte, würde jegliche kirchliche Tradition hinterfragen.

Während nicht Wenige sogenannte Akatholiken dem Papsttum ein prätentiöses und unnachgiebiges Verhalten anlasten, zuweilen sogar eine untunliche Aggressivität, hat der Chefredakteur der „Evangelischen Kommentare“ (Stuttgart) eher den Eindruck, ein Protestant sehe das Papsttum zunehmend in eine Position der Defensive gedrängt. Welche Autorität dem Papsttum in der Christenheit tatsächlich zukomme, werde sich in der Zukunft nicht an seiner rechtlichen oder dogmatischen Begründung, sondern an der faktischen Vollmacht seiner Träger erweisen. Dieser Sprecher schaut auf den Papst, denn er weiß, daß sich in allen Regionen der christlichen Kirche tiefe Glaubenskrisen ankündigen. Darum seien Repräsentanten der Kirche gefragt, die zum Glauben ermuntern. Ein Papst, der in diesem Sinne die Kraft der christlichen Botschaft erfahrbar machen lasse, werde auch unter den Christen Achtung erwerben, die außerhalb seiner Kirche stehen. Stärker akzentuiert derlei Erwartungen der evangelische Pfarrer in Pöcking: Obwohl die Mehrzahl der nichtkatholischen Christen und Theologen die Annahme des Papsttums noch für indiskutabel halte, nehme die Zahl und die Stärke jener Stimmen zu, die einen obersten Repräsentanten und Sprecher der ökumenischen Christenheit für wünschenswert, wenn nicht gar für unentbehrlich halten.

Als Senior und, der alphabetischen Namensfolge entsprechend, am Schluß kommt der den älteren Katholiken in Österreich wohlbekannte Eduard Winter (Jahrgang 1896) zu Wort. Winter, heute abgefallener katholischer Geistlicher, in seiner Jugend fanatischer Gegner der Los-von-Rom-Bewegung und bis zum Ende der zwanziger Jahre Verteidiger des Papsttums, ist heute gewesener Professor für osteuropäische Geschichte und Direktor des Instituts für die Geschichte der UdSSR an der Ostberliner Universität. Zwischen dem Tag, an dem der zölibatsmüde Winter heiratete, und seiner heutigen Existenz auf einem Paradeplatz des Kommunismus liegen viele, manche meinen zu viele, Formen seines Gewesenseins. Nicht zuletzt seine schriftstellerische Leistung in der Zeit des Reichsprotektorats Böhmen-Mähren 1939 bis 1945, ein Fehl, das später die. ,von ihm angenommene Rote Taufe abgewaschen hat. Ihm ging und geht der Sehnsuchtsschrei der Ketzer nach der armen machtlosen Kirche immer mehr zu Herzen. Winter, dem in der. Ära des Stalinismus bekehrten Anhänger Stalins, gab letzterer zu seiner Zeit die prägnante Antwort mit jener berühmten rhetorisch gemeinten Frage: „Wie viele Divisionen hat eigentlich der Papst?“ Nach der vom Kommunismus in Rechnung gestellten Zahl der Divisionen (samt allem, was seit 1945 als militärisches Potential dazukam) wurde die Welt verteilt, in welcher der Emeritus Winter für sich ausgesorgt hat.

Georg Denzler brachte seinen Sammelband im Siegesbewußtsein des abgefallenen Priesters heraus: Früher wären die katholischen Kritiker, deren Beiträge er aufnahm, alle verbrannt worden. Meint Denzler. Von solcher herausfordernder Qualität sind die meisten katholischen Auto-: ren nun nicht. Viele werden vom Kirchenvolk und dessen Priestern nicht einmal ignoriert. Trotzdem ist das Nein zum Papsttum, das auf so vielen Seiten des Bandes zu lesen ist, wertvoll. Denn es zwingt das Ja zu Papst und Kirche zur selbstgewissen Klarheit. Das Nein bringt das Ja zum Durchbruch.

PAPSTTUM HEUTE UND MORGEN (Eine Umfrage). Von Georg DENZLER. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 1975, 224 Seiten.

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