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Der Katholik, der Luther entdeckte

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Der katholische Theologieprofessor Joseph Lortz feierte seinen 85. Geburtstag. Am 13. Dezember 1887 wurde er in Grevenmacher (Luxemburg) geboren. Er studierte am Germanicum in Rom, danach bei J. P. Kirsch und P. Mandonnet in Freiburg, Schweiz. 1913 wurde er zum Priester geweiht. Im Jahr 1917 wurde er auf Empfehlung von Fritz Tillmann — dem er in Verehrung und Freundschaft treu verbunden war und blieb — von Greving zum Sekretär des „Corpus Catholicorum“ ernannt. Später habilitierte er sich in Würzburg bei dem bekannten Kirchenhistoriker Sebastian Merkle. Als Professor der Kirchengeschichte lehrte er an der staatlichen Akademie in Braunsberg, Ostpreußen (1929), an der Universität Münster (1935) und Mainz (1949). Als Mitbegründer des Instituts für Europäische Geschichte leitet er derzeit als Emeritus die Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte, die — international und interkonfessionell besetzt — durch ihre allgemein anerkannte wissenschaftliche Arbeit, besonders auf dem Gebiet der Reformgeschichte, nicht wenig zu einer tieferen ökumenischen Bewußtseinsbildung auf internationaler, wissenschaftlicher und religiöser Ebene beigetragen hat.

Ohne Joseph Lortz ist der katholische ökumenische Aufbruch nicht denkbar: Damit kann nicht nur die Hingabe gemeint sein, mit der er sich seit der Zeit nach dem Krieg (man denke an seine gesammelten Vorträge in „Die Reformation als religiöses Anliegen heute“) bis heute dem ökumenischen Anliegen widmet, sondern vor allem die Tatsache, daß er es war, der die katholischen Vorurteile gegen Luther endgültig abzubauen versuchte und damit neue Horizonte mutig öffnete. In den Jahren 1939/40 erschien zum ersten Male das berühmte Buch von Lortz „Die Reformation in Deutschland“. Das Buch erschien zu einer Zeit, als katholischen und evangelischen Christen unter nationalsozialistischer Verfolgung und den gemeinsamen Leiden während des Dritten Reiches der Reichtum des gemeinsamen religiösen Erbes bewußt wurde. Es ist sattsam bekannt, was dieses Werk auf dem Hintergrund des auch von Denifle und Grisar zu Beginn unseres Jahrhunderts nicht widerlegten Luther-Bildes des Johann Cochlaeus bedeutet hat. Es hat — wie 1957 Theodor Heuss mit Recht feststellte — ein neues Klima in den Beziehungen zwischen den christlichen Konfessionen geschaffen.

Das Buch war eine grundlegende Etappe in der von Walter Köhler 1922 erwünschten und von Sebastian Merkle mit Freude begrüßten neuen katholisch-evangelischen Begegnung im Blick auf eine gemeinsame Luthers-Interpretation. Die Tatsache, daß Lortz katholisch ist, hat ihn nicht daran gehindert, das tief Religiöse und Katholische in Luther zu erkennen (es gibt nach Lortz auch einen katholischen Luther sein ganzes Leben lang), ihn als einen „großen Beter“ anzusehen, der im objektiv bindenden Wort der Schrift verankert ist. Dabei mußte Lortz angesichts einiger Dimensionen bei Luther, die nicht ohne weiteres in das katholische Denken integriert werden können, klare Vorbehalte anmelden.

v Lortz hat sich aber nicht auf eine neue Interpretation Luthers oder auf die Feststellung der theologischen Unklarheit der Zeit oder der Mitschuld der katholischen Kirche an der Reformation beschränkt. Dies war der Ausgang — wie Lortz in „Mein Umweg zur Geschichte“ geschrieben hat —, um „den Auftrag der Reformation neu, reiner aufzugreifen“. Denn für Lortz ist „Geschichte nie endgültig abgeschlossen, ein für alle Mal ,vergangen'“. So hat die neue Interpretation Luthers und der Reformation (die nach Lortz offenbar auch eine positive Rolle im Heilsplan Gottes spielt) zu einem radikalen Wandel der traditionellen katholischen Meinung kräftig beigetragen. „Die Reformation in Deutschland“ ist in vier Sprachen übersetzt worden, während die „Kirchengeschichte in ideengeschichtlicher Betrachtung“ durch ihre bald fünfundzwanzig deutschen Auflagen und die Ubersetzungen in acht Sprachen den weitesten Einfluß bewirkt hat. Dies ist aber nicht schmerzlos verlaufen. Wie Kardinal Lercaro im Blick auf eine andere Persönlichkeit schrieb, kann man auch unter der Kirche leiden. Dies gilt auch für einen Abschnitt im Leben von Joseph Lortz.

Schon lange vor dem Entstehen des Ökumenismusdekrets hat er Pionierarbeit im Sinne des Paragraphen 4 Kapitel 1 geleistet. Trotzdem wird man seinen Namen vergeblich unter den Konzilsbeteiligten suchen. Viele seiner Forschungsergebnisse sind tatsächlich zum katholischen Allgemeingut geworden, auch wenn Jedin kürzlich schrieb, das Buch eines einzelnen Autors könne nie die „katholische Konzeption“ als solche darstellen. Man denke etwa an den Vortrag von Kardinal Willebrands im Jahre 1970 vor der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Evian, an dem er in offiziellem Auftrag des Papstes teilnahm. Als er von Luther sprach, deckten sich seine Sätze vielfach wörtlich mit den Erkenntnissen von Lortz, und er gab mit ihm auch zu, Luther könne „unser gemeinsamer Lehrer sein“.

Hier darf man fragen, welches der Standpunkt von Lortz in der heutigen ökumenischen Situation ist, in einer Periode tiefster Krise, die einerseits durch manchmal allzu progressistische Tendenzen, anderseits durch unbeweglich reaktionäre Haltungen, ohne eine entsprechend starke Mitte, gekennzeichnet ist. Lortz ist im Kern seinen Grundgedanken, die den Leitfaden seines ökumenischen Denkens und Handelns immer bestimmt haben, treu geblieben. Auch wenn er in einigen seiner jüngsten Schriften (beispielsweise in „Holland in Not“) eine tiefe Bestürzung über das Einbrechen bestimmter, schwer mit der Orthodoxie zu vereinbarender Lehren und Positionen in die Kirche zeigt, kann er mit gutem Gewissen nicht unter die Verteidiger einer kurialen „Reaktion“ gezählt werden. Das, was er immer gesagt hat und heute mehr denn je bekräftigt, ist, daß man die Reform und die Einheit der Kirche durch eine Relativierung der Wahrheit weder suchen noch realisieren kann. Denn die Wahrheit, die Offenbarung und das Dogma stehen nicht in unserer Verfügung.

Weder die Einheit noch die Reform der Kirche kann auf rein soziologischen oder anderen beliebigen Fundamenten gebaut werden. Sie müssen in einem absoluten Zentrum verankert sein: Christus, die Schrift, das apostolische Symbolum. Es gibt keine Einheit ohne die Buße (eine Voraussetzung, die im Ökumenismusdekret einen dringlichen Ausdruck gefunden hat). Denken und Leben müssen von der Mitte des Evangeliums, der Kirche ausgehen: Ortho-praxie ersetzt nicht Orthodoxie, sondern die Orthodoxie ist das Fundament der Orthopraxie. Nichts ist heute wichtiger, „als sich ohne Mini-malisierung auf das Zentrale zu konzentrieren, denn nur, wenn wir uns auf das Zentrale zurückbeziehen, können wir redlich bekennen: ,Dies ist unfehlbar'“, sagte Lortz erst vor einigen Monaten.

Wahrheit, Dogma, Rückkehr in die Tiefe, auf das Zentrale; kompromißlose Ablehnung jeglicher Form des Relativismus, aber auch des Dogmatismus und Superlativismus; keine übereilten Schritte, sondern geduldiges und eifriges Suchen nach der Einheit im treuen Hören des unverkürzten Wortes im Geist der Buße. Das sind Dimensionen, die Lortz, gerade heute, für jeden gesunden christlichen Ökumenismus für notwendig erachtet.

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